Stories_William Boyd - Solo

Der Alptraum aller Grünen

Endlich wurde für den deutschsprachigen Markt wieder einmal ein Thriller übersetzt, der nicht zum Gähnen langweilig ist (worauf sich ja viele Verlage spezialisieren) - und der sogar das fast verdorrte Pflänzchen "männlicher Leser" mit einem fiktionalen Text erreichen könnte. Die Rede ist von der literarischen Rückkehr der britischen Doppelnull: James Bond is back.    14.10.2013

Er ist Macho, ein begeisterter und rücksichtsloser Nutzer von Verbrennungsmotoren, raucht wie ein Schlot, ermordet Arschlöcher, säuft wie ein Loch, läßt sich nicht von Phrasendreschern beeindrucken, ißt, was und wann er will, und vögelt die schönsten Frauen, ohne auch nur an Vaterschaftsurlaub zu denken oder mit der Dame einen Selbstfindungskurs zu machen. Wäre er nicht so autoritätshörig und ein Helot (ursprünglich) konservativ-nationaler Interessen, dann wäre er wohl ein richtig guter Typ. Für James Bond, Geheimagent Ihrer Majestät 007, ist die ganze Welt Plattform der Strategiespiele, die sein Chef M für ihn aussucht.

Rechtzeitig zum sechzigjährigen Jubiläum des ersten 007-Romans "Casino Royale" ist ein weiteres Bond-Abenteuer erschienen, das die Fans mit den bisherigen Sequels versöhnen könnte. Verfaßt wurde der neue Bond-Titel "Solo" von dem etablierten und anerkannten Schriftsteller William Boyd, den die Kritik auch gern in Zusammenhang mit Graham Greene bringt. Auf die Frage, warum Boyd Schriftsteller geworden sei, hat er eine vernünftige Antwort parat:

 

"I suspect that I saw a film which had a writer in it ... And as he got up from his typewriter, mixed himself a drink and stepped onto a balcony and looked out at Malibu beach or something, I thought: That is the life for me!"

 

Boyds Verbindung mit Fleming und Bond ist weitreichend: Sein Vater machte ihn in den 1960ern mit Flemings Büchern bekannt, und er las sie seit seinem elften Lebensjahr alle und wurde zum lebenslangen Fan (sein Lieblings-Roman ist "From Russia With Love"). Er schrieb mehrere Essays über Fleming und machte ihn zur Schlüsselfigur in seinem Spionageroman "Any Human Heart" (2002). Für drei Bond-Darsteller schrieb er Drehbücher bzw. adaptierte er seine Romane: Sean Connery in "A Good Man In Africa", Pierce Brosnan in "Mr. Johnson" und Daniel Craig in "The Trench" (bei dem Boyd auch Regie führte). Unabhängig von seiner Freundschaft zu Craig nennt er Daniel Day-Lewis als den heute bestmöglichen Bond-Darsteller. Worüber sich streiten läßt, da Day-Lewis inzwischen zu alt sein dürfte.

Jedenfalls erfüllte sich für den Fleming-Fan nun ein Lebenstraum. Das merkte man ihm schon bei der Präsentation und bei der weitergehenden PR-Arbeit für "Solo" an; unter anderem schrieb er ein fiktives Interview für den "Guardian", in dem er im Rahmen einer Zeitreise als Journalist James Bond besucht und befragt. Trotzdem gibt es mittlerweile schon erstes Gejammer. So verkaufte Boyd in der ersten Woche "nur" etwa 10.000 Exemplare seines Romans, während Sebastian Faulks von seinem Bond-Roman "Devil May Care" 2008 - also im Jahr des 100. Fleming-Geburtstags und mit dem entsprechenden Rummel im Rücken - in der ersten Woche 44.000 Bücher umgesetzt hat.

Insgesamt hält Boyd von den Filmen längst nicht soviel wie von Flemings Romanen. Tatsächlich ist der Film-Bond im Vergleich zum literarischen Bond in einem puerilen Paralleluniversum beheimatet.

Ausgehend von Bonds Nachruf in der "Times", den Fleming in "You Only Live Twice" veröffentlicht hatte, entschied Boyd, seinen Roman 1969 anzusiedeln, beginnend mit Bonds einsamem 45. Geburtstag. Konsequent legt ihn Boyd an den späten Bond an, der sich nach dem Tod von Tracy nicht mehr richtig erholt hat. Nach seiner Rache an Blofeld, die ihn durch "You Only Live Twice" trug, und der Gehirnwäsche durch die Russen hatte sich 007 bereits bei Fleming verändert.

Bei Boyd ist der Agent nachdenklicher und empathischer geworden, scheint seine Schicksalsschläge bewältigt zu haben. Aber er ist immer noch die alte Kampfmaschine und der überzeugte Genießer körperlicher Freuden. Bond war nie, wie Kingsley Amis schon festgestellt hatte, der Womanizer, zu dem ihn die Filme gemacht haben. Er hatte sich fast immer über den Sex hinaus für seine Partnerinnen interessiert und immer wieder versucht, eine funktionstüchtige Beziehung aufzubauen - was bekanntlich für Geheimagenten noch schwieriger ist als für Monteure im internationalen Außendienst. Kritiker hatten Fleming noch zu dessen Lebzeiten vorgeworfen, der Bond aus "On Her Majesty´s Secret Service" sei nicht mehr der Bond aus "Casino Royale" oder "Moonraker". Treffend bemerkt. Der Vorwurf fällt letztlich auf diese Kritiker zurück, die der Entwicklung einer Thriller-Figur nicht folgen wollen oder können. Es sind dieselben Idioten, die zwischen U- und E-Kultur unterscheiden.

 

"I think there´s good writing and bad writing. I think you can very easily distinguish between good writing and bad writing with a simple test: Just look at the number of stereotypes employed. Stereotypes of plots, stereotypes of characters, stereotypes of language; the more stereotypes there are, the worse the book. That´s my touchstone for evaluation. So, if you write well - and it doesn´t mean you have to write in a stylish way, but if you write well, and your characters are real, and your plots are ingenious, then I don´t see the distinction between literary fiction and genre fiction. Raymond Chandler is a superb writer of novels, John le Carré is a very important contemporary novelist, but he happens to write spy novels and Chandler wrote detective novels. I think that if the writing is good then the genre is irrelevant. Many, many so called 'literary' novelists have written a spy novel, me included - I´ve written two - Ian McEwan has written two, John Banville has written a spy novel. Joseph Conrad wrote two, Graham Greene wrote several. There´s absolutely no reason why, if you think of yourself as a literary novelist, you shouldn´t venture into a genre - just write as well as you can."

 

Nur ungebildete, bürgerliche Feuilletonisten schreien heute noch begeistert in die Welt hinaus, daß sie nach Jahrzehnten des ungelenken Bemühens die für sie schwierige Schullektüre endlich verstehen (wie etwa über Georg Büchner unlängst, der vom medialen Meßdiener Mattussek im "Spiegel" gerade wiederentdeckt wurde - was keinesfalls gegen Büchner spricht).

Für Boyd, der 1969 erstmals nach England kam und in Ghana und Nigeria aufwuchs, war es ein besonders intensives Jahr:

 

"... the thing about 1969 that I remember, and I was seventeen in 1969, was that it was the first time I came to London. I grew up in Africa and ´69 was my summer in London. I remember watching the moon shot in a horrible flat in Pimlico, I remember the music, and I remember the fashions. So, it was great for me to go back to my seventeen-year-old self and imagine the world I was going to put Bond in. There was a lot going on in ´69. It was a very interesting period, and of course London was also at the height of its 'Swinging London' coolness. We think of the 60s and London, but actually 'Swinging London' didn’t really begin until ´65, ´66. So, to think of Bond in London in ´69 is very intriguing. I can remember it vividly ... going back to 1969 is blissful. There´s not even security checks at the airport. You can smoke everywhere! So, it was fun to time travel."

 

Es war eine Zeit des Umbruchs, in der "ein intelligenter Mann wie Bond die gesellschaftlichen Veränderungen wahrnimmt". Es war auch die Zeit der Greuel des Biafra-Krieges, die Boyd sicherlich besonders intensiv wahrgenommen hat. Perverserweise standen damals sowohl Briten als auch Sowjets auf Seiten Nigerias, um ihre Öl-Interessen zu sichern. Ein anderer großer Thriller-Autor, Frederick Forsyth, war zur selben Zeit als junger Kriegskorrespondent in Biafra und verlor seinen Job, weil er Partei für die Sezessionisten ergriffen hatte (Freddies erstes Buch war ein Sachbuch über den Biafra-Krieg).

Boyd greift in "Solo" auf diesen Ölkrieg zurück, dem wir den schönen Begriff "Biafra-Kind" verdanken (Boyd führt dieses Bild im Roman auf und deprimiert nicht nur den Leser, sondern auch 007) - ein Synonym für verhungernde Kinder, die bereits verreckt waren, wenn ihr Photo in den Verursacherländern für heuchlerische Betroffenheit sorgte. Boyd verschlüsselt Nigeria und Biafra mit fiktiven Ländernamen (Zamzarin und Dahum), folgt aber weitgehend der damaligen Realität. Bond kommt genau in dem Moment ins fiktive Biafra, als sich die Fronten 1969 festgefressen hatten. "Ich muß meine Romane zeitlich und örtlich genau verankern - egal, ob sie im Wien von 1914 oder auf den Philippinen von 1902 spielen", sagt der Autor. Das bringt einen interessanten neuen Aspekt in die Bond-Saga: Bisher hatte man 007 nur in reinen Kommandounternehmen gesehen, Boyd zeigt ihn in heißen Kriegshandlungen, sowohl in Afrika als auch auch in Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg.

Wenn Bond zum Autohändler geht, um den damals - ich erinnere mich noch gut an dieses Geschoß - hochgeschätzten Jensen Interceptor zu begutachten, vermittelt Boyd dieselbe naive Freude an außergewöhnlicher Konsumtechnologie, die auch Fleming so faszinierend vermitteln konnte: die Unschuld einer vergangenen, unbewußten Zeit, das kindliche Bestaunen der Geschenke unterm Weihnachtsbaum.

Manchmal glaubt man den Meister selbst aus dem Grab zu hören, so genau trifft Boyd den amüsanten und arroganten Stil Flemings: "Bond hatte sich von den anderen abgesondert und ließ das drohende Chaos eines kleinen Landes auf sich wirken, das nach einer flüchtigen Phase der Selbstbehauptung dem Untergang geweiht war."

Boyd war nicht daran interessiert, Bond zu modernisieren oder akzeptabler für ein politisch korrektes Publikum zu machen: "Er ist ein Mann seiner Epoche. Er raucht und trinkt und tut alles, was der klassische Bond getan hat." Vom Film-Bond ist er so weit entfernt wie die "Tagesschau" von politischer Analyse. Allerdings verzichtet Boyd auch auf den antiquierten Chauvinismus und gelegentlichen Rassismus, die man bei Fleming findet und die ihn so leicht angreifbar machen (dabei sollte man allerdings berücksichtigen, daß Fleming ein Kind seiner Zeit und seiner sozialen Schicht war).


Kommen wir zum Fazit:

Hat mich der neue Bond so gepackt wie ein Roman von Ian Fleming?

Nein.

Aber was man mit 13 Jahren liest, hat nun mal eine andere Durchschlagskraft als etwas, das man Tausende Thriller später in die Hände kriegt. Boyds Bond-Roman ist der Beste seit Kingsley Amis´ "Colonel Sun". Ihn unterscheiden Welten vom Quatsch eines John Gardner oder Jeffrey Deaver. Und das ist gut so.

 

Martin Compart

William Boyd - Solo

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Berlin Verlag (2013)

 

(Autorenphoto: Berlin Verlag)

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