Jian gui (The Eye)
Hongkong/Thailand 2002
98 Min.
Regie: Danny & Oxide Pang
Darsteller: Anjelica Lee, Lawrence Chou u. a.
Expeditionen ins Surreal-Übersinnliche: der subtile Schocker "Jian gui (The Eye)" der talentierten Pang-Brüder und Wayne Kramers Loser-Porträt "The Cooler". 23.10.2003
Jahr für Jahr dasselbe Muster: ein eng gesteckter Terminkalender und die daraus resultierende Filmvorselektion lassen das persönliche Viennale-Pendel bis auf einige Ausnahmen zuungunsten von Dokumentationen schwer in Richtung Spielfilm ausschlagen. Oder: wenn die Fiktion über die Fakten obsiegt (befragen sie dazu einmal den EVOLVER-Experten Benny Denes). So stehen auch im zweiten Teil dieses Journals in erster Linie Filme im Mittelpunkt, die weniger im Bildungsauftrag denn im Erzählen rätselhafter und merkwürdiger Geschichten ihre Bestimmung haben. "Twilight Zone" statt "Discovery Channel" oder so ähnlich...
JIAN GUI (THE EYE)
Seeing is believing. Oder doch nicht? Das ist die Zentralfrage in "Jian gui (The Eye)", dem neuen Film des spätestens seit dem exzellenten und ultra-stylishen Low-Budget-Yakuza-Streifens "Bangkok Dangerous" rund um einen taubstummen Profikiller nicht mehr nur in Asia-Film-Connaisseuren hochgeschätzten Zwillingsbrüderpaars Danny und Oxide Pang. Daß die zwischen Thailand und Hongkong operierenden Allesselbermacher (Regie, Drehbuch, Schnitt, Sounddesign) mit diesmal aufgestocktem Produktionsbudget aber ein derart imponierendes Zeugnis ihres Talents ablegen, ist dabei umso positiver. So soll etwa (hüstel again!) Tom Cruise vor lauter Begeisterung jüngst die weltweiten Remake-Rechte erstanden haben (was immer man auch davon befürchten muß), und allzulange dürfte es auch nicht mehr andauern, bis den Pang-Brüdern diverseste Hollywood-Produzentenmogule, von deren originärer Bildästhetik angelockt, mit dicken Gehaltsschecks unter der Nase herumwedeln werden. Anyway, sie müssen ja nicht gleich John-Woo-like abstürzen dabei...
Zur Story: Die junge Mun (Anjelica Lee) unterzieht sich einer Hornhauttransplantation, um ihr Augenlicht wieder zu erlangen, nachdem sie fast ihr gesamtes bisheriges Leben in Blindheit verbracht hat. Langsam beginnt sie ihre Sehfähigkeit wiederzuerlangen, nimmt zunächst Schemen und von Tag zu Tag immer mehr Details wahr, bis sie schließlich Sachen sieht oder zu sehen glaubt, die anderen scheinbar verborgen bleiben. Richtig geraten, sie sieht "tote Menschen" (© Cole Sear) bzw. kann den Tod vorhersehen, besitzt also so etwas wie den "sechsten Sinn". Speziell jene Augenblicke(!), in denen Mun von jenen ihr unerklärlichen Erscheinungen geplagt wird, sich dabei aber nie wirklich sicher sein kann, ob diese einer ihr bis vor kurzem visuell unbekannten und fremden Realität oder etwas darüber Hinausgehendem, gar Paranormalem entstammen, verstehen es in weiterer Folge des öfteren, akuten und massiven Gänsehautalarm beim Zuseher auszulösen. Nur: welches dunkle Geheimnis verbirgt sich hinter den Visionen?
Asia-Horror-Kracher des Kalibers "Ringu (Ring)" oder "Kairo (Pulse)" haben es vorgemacht: Durch billige Schockeffekte und literweise Theaterblut vordergründig inszenierter Horror läßt einen nicht annähernd so spürbar erschaudern wie das Grauen, das oft lediglich vagen Andeutungen entspringend im eigenen Kopf (und dort umso nachhaltiger) seine Kapriolen schlägt. In visuell eindringlichem Stil knüpft der Pangsche Ausflug ins Horrorgenre nahtlos an erwähnte Großtaten an: "Jian gui (The Eye)" ist atmosphärisch ungeheuer dichtes und düsteres, wenngleich auch alles andere als neues Terrain erkundendes Suspense-Kino, simpel und effektiv gehalten sowohl in Story als auch in Botschaft: Draußen ist feindlich. Immer wieder, immer noch.
THE COOLER
Wenn auch mitnichten eine der klassisch übersinnlichen und unheimlichen Geschichten aus der Zwischenwelt von Geistern, Dämonen und mysteriösen Kräften, so ist die vom Südafrikaner Wayne Kramer in seinem Hollywood-Erstling "The Cooler" erzählte doch eine, die ob ihrer latenten Merkwürdigkeit und Kuriosität immer noch für eine jener besonders absurden Episoden der "X-Files" gut gewesen wäre. Sie erzählt vom ultimativen Loser Bernie Lootz (William H. Macy) - einem, der nicht bloß Pech hat, sondern dieses nachgerade in seiner puren Essenz verkörpert und es dabei sogar zum Beruf gemacht hat: In einem großen Vegas-Casino fungiert er als professioneller Cooler, als einer, der allzu siegreichen Spielern durch seine schiere Präsenz ihre Glückssträhne zu vermiesen mag. Bernie hat Pech im Spiel und Pech in der Liebe, seine Pflanzen verdorren, seine Katze ist weggelaufen, und das Obers ist ganz sicher dann ausgegangen, wenn er einen Kaffee bestellt. Er ist, wie es sein Boß Shelly (Alec Baldwin) formuliert, "wandelndes Kryptonit", das personifizierte Unheil, eine Pechmarie seiner Zeit. Aus der aber eines Tages, als die attraktive Kellnerin Natalie (Maria Bello) für Bernie entflammt, eine Glücksmarie zu werden scheint. Und das sehr zum Mißfallen Shellys, denn jetzt gewinnen die Casinobesucher plötzlich, anstatt zu verlieren, wenn ihnen Bernie begegnet.
"The Cooler" ist, wie erwähnt, ein eigenartiges Vergnügen: ein grotesker Mix aus Komödie, Mystery, Drama und Mafia-Flic, der nicht nur aufgrund inszenatorischer Feinarbeit oder ausgeklügelter Dramaturgie, sondern vielmehr wegen der darstellerischen Glanzleistungen seiner drei Hauptakteure glückt. Der unnachahmliche William H. Macy, die wie zuletzt in "Auto Focus" betont charismatisch agierende Maria Bello und der wiedererstarkte Alec Baldwin als fieser Casino-Tycoon, sie tragen und prägen diesen Streifen, dem man zwar (auch wegen der expliziten Schaustellung von Sex- und Gewaltszenen) seine Nähe zu Scorseses "Casino" nicht absprechen kann, dessen eigenwillige Chemie einen aber doch über die gesamte Filmlänge gefesselt hält.
Jian gui (The Eye)
Hongkong/Thailand 2002
98 Min.
Regie: Danny & Oxide Pang
Darsteller: Anjelica Lee, Lawrence Chou u. a.
The Cooler
USA 2003
102 Min.
Regie: Wayne Kramer
Darsteller: William H. Macy, Maria Bello u. a.
Im finalen Teil der EVOLVER-Festival-Berichterstattung müssen sowohl Woody Harrelson als auch Mads Mikkelsen mit einem ihnen feindlich gesinnten Umfeld fertig werden - freilich aus ganz unterschiedlichen Gründen. Hereinspaziert in "Rampart" und "Jagten".
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Daß das /slashfilmfestival im Wiener Filmcasino eine gar nicht genug zu lobende Bereicherung der heimischen Kinolandschaft darstellt, hat sich längst herumgesprochen. Der EVOLVER stellt ausgewählte Glanzlichter des dritten Durchgangs vor.
Das dritte und letzte Kapitel unserer Viennale-Berichterstattung steht im Zeichen der Unruhe vor dem Sturm - und damit der beeindruckendsten Arbeit des Festivals: "Take Shelter".
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