Stories_Western von gestern, Pt. 2
Rauchende Colts
Lange bevor HBO mit "Deadwood" für Begeisterung sorgte oder Clint Eastwood zur Italo-Legende avancierte, flogen Erwachsenen im US-Fernsehen bereits erfolgreich die Kugeln um die Ohren. Martin Compart über Wildwest im Serienformat.
02.02.2009
Sie hießen Hoss, Manolito oder Marshall Dillon. Sie traten Saloon-Türen ein, feuerten um die Ecke und verwüsteten alles, was sich zwischen ihnen und "dem Feind" befand. Wenn es darum ging, die eigene Farm, das eigene Land oder den "American Way of Life" zu verteidigen, wurden Gefangene nur deshalb gemacht, um sie auf der Flucht erschießen zu können.
Am liebsten prügelten sich diese Herrschaften in unseren Wohnzimmern beziehungsweise in denen unserer (Groß-)Eltern. Nicht die große Kinoleinwand war ihr angestammtes Zuhause, sondern der Fernsehapparat. Dort verkündeten sie allwöchentlich das Gesetz des Stärkeren.
Und alle waren hingerissen.
Die ersten richtigen TV-Serien waren Western für Jugendliche. Ab 1946 zeigte ein amerikanischer Sender die alten Film-Serials um "Hoppalong Cassidy" in neuen Schnittfassungen. Die Filme um den Cowboy-Darsteller William Boyd waren ein so gigantischer Erfolg, daß der Sender ab 1948 Originalfolgen um den Wildwest-Ritter produzieren ließ. Es waren naive, anspruchslose Geschichten, auf deren jeweiligem Höhepunkt Hoppy, wie er liebevoll von seinen Fans genannt wurde, mit seinem Pferd hinter den Bösen herjagte.
Doch immerhin handelte es sich um die ersten "draußen" produzierten Fernsehfilme. Ansonsten kannte man nur Dramen, wie etwa die Kriminalfälle von Martin Kane (ab 1949), die live im Studio auf der Bühne gespielt und übertragen wurden. Wilde Autojagden, wie sie später das Markenzeichen von Fernsehkrimis werden sollten, konnten da natürlich nicht stattfinden. Hoppy und die endlose Folge anderer Jugendwestern holten dagegen aufwendig die Natur auf den Bildschirm. Heute äußerst merkwürdig anmutende Serien wie die "Gene Autrey Show" oder die Abenteuer des singenden Cowboys "Roy Rogers" feierten Triumphe. Roy Rogers hatte gar einen Fanclub mit fast zwei Millionen Mitgliedern! Es waren die alten Konzepte und Helden der Serials, die neben den Komikern das Erscheinungsbild der Fernsehserie in diesen Pioniertagen bestimmten.
Die Fernsehsender hatten nur geringe Möglichkeiten, um richtige Serien zu produzieren, da sie über keine Filmstudios mit entsprechender Infrastruktur verfügten. Die frühen Live-Shows wurden fast ausschließlich am Ort des Senders - in kleinen Studios, in denen sonst die Nachrichten verlesen wurden - hergestellt. Also gab es auch kaum Möglichkeiten für unterschiedliche Bühnenbilder. Wenn Detektiv Martin Kane den Schauplatz wechselte, mußte während der Werbeunterbrechung blitzschnell die Dekoration umgebaut werden. In dieser Zeit waren vor allem vom Vaudeville kommende Komiker wie Milton Berle die großen Hits der Fernsehunterhaltung. Sie brauchten vor der Kamera nicht mehr technischen Aufwand, als sie es von der Bühne gewohnt waren.
Hollywood nahm anfangs das Fernsehen als Konkurrenz nicht ernst. Aber immer mehr Amerikaner gaben die Unsumme von 400 Dollar aus, um - wie es hieß - ein "Radio mit Bild" zu erwerben. Und das führte dann dazu, daß Hollywood seinen Bann über das Fernsehen schlug. Schauspieler, die für das neue Medium arbeiteten, konnten sich ein Engagement bei einem der Major-Studios abschminken.
Die erste Filmgesellschaft, die den Fernsehbann brach, war Walt Disney Productions. Sie stellte nicht nur die Studios für TV-Produktionen zur Verfügung, sondern produzierte für den Sender ABC ab 1954 die Anthologie-Reihe "Disneyland". In dieser Serie wurde ab Dezember 1954 als Dreiteiler die Geschichte des legendären Waldläufers, Indianerkämpfers und Kongreßabgeordneten Davy Crockett gezeigt.
Fess Parker, der in den 60er Jahren den nicht minder legendären Westmann Daniel Boone spielen sollte, war als Davy Crockett der erste Held der Fernsehgeschichte, der am Ende einer Serie ins Gras beißen mußte, bei der berühmten Schlacht um Fort Alamo. Diese Miniserie löste den ersten und gleichzeitig größten TV-Kult der 50er Jahre aus. Es gab kaum einen Jungen, der nicht mit Crocketts Waschbärenmütze herumlief ... Der Titelsong "The Ballad of Davy Crockett" wurde einer der größten Hits des Jahres. Verkauften wurden außerdem Crockett-Spielzeug, Schlafanzüge, Comics usw. usf. Erstmals erzeugte eine TV-Serie eine echte Merchandising-Industrie, die alle möglichen und unmöglichen Produkte herstellte, die mit dem Namen einer Fernsehpersönlichkeit verbunden wurden und sich deshalb verkauften.
Der Kino-Western boomte in den 50er Jahren. Aber auf dem Bildschirm sahen die Erwachsenen lediglich Helden wie Roy Rogers, den Lone Ranger oder Hoppalong Cassidy. Damit konnte man natürlich keinen volljährigen Western-Fan vor den Bildschirm locken. 1955 war das Jahr, in dem das Fernsehen den sogenannten adult Western entdeckte. Der Boykott der Hollywood-Studios wurde von Warner Brothers durchbrochen, die ab 1955 Fernsehserien produzierten und bis heute eine der größten TV-Produktionsgesellschaften geblieben sind. So war es möglich, daß in den kalifornischen Studios und in der freien Natur relativ aufwendig Westernserien produziert werden konnten.
Die Studios fanden schnell heraus, daß sie mit Fernsehwesternserien den Niedergang der Serials und B-Pictures ausgleichen konnten. Sie benutzten in den einzelnen Serien und Episoden die alten Formeln nochmal und verwendeten außerdem altes Filmmaterial von durchgehenden Rinderherden, Indianerangriffen etc., indem sie es einfach in die einzelnen Folgen reinschnitten, statt teuer neu zu drehen. Während ein durchschnittliches B-Picture zwischen 300.000 und 600.000 Dollar Produktionskosten verschlang, konnte man eine in fünf Tagen abgedrehte Serienfolge schon für 75.000 Dollar herstellen. Und die Einnahmen von Wiederholungen, syndikatisierten Re-runs und Auslandsverkäufen waren reiner Profit.
Die erste Westernserie, die sich auch an ein Erwachsenenpublikum wandte, war "Wyatt Earp" mit Hugh O´Brian. Doch es war die wenige Wochen später gestartete Serie "Gunsmoke" ("Rauchende Colts"), die den Boom des adult Western auslöste. Am 10. September 1955 um 22 Uhr sahen die amerikanischen Zuschauer des Senders CBS John Wayne vor einer Pferdekoppel stehen: Er begrüßte sie zur ersten Folge der neuen Serie über die Abenteuer eines Marshalls von Dodge City. Die Produzenten hatten ursprünglich Wayne für die Rolle von Marshall Dillon haben wollen. Der Schauspieler lehnte wegen seiner Filmverpflichtungen ab (wie später auch die Rolle des Jock Ewing in "Dallas"), machte die Produzenten aber auf James Arness aufmerksam.
"Gunsmoke" wurde die langlebigste Westernserie der Fernsehgeschichte. In 20 Jahren produzierte man 156 25-Minuten-Folgen in Schwarzweiß und 356 farbige 45-Minuten-Folgen. Ursprünglich war - wie so viele frühe Fernsehsendungen - auch "Rauchende Colts" eine Radioserie, in der William Conrad, der spätere "Cannon", von 1952 an neun Jahre Marshall Dillon sprach. Von 1962 bis 1965 spielte Burt Reynolds in einer ständigen Nebenrolle den halbindianischen Schmied Quint Asper.
Der Riesenerfolg von "Gunsmoke" zog eine ungeheure Zahl weiterer Westernserien nach sich: "Cheyenne", "Wagonmaster", "Laramie", "Maverick", "Have Gun, Will Travel", um nur einige zu nennen. Den Höhepunkt erreichte die Westernwelle von 1957 bis 1959: 1957 wurden 28 neue Westernserien gestartet, 1959 sogar 32, und unter den zehn meistgesehenen Programmen waren sieben Westernserien ("Gunsmoke", "Wagon Train", "Have Gun, Will Travel", "The Rifleman", "Maverick", "Tales of Wells Fargo" und "Wyatt Earp"). Etwa 120 verschiedene Westernserien wurden zwischen 1948 und 1972 produziert.
Nicht ganz so langlebig wie "Gunsmoke", aber nicht minder erfolgreich war "Bonanza". Die Serie lief von 1959 bis 1973 mit 440 Folgen und war die erste komplett in Farbe produzierte Fernsehserie. Sie verband äußerst geschickt den Western mit der Familienserie. Diese erfolgreichste US-Serie der 50er Jahre wurde Anfang der 60er bereits in 59 Länder verkauft und erreichte wöchentlich weltweit 350 Millionen Zuschauer - und das, obwohl es 1958 nur in 26 Ländern der Erde kommerzielles Fernsehen gab.
Offensichtlich gefiel es weltweit, wenn die Cartwrights mit dem Colt in der Faust jede äußere Bedrohung ihrer konservativen Werte beantworteten. Als Botschafter des "American Way of Life" waren sie ein nicht zu unterschätzender Faktor im Kalten Krieg der Ideologien. Keine andere Serie war ähnlich frauenfeindlich und ritt so penetrant auf Wertmaßstäben wie Familie, Eigentum, Autoritätshörigkeit und der Lüge von der Chancengleichheit herum. Der große Erfolg der US-Western in den 50er Jahren hatte sicher auch mit dem Selbstverständnis der Amerikaner als Weltpolizisten zu tun. Bevor die sich ankündigenden Veränderungen der 6oer Jahre durchbrechen konnten, begegnete ihnen das konservative Amerika auch mit der scharfen Waffe Fernsehserie, in der die als uramerikanisch angesehenen Tugenden verklärt wurden.
Nach dem großen Westernsterben von 1966 konnte sich nur noch eine Westernserie in der Gunst des Publikums durchsetzen: "High Chaparral", die es immerhin auf vier Jahre Laufzeit und 96 Folgen brachte. "Bonanza"-Produzent David Dortort sah, daß im Kino der härtere Italo-Western der klassischen US-Pferdeoper den Rang ablief. Er reagierte darauf, indem er das Konzept der klassischen Familienwestern - wie "Big Valley" oder "Bonanza" - härter machte.
So ist Familienoberhaupt John Cannon in "High Chaparral" ein harter, manchmal ungerechter Mann, der immer wieder in Konflikte mit seinem ihm zu weich erscheinenden Sohn Blue Boy gerät. Die Handlung spielt in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts in Arizona. Im Gegensatz zu den Cartwrights aus "Bonanza" hat John Cannon, unterstützt von seinem Bruder Buck, seiner mexikanischen Frau Victoria, deren Bruder Manolito, seinem Sohn und einigen Cowboys, die Wildnis noch nicht besiegt. Die Cannons müssen ihren gerade erworbenen Besitz noch gegen Angreifer von außen, ob Indianer, Banditen oder die wilde Natur, verteidigen.
Die in der Konzeption angesiedelte Härte setzte sich auch in der filmischen Darstellung um. Obwohl "High Chaparral" heute harmlos erscheint, war die Serie für die Zuschauer der 60er Jahre ungewohnt brutal und löste auch bei der deutschen Erstaustrahlung im ZDF eine Diskussion um Gewalttätigkeit im Fernsehen aus. Selten wurden für eine TV-Westernserie so viele kostspielige Außenaufnahmen gemacht. Die restlichen Szenen der von Dortorts Xanadu Productions für den Sender NBC produzierten Folgen wurden in den Paramount Studios abgedreht. Obwohl die Serie weltweit erfolgreich in über 60 Ländern gezeigt wurde, war sie in den USA nie ein wirklicher Hit. Sie kam nie unter die 25 meistgesehenen Fernsehprogramme und erhielt auch nie einen Emmy Award.
Als "High Chaparral" 1971 eingestellt wurde, war es mit den US-amerikanischen TV-Heimatfilmen vorbei - zumindest für eine Zeitlang. Sieht man von der Serie "Dr. Quinn" ab, die sich zwar im Wilden Westen abspielte, aber ausgewiesene Western-Fans eher zum Früh-Schlafengehen animierte, dauerte es bis "Deadwood", daß man wieder von einem ernstzunehmenden Fernsehwestern sprechen konnte: ohne klassische Helden, dafür mit einer drastisch erhöhten Blut- und Schußwundenquote, was auch die Zuschauer anzog, denen die alten Westernserien um einiges zu bieder waren.
Irgendwie ist der Western wohl auch nicht ganz totzukriegen, im Kino wie im TV.
Und wer jetzt das Gegenteil behauptet, erhält von uns postwendend eine Fahrkarte zur Ponderosa. Oder zur Shiloh-Ranch. Oder - für die ganz Unbelehrbaren - nach Deadwood.
One Way Ticket.
Martin Compart
Kommentare_