Stories_Verschwundenes Weinviertel

"Da kumm i dann nimma"

Regionale oder saisonale Küche wird heutzutage gern als etwas Besonderes gewertet. Dabei war dieses Angebot seinerzeit so normal wie der Mangel an makrobiotischer Kost beim Würstelstand. Martin Zellhofer im Gespräch mit Josef Planer über das Verschwinden des klassischen Dorfwirtshauses.    21.06.2016

Sehr lange Zeit bestand in vielen Dörfern eine Dreifaltigkeit aus Volksschule, Greißler und Wirtshaus. Als erstes verschwanden meistens die kleinen Schulen aus den Ortschaften. Später die Greißler, dann die Wirten. Josef Planer, Sproß einer Wirtsfamilie in einem kleinen Dorf im südlichen Weinviertel, erinnert sich an Kegelbahn, Extrazimmer, Besucherschwund und eine Vergangenheit, die ihn nie ganz losgelassen hat. Martin Zellhofer sprach für sein Buch "Verschwundenes Weinviertel" mit Planer über das Verschwinden des klassischen Dorfwirtshauses.

Lesen Sie hier den ersten Teil.

 

 

Wie sah das Speiseangebot damals aus?

Speisekarte gab es keine; serviert wurde ausschließlich Hausmannskost, der Schwerpunkt lag auf Fleisch. Es gab gekochtes Rindfleisch mit Zwiebelsauce oder Paradeissauce, mit Kohl oder Gemüse. Es gab Gulasch, Schweinsbraten, Faschiertes, Rostbraten, Rindsbraten, Rindsrouladen und diverse Würste. Wobei die Gäste - abgesehen von Gulasch und Würstel, was man immer bestellen konnte - das aßen, was sowieso für die Familie gekocht wurde. Extra gekocht wurde nur für Gruppen ab vier Personen oder nach Voranmeldung.

Solange die Fleischerei existierte, haben wir das meiste selbst gemacht, später dann haben wir nur noch Leberwürste und Bratwürste selbst hergestellt. Da kam nie jemand, der vegetarisch essen wollte! Zweimal in der Woche, Montag und Freitag, wurde allerdings Mehlspeise angeboten. Dazu gab es hauptsächlich Bier, Wein und Limonade. Kaffee gab es auch.

 

Heute legt man wieder Wert auf Regionales und Saisonales, aber war das damals üblich?

Die Schweine waren von uns, das Rind mußten wir zukaufen. Für bestimmte Speisen waren bestimmte Teile notwendig, das hätten wir mit eigenen Rindern nicht abdecken können. Eier, Erdäpfel, Gemüse, Schmalz - das hatten wir alles selbst.

Zukaufen mußten wir hauptsächlich Speiseöl und Butter. Tiefgekühltes, so wie das heute zum Beispiel mit Pizza gemacht wird, gab es nicht. Wenn einmal Würstel übriggeblieben sind, haben wir die natürlich schon eingefroren und später wieder aufgetaut. 

 

Wer arbeitete denn im Wirtshaus?

Während der Woche im wesentlichen die Großmutter alleine, außer bei größeren Veranstaltungen. Am Sonntag der Vater, die Mutter und die Großmutter, ich natürlich auch. Es waren immer nur Familienmitglieder. Wir besorgten die Küche und die Ausschank, das Servieren und Kassieren ... Wir hatten täglich ab sieben Uhr früh geöffnet - bis der letzte Gast gegangen war.

 

Warum wurde das Gasthaus Ende der 1980er Jahre geschlossen?

Nach der Auflassung der Fleischerei und der Betriebsteilung in Landwirtschaft und Gasthaus wäre es auf Dauer unmöglich gewesen, das Gasthaus als solches weiter zu betreiben. 1989 hat man schließlich keinen Weg mehr gesehen, das Gasthaus weiter zu führen. Die Familie wurde auch nicht jünger.

Mein Beruf mit Dienstbeginn um fünf Uhr morgens und Wochenenddiensten hat es nicht zugelassen, ein Wirtshaus zu führen. Meine Frau hatte eine andere Arbeit. Wir sind sechs Geschwister, die alle weggeheiratet haben; keiner hatte Interesse, das Gasthaus zu übernehmen. Bei den großen Events haben wir alle als freiwillige, unbezahlte Helfer mitgearbeitet, aber Personal hätte man sich nicht leisten können, das wäre ein Verlustgeschäft gewesen. Es war auch ein gewisser Gesetzesdruck vorhanden, wir hätten aufgrund ständig neuer und strenger Auflagen massive Umbauarbeiten durchführen müssen.

 

Dazu kommt vermutlich, daß auch immer weniger Leute ins Gasthaus kamen?

Ja. Einen konkreten Zeitpunkt kann ich nicht nennen, aber ab circa 1970 ging es bergab. Immer, wenn irgendein örtlicher Verein aufhörte, ging auch die Frequenz im Gasthaus zurück, so zum Beispiel, als die Bank ihre Banktage aufgegeben hat. Wir hatten auch eine Greißlerei im Ort, die hat wegen Kundenschwund zugesperrt. Warum Kundenschwund bei denen? Es sind rund zehn Kilometer von hier entfernt in Stockerau Supermärkte aufgekommen, das Warenangebot war einfach anders und billiger. Die Betriebe im Ort hatten da einfach keine Chance.

 

Gehen Sie heute selber viel in Wirtshäuser?

Selten. Es ist schwer, ein Gasthaus zu finden, von dem ich sagen kann, daß es mir hier besser schmeckt als daheim. Es gibt eines im Ersten in Wien, der hat ungefähr zu 90 Prozent die Speisekarte, die ich heute als Wirt auch haben würde. Die Speisekarte paßt auf ein Blatt; es ist nicht ganz billig, aber gut! Der Gasthaustest erfolgt bei mir über das Gulasch: Schmeckt das nicht, brauch ich auch sonst nichts mehr. Da kumm i dann nimma.

 

Vergleichen Sie diese Gasthäuser dann mit "Ihrem" Betrieb?

Ja! Gestern war ich mit meinem Sohn in einem Gasthaus. Die Einrichtung urig, das Lokal voll, das Essen na ja ... die Schank hat ähnlich ausgeschaut wie bei uns, der Kühlschrank war in die Wand eingelassen mit Holztüren ... das durfte man damals nicht mehr haben! Das mußte einer aus rostfreiem Stahl sein! Jetzt scheint man sich wieder zu besinnen ...

 

Was sagen denn Sie zum Thema Wirtshaussterben?

Wenn man in einem Gebiet mit ein wenig Fremdenverkehr oder Durchzugsverkehr ist, wenn man sich keine Spompanadeln in der Küche leistet, dann kann´s funktionieren. Wichtig ist auch, ob größere Betriebe in der Umgebung für eine regelmäßige Frequenz sorgen können. Oder man bietet etwas, das im weiten Umkreis niemand hat, daß die Leute extra kommen. Und ich spreche da nicht vom Gulasch, das wird wohl zu wenig sein ... Dann muß man aber auch zu günstigem Personal kommen - und das kann nur aus der eigenen Familie stammen, sonst wird´s schwierig. Ich glaub´, die Personalkosten, verbunden mit niedriger Kundenzahl, sind ein wesentlicher Grund für das Wirtshaussterben.

 

Wirtshäuser sperren nach wie vor zu. Woran liegt denn das abseits der Personalkosten?

An den gleichen Gründen wie vor 20, 30 Jahren auch. Aber das würde ich nicht so eng sehen: Es machen auch neue Gasthäuser auf. Und vielleicht ginge es auch bei uns heute besser. In unserer bis in die 1980er, 1990er Jahre bäuerlich dominierten Gemeinde wurde mittags zu Hause gekocht. Mittlerweile hat sich die Bewohnerstruktur im Dorf geändert. Hier wohnen jetzt viele neu Zugezogene, auch Arbeitnehmer. Die würden vielleicht mittags gern einmal wohin essen gehen. Das müßte man in seine Überlegung miteinbeziehen, wenn man vor der Entscheidung stünde, ein Lokal zu eröffnen.

 

 

Nachsatz: Oberhautzental verfügte über eine Schule, einen Greißler und das Wirtshaus Planer. Davon existiert heute nichts mehr. Das Wirtshaus wurde beim Umbau zu einem Wohnhaus innen komplett umgestaltet. Die alte Wirtshauseinrichtung (Tische, Stühle, Teile des Geschirrs) findet in einem Anbau, der gelegentlich dem Dorf zur Verfügung gestellt wird und privat für verschiedene Anlässe genutzt wird, Verwendung. Dort entstanden die gezeigten Photos. Die Schreibweise von "Planner" (wie am Geschirr ersichtlich) zu dem heute gebräuchlichen "Planer" ergab sich vermutlich aufgrund eines Schreibfehlers eines Beamten nach dem Zweiten Weltkrieg.

Martin Zellhofer

Karl und Martin Zellhofer - Verschwundenes Weinviertel

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Edition Winkler-Hermaden (A 2016)

Über Greißler und Wirtshäuser, Kinos und Schulen, Bahnhöfe und Ziegelwerke, die es nicht mehr gibt

 

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