Viennale 2007
Stories_Viennale 2007/Journal II
Verschwindsucht
Neulich auf der Viennale: Todd Haynes läßt Bob Dylan in der eigenen Biographie verschwinden, Gus van Sant einen Teenager unter der Last der Schuld - und Ridley Scott wieder einmal Replikanten unter Menschen. 27.10.2007
Und dann steht auf einmal I´m Not There, das Bob-Dylan-Biopic, auf dem Spielplan. Es gibt wahrlich angenehmere Reporterverpflichtungen. Schließlich ist es ja nicht unbedingt so, daß man in den vergangenen Jahren einen Mangel an Musikerbiographien erleben mußte (wohl aber einen an wirklich gelungenen, was für "Ray" gilt und mit Abstrichen leider ebenso für "Walk The Line"). Zudem mag dem Außenberichterstatter ja so manches zuzuschreiben zu sein, eines aber sicher nicht: ein gesteigertes Interesse für den Dylanschen Bob.
Die Verlockungen für den Vorstellungsbesuch waren also woanders zu finden. Zum einen bei Regisseur Todd Haynes, den man spätestens seit "Velvet Goldmine", aber an sich schon seit seinem Frühwerk "Superstar: The Karen Carpenter Story" konstatieren muß, daß er Musikerleben in all ihren immanenten High- und Lowlights abbilden kann wie kaum ein anderer gegenwärtiger Filmemacher. Zum anderen in Haynes´ recht unkonventioneller Herangehensweise, die Rolle des Dylan (dessen Name im Film nicht vorkommt) gleich mit sechs verschiedenen Darstellern zu besetzen, darunter einem schwarzen Kid und einer Frau (Cate Blanchett), um so die diversen Schaffens- und Lebensphasen des Folk-Musikers aufzubrechen und pluralistisch-gesondert - auch vermittels variierender Bildsprachen - abzuhandeln; wenngleich auch in zunächst scheinbar wild durcheinandergewürfelter Anordnung.
Und so sehr einen der Ansatz anfangs auch noch konfus zurückläßt, etwa weil man die diversen Insider-Schmähs erst mühevoll dekodieren muß, so sehr nimmt einen Haynes´ Zugang nach dieser Gewöhnungsphase gefangen. Angekurbelt von der großteils phantastischen Darstellerriege - allen voran Blanchett sowie Christian Bale, der herausragende Schauspieler unserer Tage - switcht der Filmemacher zwischen den diversen Inkarnationen, zwischen Bibel-Bob und Drogen-Dylan, hin und her und verliert dabei doch nie den roten Faden. Am Ende dieses verwirrenden, letztlich aber doch auch erhellenden Ereignisses kommt man zu dem Schluß, daß "I´m Not There" wohl der Sonderfall eines Biopics ist, das einen Mythos nicht bis ins letzte Detail zerlegt, sondern ihn geradezu noch zu erhöhen und verstärken weiß - etwas, das man auch Johnny Cash gewünscht hätte.
Wir bleiben beim US-Kino und bei einem weiteren Formwandler zwischen Mainstream und Avantgarde. Wobei man Gus van Sant zuletzt eine eindeutige Schlagseite zu zweiterem zugestehen mußte. Paranoid Park schlägt in dieselbe Kerbe, die man auch schon bei "Elephant", "Gerry" und "Last Days" wahlweise geliebt oder verteufelt hat (oft abwechselnd beides im Laufe eines einzelnen Films). Auch hier gibt es wieder atmosphärisch dahinfließendes, sich der Allmacht des beobachtenden Bildes radikal unterordnendes Kunstkino, das sich insbesonders dem Verlorensein von Heranwachsenden annähert.
In "Paranoid Park" fangen die hypnotischen Bilder von Wong-kar-Wai-Stammkollaborateur Christopher Doyle die Geschichte eines Scheidungskindes ein, dessen zerrütteter Alltag sich im Großen und Ganzen aus Abhängen im titelspendenden Skate-Park für Outsider und des Begreifens seiner Schuld an einem von ihm verursachten tödlichen Unfall zusammensetzt. Das hat (vor allem zum Ende hin) nicht immer den Biß und Nachdruck, den man sich eventuell wünschen würde, generiert aber durch die eine oder andere geniale Kombination von Bild und Ton einschneidende Sinneseindrücke, die man auch noch lang nach dem Verlassen des Kinosaals mit sich herumträgt.
Wenn die Sinneseindrücke nicht bloße einige Stunden oder Tage überdauern, sondern Monate oder gar Jahre, dann spricht man gemeinhin von einem Klassiker. Auf wenige Filme trifft diese Bezeichnung so zu wie auf Blade Runner, einen der wohl drei wichtigsten SF-Streifen aller Zeiten. Wie wenig aber wirklich von der Magie von Ridley Scotts Adaption des Philip-K.-Dick-Werks "Do Robots Dream Of Electric Sheep?" verlorengegangen ist, beweist der zum 25. Jubiläum nun endlich veröffentlichte "Final Cut" des Films, der nicht nur den ominösen "Director´s Cut" von 1992 alt aussehen läßt, sondern eben auch so ziemlich alles, was einem dieser Tage so als Science Fiction serviert wird.
Während man dann so im Saal sitzt, versunken in die zeitlos genialen Dekors, die Kamerafahrten durch das von vielen guten Geistern verlassene Los Angeles des Jahres 2019 (!) und den immer noch bombastischen Score von Vangelis, wird einem wieder einmal schmerzlich bewußt, daß es Filme gibt, die man sich schlichtweg nur im Kino ansehen kann, wenn man ihre ganze Strahlkraft erleben und verstehen möchte. Weswegen die im Dezember in diversen Boxenformen erscheinende DVD-Fassung des "Final Cut" (eine detaillierte Aufstellung der Änderungen findet sich in den Links) auch nur eine Ergänzung sein kann zu hoffentlich noch weiteren Vorführungen in den Lichtspielhäusern des Landes.
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