Stories_Zur filmischen Konstruktion von Ikonen, Pt. 1

Verdichtungen

Der Duden definiert den Begriff "Ikone" als "Kultbild, geweihtes Tafelbild der orthodoxen Kirche". In jüngerer Vergangenheit hat sich jedoch im Alltag eine Verwendung im popkulturellen Kontext eingebürgert. ":Ikonen:"-Herausgeber Marcus Stiglegger wollte es genauer wissen und ging der Sache auf den Grund.    06.11.2008

1. Der ikonische Moment im Film

 

Als Begriff verweist das "Ikonische" auf die Bildnisse einer Kultur, auf die oft sakralen Sinnträger menschlichen Wirkens und Gestaltens. Ikonen transportieren eine Botschaft, die in ihnen verdichtet erkennbar wird - auch im kulturellen und künstlerischen Kontext. Darin sind sie Roland Barthes´ "Mythen des Alltags" vergleichbar. Zugleich lassen sich diese kulturellen Ikonen immer neu besetzen, entleeren, in neuem Kontext wieder entdecken oder in einem letzten Schritt gar miteinander konfrontieren - in einem "Iconoclash".

Von besonderer Bedeutung für die Konstitution von kulturellen Ikonen sind die Massenmedien, wobei die zugleich dafür verantwortlich sind, daß die Spezifik der Ikonen im Fluß bleibt, da sich mit jedem technischen Fortschritt auch die Sehgewohnheiten verändern. Vor allem im Zuge der Entwicklung der Neuen Medien wurde auf medien- und kulturwissenschaftlicher Ebene eine Diskussion begonnen: Von Vilém Flusser über Hans Belting und Horst Bredekamp bis hin zu Jonathan Crary und Lev Manovich wird über jenen kulturellen Wandel nachgedacht, den William J. Mitchell als "iconic turn" bezeichnet hat. Dabei kann auch von einem grundsätzlichen Paradigmenwechsel gesprochen werden, denn die Dominanz der visuellen Kommunikationsmedien hat auch zu einer qualitativen Veränderung der Kommunikation geführt. Der Logozentrismus, die Vorherrschaft des Wortes der - so Marshall McLuhan - "Gutenberg-Galaxis", scheint endgültig der allmächtigen Bilderflut gewichen.

Es erscheint daher von besonderem Interesse, die kulturelle Konstitution von Ikonen im visuellen Massenmedium Film zu untersuchen, das seit der Stummfilmzeit eine ganze eigene Qualität von Leitbildern und Leitfiguren hervorgebracht hat. Diese Qualität ist - wie ich in dem Buch "Ritual & Verführung" (Berlin 2006) bereits ausführlich dargelegt habe - auf das seduktive Potential des Mediums Film zurückzuführen. Seduktion bezieht sich dabei vor allem auf jenen Begriff, den Jean Baudrillard in seinem Buch "Von der Verführung" (München 1992) entwickelt. Prinzipiell unterscheidet Jean Baudrillard (in einer etwas unglücklichen Wortwahl der Übersetzung) die "verdeckte Verführung" (=signs of seduction) und die "lasche Verführung" [1] (=seductive signs), womit er schlicht die Offensichtlichkeit der Seduktion differenziert.

Die "lasche Verführung" bezeichnet jene deutlich als taktisch erkennbaren Akte der Verführung von der Werbung bis zum politischen Diskurs. Wie auch in der Kunst allgemein steigt mit der Klarheit der Zuschreibung die Banalität und damit die Deutlichkeit der Aussage. Läßt sich eine solche Taktik auf Befehlsformen wie "Kauf mich!" oder "Wähle mich!" reduzieren, ist das Ende der Seduktion bereits erreicht, was jedoch nicht unbedingt besagt, daß diese Form platter Propaganda nicht tatsächlich wirkt. [2] Diese Wirkung ist jedoch weniger auf die Effektivität der Seduktion zurückzuführen als auf eine Wirksamkeit der Wunsch- und Begehrensstruktur. Wesentlich perfider ist die "verdeckte Verführung", die sich als solche nicht offensichtlich zu erkennen gibt, gar erst im Nachhinein als solche zu "deuten" ist. Nun hat man es beim Film mit einer äußerst komplizierten Mischform all dieser seduktiven Aspekte zu tun: Der Film als Lichtprojektion auf eine leere Leinwand ist an sich reiner Schein, ein Phantomereignis, das flüchtige, wenn auch beliebig oft wiederholbare Zeichen hinterläßt. Bereits Béla Balázs weist in "Der sichtbare Mensch" (1924) auf dieses Phänomen explizit hin:

 

"Lichtspiel" wird der Film genannt und letzten Endes ist er ja auch nur ein Spiel des Lichts. Licht und Schatten sind das Material dieser Kunst wie die Farbe das der Malerei, wie der Ton das der Musik. Mienenspiel und Gebärdenspiel, Seele, Leidenschaft, Phantasie ... zuletzt ist alles doch nur Photographie. Und was die Photographie nicht ausdrücken kann, das wird der Film nicht enthalten. [3]

 

In seiner "Bild-Anthropologie" (2001) beschreibt Hans Belting dieses Phänomen sehr eingehend, indem er einerseits die Phantomhaftigkeit der projizierten Filmbilder und andererseits das Begehren des Zuschauers, diese als "Leben" wahrzunehmen und mit eigenen "Bildern" zu koppeln, zusammenführt:

 

Der Kinosaal läßt sich mit einem gewissen Recht als öffentlicher Ort der Bilder ansehen. Man sucht ihn nur der Bilder wegen auf, die auf der Leinwand in der Zeiteinheit des Films vorgeführt werden [...]. Und doch gibt es wiederum keinen Platz in der Welt, an dem sich der Betrachter so sehr als der echte Ort der Bilder erfährt. Seine Bilder fließen in die Bilder des Films über oder bleiben als die eigenen in der Erinnerung zurück. Der Film existiert als Medium nur für die augenblickliche Wahrnehmung. Er bedeutet die radikale Verzeitlichung des Bildes und also eine andere Wahrnehmungsart. Der Betrachter identifiziert sich mit einer imaginären Situation, als sei er selbst ins Bild geraten. Die mentalen Bilder des Zuschauers lassen sich nicht so eindeutig von den Bildern der technischen Fiktion unterscheiden. Selbst die Projektion durch den Vorführapparat, in welcher die filmische Illusion entsteht, verwischt die Grenzen zwischen Medium und Wahrnehmung. Das Medium Film besitzt passiv keine Existenzform, sondern muß durch eine technische Animation aktiviert werden. Sie erzeugt im Betrachter den Eindruck, die flüchtigen und fließenden Bilder vor seinen Augen seien nichts anderes als seine eigenen Bilder, die er in der Vorstellung und im Traum erlebt. [4]

 

Die Distanz zwischen Projektionsfläche und Zuschauerraum kann zwar um keinen Preis überwunden werden [5], sie steht aber - so Belting - im Gegensatz zum Begehren des Betrachters. Das Erleben des Films wird daher in Bezug auf die Konfrontation mit dem anderen bestenfalls ein "Spiegel" bleiben.

 

Fortsetzung folgt ...

Lesen Sie im zweiten Teil über Filmstars als Ikonen, Stars und "Sexbomben", James Bond, Conan und das Märtyrerkonzept.

Marcus Stiglegger

Zur filmischen Konstruktion von Ikonen, Pt. 1

Fußnoten


[1] Baudrillard 1983, S. 128ff.

[2] In diesem Bereich ist im übrigen die vielzitierte "Kraft bzw. Gefährlichkeit" des Propagandafilms angesiedelt.

[3] Balázs [1924] 2001, S. 95

[4] Belting 2001, S. 75

[5] Das Bedürfnis nach der Überwindung dieser Grenze bringen einige Filme zum Ausdruck, etwa James Camerons "Last Action Hero" (1994) oder Woody Allens "Purple Rose of Cairo" (1985).

 

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