Stories_Rokko´s Adventures im EVOLVER # 16, Pt. 1

Unsere Feinde: der Knochen und die Schwerkraft

"Hat´s dir nicht gefallen, dann bohr dir doch ein Loch ins Knie", sangen einst Jim Hensons Fraggles. Für die wahre Erleuchtung penetrieren manche jedoch lieber ihre Schädeldecke. Grund genug für Rokko, sich genauer mit dieser Praktik auseinanderzusetzen: der Trepanation.    16.04.2009

(Anm. des Verfassers: Ein kleiner Aufsatz sollte es werden, ein ganzes Buch ist daraus entstanden. Die verschiedenen Aspekte der Schädelbohrung sind mir bald über den Kopf gewachsen und haben sich dort überschlagen. Versuchen wir es trotzdem mit einem kleinen Auszug.)

 

Was will er schon wieder? Es geht, wie gesagt, um Trepanation. Trepanation steht für mehrere Arten operativer Eingriffe, bei denen fest Verschlossenes aufgegraben wird. Ich für meinen Teil möchte diese kleine Berichterstattung dem Löcherbohren in den Schädel widmen, sowie der Geschichte und der Anwendung in verschiedenen Zeiten unter verschiedenen Vorzeichen. Beginnen wir also mit der Theorie, damit wir die spätere Richtungsänderung auch verstehen.

 

Historisch betrachtet

 

Den Schädelknochen zu durchlöchern ist eine Praktik, die seit quasi ewig in jeder Kultur angewandt wird - die ersten handfesten Beweise finden wir um etwa 10.000 v. Chr. Die Löcher sind verschieden groß, von knapp über null bis zu fünf cm Durchmesser ist alles dabei. Für die Gründe der Anwendung einer Trepanation gibt es verschiedene Annahmen, medizinische wie religiöse klingen beiderlei einleuchtend: ein Loch im Schädel, und raus der Dämon, oder rein das Gute - kommt drauf an, ob sich der böse Nachbar oder der nette Onkel den Meißel an den Kopf setzt.

Tatsächlich belegen unzählige Schädelfunde aus allen Teilen der Welt die Trepanation als einen der ältesten chirurgischen Eingriffe am lebenden Menschen. Bei Kopfschmerzen oder -verletzungen brachen die zuständigen Heiler ganze Münzen aus dem Schädel des Patienten, die hinterher oft als Schmuck dienten, aber auch im Rahmen magischer Riten zum Einsatz kamen. Ebenso wurden schmucke Amulette aus den entnommenen Knochenstücken gefertigt, eine durchaus zeitgemäße Alternative zu blutigen Diamanten. Woher will man wissen, daß es sich bei den Funden nicht um bloße Ritualrückstände an Leichen handelt, sondern die Eingriffe an durchaus lebendigen Kollegen durchgeführt worden sind? Nun, weil etwa um die 70 Prozent der gefundenen Schädel mit Luke Heilungsprozesse aufweisen.

Das Schädelöffnen ging über die Jahrtausende dahin, bis die Christen meinten, man dürfe sich zwar geißeln, aber den gottgewollten Kopf nicht senkrecht durchmassieren - was dazu führte, daß im frühen Mittelalter nur sehr wenige, und wenn, dann nur geheime Unternehmungen dieser Art ausgeführt worden sind. Zur gleichen Zeit wurden Ritterhelme erfunden. Im 16. Jahrhundert - Martin Luther wirft seine Tafeln, Augsburger Religionsfrieden, die Türken bringen uns endlich Kaffee -, mitten in dieser stürmischen Zeit werden Hammer und Meißel durch Schraubapparate und (noch primitive) Bohrwerkzeuge ersetzt. Doch akkurat zur selben Zeit fing auch die Scharlatanerie an zu sprießen, als man merkte, man könne mit Schädelöffnungen Gulden machen, und so wurden gegen finanzielle Leistungen ganze Tiere (hüstel ...) aus menschlichen Köpfen befreit.

Das 18. und das 19. Jahrhundert waren gleichfalls top für die Trepanateure und alle, die es werden wollten, Konjunktur!! Solange, bis die Schulmedizin anfing, semiprofessionell an Hirn und Schädel herumzufuhrwerken.

 

Im 20. Jahrhundert

 

Das passierte am Anfang des 20. Jahrhunderts, wo aber auch noch starkbrüstige Ethnologen und Haudrauf-Dandies durch die Welt fuhren, um den Topos des Guten Wilden zu verifizieren und nach "dem Exotischen" zu suchen. Der österreichische Bohemien Max Lersch war der erste, der - es war 1958, wenn ich mich recht erinnere - eine Trepanation filmte. Dies trug sich bei der ostafrikanischen Kisii-Ethnie zu, an dem Platz, wo all die Sanduhren ausgeleert werden und sich vor 50 Jahren noch etwa 30 Medizinmänner mit abgeschlossener Meisterprüfung im Fach der Trepanation befanden. Doch auch diese Zeit ging vorbei, der Sand blieb liegen.

Angeblich fanden die dortigen Operationen ohne Betäubungsmittel statt, aber sollen wir das glauben? Die ganze Geschichte ist doch von Betäubungsmitteln respektive Suchtgift durchsetzt. Zum Tode Verurteilte wurden vor oder während ihrer Exekution auf Bilsenkraut & Co. gesetzt, um die Akzeptanz für die Exekution aufrecht zu erhalten. Neben ähnlichen Gebräuchen und dem als Genußmittel nahm die Sache aber auch recht fiese Formen an: So wurden diverse Naturgaben dazu verwendet, um die Verfassung schon fast zu Tode Gefolterter zu halten, bis sie irgendein windschiefes Geständnis blutig rauskotzen konnten. Was aus Jesu Schwamm rausquoll, der ihm ans Kreuz gereicht und ins Gesicht gedrückt wurde, ist bis heute nicht geklärt. SpongeBob war es sicher nicht.

Auch die Wikinger führten ihren Schierling mit aufs Schiff, um Operationen zu gewähren, die steirischen Bergbauern hingegen haben mit ihren Pferden stets Arsen gefressen, um beiderlei Marktpreis und Schönheit zu erhöhen. Neutrale Betrachtungen liefert Peter Rosegger. Weiters war Kaiser Marc Aurel schwer opiumsüchtig und hat sich das Zeug täglich zur "Immunisierung" verinnerlicht. Mit Drogen wurde bei diesen komischen Römern generell recht fröhlich experimentiert, doch bevor die Substanzen zu den Yuppies gelangten, wurden sie an Sklaven und Straftätern ausprobiert. Und daß die Amis im Ersten und besonders im Zweiten Weltkrieg systematisch auf Speed gesetzt wurden, ist eine andere Geschichte, genauso wie die, die Hippie-Generation von staatlicher Seite auf LSD zu setzen und zu befrieden. Wie schlecht das ganze Zeug sein kann, ist wiederum eine andere Frage - immerhin waren es die Speed-Fressen, die Hitlers Scheiße fraßen.

PS: Aufgetragenes Kinderfett wirkt seit jeher muskelentspannend! Doch nun zurück zum Höhlengleichnis des 20. Jahrhunderts.

 

Dr. Bart Huges: Der Heimwerkerkönig ...

Ein wenig später fing die Sache dann in Europa langsam an zu brodeln; jetzt kommt der spannende Teil, in dem die ursprünglichen Ideen verdreht und kiloweise Drogen konsumiert werden. Quasi eine Neuauslegung, da Trepanation zu der Zeit im Westen nur mehr in der Neurochirurgie angewendet wurde, um Eingriffe im Schädelinnern zu ermöglichen.

Einer sah das aber ganz, ganz anders. Darf ich vorstellen: Dr. Bart Huges, der Meister unter den autosexuellen Bohrmaschinen. Dieser war zwar nur ehrenhalber unter seinen Anhängern ein Doktor, da er wegen seiner affirmativen Ansicht zum Drogenkonsum von der Uni verwiesen worden war, aber egal. Er wurde 1934 in Amsterdam geboren, seine Mutter starb, als er zweieinhalb Jahre alt war, mit elf hatte er laut Eigenangaben bereits 25 feste Freundinnen. 1958 nahm er das erste Mal LSD, 1960 heiratete er, 1963 kam die erste Tochter zur Welt und so weiter und so fort. Was für uns interessant ist: 1965 nahm er sich einen elektrischen Bohrer, ein Skalpell und injizierte sich ein Betäubungsmittel. Eine dreiviertel Stunde später ward das Loch im Schädel, Huges´ "Drittes Auge" war geboren - und er sich seine eigene Hebamme gewesen. Keine Schmerzen vor und nach der Operation, der Heilungsprozeß dauerte drei Tage. Wie fühlt man sich nach der Einlösung des eigenen Manifests? "I feel like I did when I was 14." Heißt: Man hat die Vorstellungskraft und die intensive Wahrnehmung eines Kindes, ohne durch Neurosen und Egoismus an sich selbst zu leiden.

Die Theorie, die Huges´ Trepanation begründet, veröffentlichte er bereits 1962 unter dem Titel "Homo Sapiens Correctus". Sie kam so zustande: Urlaub in Ibiza, fleißig am Kiffen und Acidieren, und plötzlich macht jemand in Sichtweite einen Kopfstand und erklärt dessen berauschende Wirkung. Huges dachte zurück an früher und erinnerte sich, daß auch er selbst und sein Vater bei der täglichen Morgengymnastik den Kopfstand nicht ausgelassen hatten - und daß dieser sehr wohl seinen Nutzen hatte. Das Puzzle zusammenzustellen gelang ihm just in dem Moment, als gerade Meskalin für geistige Frische garantierte. Es ist nämlich so, daß es, ganz einfach gesagt, auf die Menge an Blut ankommt, die im Kopf zirkuliert. Je mehr, desto klarer und höher der Bewußtseinszustand. Glück ist lediglich eine Frage des Hirnblutdrucks und ein Loch im Schädel das dauerhafte Pendant zum LSD-Rausch - oder zum Kopfstand. Doch die Blutmenge, die pro Minute durch das Gehirn pulsiert, erfolgt normalerweise durch Autoregulation und bleibt konstant. Laut Immo Jalass (lesen Sie das Interview im zweiten Teil dieses Artikels) kann ein Loch im Schädel das Druckverhältnis in der Hirnkammer manipulieren, und 90 Milliliter Hirnflüssigkeit machen sodann Platz für 90 Milliliter Blut.

In einem Schädel mit geschlossener Decke ist aber nicht genug Platz für die ideale Menge an Blut und Zerebrospinalflüssigkeit, sprich: Hirnwasser. Die einzige Möglichkeit, ein angenehmes Gleichgewicht zu erreichen, ist - ja, richtig! - die Bohrmaschine anzusetzen und den Schädel zu entjungfern. Mehr Blut heißt dann auch mehr Sauerstoff, und Glucose heißt weiters mehr Zufriedenheit. Das wäre dann quasi die Rückkehr zum Urzustand, da Neugeborene die ersten paar Monate mit einem weichen Schädelknochen den Rhythmus des Herzschlages auf die Stirn projizieren und über die alles entscheidende Hirnpulsation verfügen. Die lockere Schädeldecke wird in den nächsten Monaten jedoch von Mutter Natur gefestigt, was, laut Dr. Huges, den Effekt hat, weniger Blut in den Kopf zu lassen, was wiederum die Lebensqualität drastisch einschränkt. Das einzige, was hilft, das Expandieren und Kontrahieren des Hirnes wieder mit der Vorgabe des Blutdruckes zu vereinen ....wir wissen es. Belohnt wurden Huges´ Erkenntnisse mit der Einweisung in eine geschlossene Anstalt.

Ein weiterer Feind seiner Theorie ist die Schwerkraft, vereint mit der Evolution und dem aufrechten Gang: Diese Trinität spielt gegen uns, und das konsequent. Wieder sind es die Kleinen, die im Vorteil liegen, immerhin krabbeln sie auf allen vieren herum und lassen mehr Blut ins Hirn laufen als aufrechte Zweibeiner. Lediglich Haschisch, LSD, heiß-kalte Wechselbäder, Atemübungen oder tägliche Kopfstände vergrößern laut Immo Jalass das Hirnblutvolumen und bringen so logischerweise auch mehr Glucose und Sauerstoff ins Hirn - doch wiederum nur zeitlich begrenzt. Es dauert nicht lange, und der Zustand verschlechtert sich von neuem.

Ein weiterer Pluspunkt für Trepanation ist die angebliche Heilung sämtlicher Psychosen - etwa Schizophrenie, Epilepsie, bipolare Störung. Allerdings zitiert Immo Jalass selbst in seinem Buch "Mehr Bewußtsein" einen Arzt, der ihm auf seine Bitte, ihn zu trepanieren, wissen ließ: "Durch Trepanation entsteht Schizophrenie. Wenn Sie mit einer Überweisung eines Psychiaters kommen, dann erkläre ich den Psychiater für verrückt." Überhaupt bestreiten die meisten ausübenden Mediziner Huges´ Theorie über Löcher im Schädel, so auch Professor Hans-Dietrich Herrmann, Leiter der Neurochirurgischen Abteilung an der Eppendorfer Universitätsklinik in Hamburg. Er erzählte dem Medium "Die Zeit" in Ausgabe 46/1997: "Die Sache mit den Trepanationen ist ja nichts Besonderes. Das haben sie früher ja zu Unmengen gemacht. In der menschlichen Frühgeschichte waren das zumeist rituelle Bohrungen. Da passiert nichts. Gar nichts. Wir machen das ja selbst oft genug, indem wir Öffnungen von bis zu einem Zentimeter Durchmesser bohren, um Gehirnsonden einzuführen."

 

... und seine Lehrlinge

 

Joseph Mellen traf Bart Huges 1965 auf Ibiza und wurde schnell einer seiner Anhänger. Er schrieb später das Buch "Bore Hole", das mit dem ehrlichen und deswegen auch sehr einleuchtenden Satz anfängt: "This is the story of how I came to drill a hole in my skull to get permanently high." Nennen wir es im folgenden "Erleuchtung".

Das Problem dieser Zeit: LSD war schon in Ordnung, aber auf die Dauer teuer, und die 1960er gingen ja schließlich bis in die 1970er, für manche auch in die 1980er. Die Suche nach Alternativen lag auf der Hand, die Antwort wurde schließlich gefunden.

Bart Huges und Amanda Feilding, Joes Freundin, wurden ebenfalls schnell gute Freunde und fuhren miteinander nach Amsterdam, während Joe auf Amandas Wohnung aufpassen sollte. Er nützte die Gunst der Stunde und beschloß, sich selbst und seine eingeschränkte Wahrnehmung zu befreien. Die Party kann beginnen: Ab, einen Korkenzieher kaufen - billiger und leiser als ein elektrisches Gerät. Manuelle Arbeit glänzt zudem in der Regel durch Präzision. Aber in der Regel haben Wikinger auch rote Bärte, und so wurde der erste Versuch, ein Stückchen Schädelknochen zu entnehmen, zum Fiasko: Joe hatte keinerlei medizinische Erfahrung und so kaufte er schon mal viel zu dünne Nadeln für die Betäubungsspritzen, die, krrratsch, beim Versuch, sie in den Kopf zu injizieren, abbrachen.

Neuer Tag, neues Glück, stärkere Nadeln plus etwas LSD, um nicht aus der Fassung zu geraten: Die Haare weg, eine Markierung mit dem Skalpell und dann der Versuch, den Korkenzieher in den Schädel zu bohren. Man stelle sich das vor: Unser Joe sitzt in der Wohnung seiner Freundin - angenagt von Betäubungsmitteln, LSD und einer Spur Unsicherheit - und setzt das Werkzeug, das wir zum Öffnen italienischen Rotweins benutzen, mit der einen Hand an den Kopf, während er mit der anderen Druck ausübt und kurbelt. Sein Gefühl war, wie er es bezeichnete, als müsse er eine Flasche von innen entkorken, und verursachte nur kleine, keine Erleuchtung versprechende Wunden. Nun gut, auch auf Droge schien dies unmöglich, und so phonierte er kurzerhand nach Amsterdam zu Freund Bart, der ihm für die nächste Operation seine Assistenz garantierte, zur gleichen Zeit aber Einreiseverbot für die britannische Insel erhielt. Mist. Doch Amanda bewies romantischerweise die Liebe zu Joe und machte sich auf den Weg nach London, um das Bohrwerkzeug mit all ihrer Kraft in seinen Schädel zu kurbeln und zu pressen. Bart, abermals auf LSD, schien gleich am Ziel anzugelangen, doch bevor er die Linie durchschreiten konnte, klatschte er auf den Boden, fiel in Ohnmacht. Ab ins Krankenhaus, schockierte Ärzte, knapp am Tod vorbei, es war der lebensrettende letzte Millimeter, wir kennen das. Konsequenterweise nahm Bart Cannabis mit ins Krankenhaus und mußte dafür eine Woche Haft über sich ergehen lassen.

Der nächste Anlauf ließ trotzdem nicht lange auf sich warten, jetzt aber! Korkenzieher rein, diesmal sitzt´s, und im Kopf fängt es an zu blubbern und zu beben, keiner kennt sich aus. Bart merkte an den Spuren des Schädelknochens auf dem Bohrer, daß er nicht gleichmäßig gearbeitet hat, also noch einmal, und diesmal gleich tiefer, geschafft: "I bandaged up my head and cleared away the mess."

Ätsch, die Sache ist noch nicht vorbei: Bart führte seine Erleichterung auf sein glückliches Gefühl zurück, daß die Scheiße endlich vorbei war, aber war es auch genug, um der Pulsation freien Lauf zu lassen? Wir wissen es nicht, und im Zweifelsfall natürlich gegen den Angeklagten: neues Loch, neues Glück, diesmal mit einem elektrischen Bohrer und ohne Amanda. Wir schreiben Frühling 1970 und haben uns auf die Stirn geeinigt. Es geht los, die ersten 5, 10, 15 Minuten läuft alles gut, es geht voran. Doch nach einer halben Stunde - oja, ich lüge nicht! - hat der Bohrer einen Defekt am Kabel, und der Schädel ist noch nicht so wirklich durchlaucht.

Doch Bart verliert seine Nerven nicht, sondern geht zum Elektriker, der unter ihm wohnt und den Bohrer anstandslos repariert. Erstmal schlafen gehen und die Verirrungen verdauen. Am nächsten Tag geht die Prozedur wieder von vorne los, doch diesmal gibt es keine Zweifel: Der Bohrkopf geht gut zweieinhalb Zentimeter in die Stirn, das Blut spritzt, genau wie Film, und die Erleuchtung ergreift von sich Besitz.

Als Amanda aus Amerika zurückkam, merkte sie sofort, daß da jemand neugeboren war, und entschloß sich logischerweise, ihre eigene Trepanation auszuführen. Joey filmte ausführlich, wie sich seine Lady den Kopf rasiert, die ausgewählte Stelle markiert und den Kopf mit der Bohrmaschine penetriert, bis eben rausrinnt, was rausgehört. Es ist vollbracht, ein zufriedenes und triumphales Lächeln in die Kamera: Ich bin ein Berliner!

(In eigener Sache: Das Filmchen heißt "Heartbeat in the Brain", wurde bis vor etwa 20 Jahren oft gezeigt, ist aber dieser Tage schwer zu finden. Wer ihn hat, bitte melden, ich lade zum Filmabend!)

Seither leben und arbeiten Joe und Amanda harmonisch zusammen und haben ihre eigene Familie gegründet. Ihre alten Freunde finden sie mindestens genauso nett wie früher, wenn nicht sogar etwas freigeistiger.

Auch in der Politik hat Amanda sich versucht, um die Trepanation in den staatlichen Gesundheitsdienst zu integrieren. Sie kandidierte 1978 mit der Forderung der Trepanation zur Heilung der Nation, erhielt in Chelsea jedoch lediglich um die 40 Stimmen. Laut den mir zugänglichen Informationen leben Amanda und Joe mit ihrem Sohn namens Rock glücklich in London. Sie ist erfolgreiche Malerin, er Galerist.

 

Stand der Dinge

 

Angst haben Menschen, die eine Trepanation an sich selbst oder von Freunden ausführen lassen, nicht nur davor, daß sie dabei sterben könnten: Wenn etwas schief geht und es keinen anderen Weg mehr gibt, als ins Krankenhaus zu huschen, dann werden wahrscheinlich, nachdem das Nötigste erledigt worden ist, die Mithelfer verhört und von Seiten des Gesetzes gefoppt, der Trepanateur selbst kann unter Umständen mit einer Zwangstherapie rechnen. Wer auf Nummer sicher gehen und sich nicht auf die chirurgischen Fähigkeiten seiner Bekannten verlassen möchte, hat dieser Tage auch die Möglichkeit, sich in (illegalen) Kliniken in Mexiko oder Ägypten den Schädel öffnen zu lassen. Zudem läßt sich via www.trepan.com einiges organisieren.

Weiters zeichnet sich für manche der Trend ab, daß Löcher im Kopf zur neuen body art mutieren: es schickt sich angeblich, anstatt kleiner bunter Stiche am Arm oder sonstwo drei bis vier große auf der Stirn zu tragen. Wir beobachten weiter.

Daß dieser Artikel keine Aufforderung zu irgendwelchen selbstgebastelten Eingriffen sein soll, versteht sich von selbst. Aber wenn das jemand von euch trotzdem macht, sagt mir doch einfach Bescheid. Ich würde da gerne eine Münze reinwerfen und sehen, was passiert.

Nein, jetzt im Ernst: Die Theorie ist durchaus spannend, ich glaube, daß wie immer alles viele Seiten hat, ein ja/nein unzureichend und nichts eindeutig ist. Sich selbst eine Verletzung an einer derart sensiblen Stelle zuzufügen, treibt den Körper mit Sicherheit auf Hochleistung: Schnellstmögliche Heilung ist das Ziel, und so werden alle möglichen Flüssigkeiten und Botenstoffe an die betroffene Stelle geleitet, was eine Art der Bewußtseinsveränderung - euphemistisch formuliert: Bewußtseinserweiterung - zur Folge hat. Diese Annahme wird auch durch den Text "Tagebucheinträge eines Trepanateurs" (siehe Kasten) gestützt, dessen Verfasser das erhoffte euphorische Gefühl wiederum nur zeitlich sehr begrenzt erfuhr - und es letztendlich überhaupt anzweifelte bzw. die Grenzen zwischen Körper und Geist nicht mehr zu trennen wußte.

Weitere Beobachtung: So wie ich das mitbekommen habe, haben sich genau die Menschen Bart Huges und seiner Theorie angeschlossen und trepaniert, die mit sich nicht zufrieden waren und schon viele verschiedene Wege versucht haben, das zu ändern: Drogen, Selbstfindungsseminare, verschiedene Religionen, Wohnorte und ähnliche Maßnahmen. Zudem: Wer sich dann wirklich dazu entschließt, sich ein Loch in den Kopf zu bohren und daran sein Leben hängt, geht mit extrem hohen Erwartungen - mit Erwartungen, die eintreten MÜSSEN! - an die Sache heran - und diese Erwartungen können oft mehr bewirken als alles andere, sind somit auch wieder realer als real, womit sich im Grunde nichts dagegen sagen läßt. Jedem das seine, mir nur das Reine. Schön, daß es verschiedene und individuelle Herangehensweisen an dieses komische Ding namens Leben gibt und auch immer wieder kreative Köpfe dabei sind, die althergebrachte Grenzen neu austesten und abstecken. Um mit Martin Kästles Worten aus Immo Jalass´ "Mehr Bewußsein" zu schließen:

 

"Die Operation war eine blutige Angelegenheit, die ich in einer Art Trancezustand durchführte. Ich finde, daß die Hilfestellung der Ärzteschaft unumgänglich ist. Mein Veto steht Pro Trepanation! Nur weiß ich nicht, ob ich die Kraft hätte, sie ein zweites Mal durchzuführen. Diese soll für heute genügen."

 

Fortsetzung folgt ...

Lesen Sie im zweiten Teil ein Interview mit einem echten Schädelbohrer ...

Rokko’s Adventures

Richard Parkinson berichtet


Hier ein Bericht von Richard Parkinson über die Trepanation im Bismarck-Archipel: "Die chirurgischen Kenntnisse der Eingeborenen erreichen in der Behandlung von Schädelbrüchen, die durch Schleudersteine verursacht sind, unstreitig ihren Höhepunkt. Ist ein Eingeborener im Kampfe durch einen Schleuderstein betäubt worden, so schleppt man den Bewußtlosen unverzüglich vom Kampfplatz fort und bringt ihn zu einem Manne, der mit der Behandlung derartiger Wunden vertraut ist. Derselbe konstatiert nun zunächst die Natur der Verwundung; hat der Schleuderstein die Schläfe eingedrückt, so erklärt er von vornherein die Verwundung als tödlich und nimmt keine Operation vor. Ist dagegen das Stirnbein eingedrückt, so schreitet er unverzüglich zur Trepanation. Seine Instrumente sind die denkbar einfachsten, ein Obsidiansplitter, ein scharfer Haifischzahn oder eine geschärfte Muschelschale. Vor der Operation wäscht er seine niemals sehr sauberen Hände mit dem Wasser einer Kubika (=Kokosnuß, die voll Wasser ist, aber noch keinen Kern angesetzt hat), mit demselben Wasser wird auch die Wunde sorgfältig ausgewaschen. Ob diese Flüssigkeit nun antiseptische Eigenschaften besitzt, vermag ich nicht zu sagen, Tatsache bleibt jedoch ihre Verwendung.

Mit einem der vorher genannten Schneideinstrumente macht nun der Operateur einen langen Schnitt quer über die Quetschung bis auf den Schädelknochen. Zwei Gehilfen ziehen mittels eines dünnen Rotangfadens, der an einer Haarlocke befestigt ist, die vom Schädel losgelöste Skalpdecke langsam und vorsichtig zurück, bis der Operateur den ganzen verletzten Teil des Schädelknochens bloßgelegt hat. Die nächste Arbeit besteht in der Entfernung der Knochensplitter. Mit einem geschärften Stückchen Kokosschale werden die einzelnen Splitter sorgfältig ausgehoben, bis das Gehirn sichtbar wird. Der Operateur betrachtet dies nun sorgfältig; findet er, daß das Gehirn eine leise pulsierende Bewegung hat, so ist er sehr befriedigt und verspricht eine schnelle Heilung, gewahrt er jedoch keine Bewegung, dann ist ihm ein Zeichen, daß Knochensplitter in das Gehirn eingedrungen sind und er macht dann ein bedenkliches Gesicht, gibt jedoch nicht alles verloren, sondern beginnt nach dem verlorenen Knochensplitter zu suchen. Zu dem Ende hebt er die Gehirnfalten sorgfältig auseinander, bis er dazwischen verborgene Splitter findet und entfernt; das hierbei verwendete Instrument ist der vorher erwähnte Kokosnußschalensplitter.

Ist nun soweit alles von Erfolg gekrönt, dann beginnt das nächste Stadium der Operation. Dasselbe besteht darin, daß der Operateur mit einem scharfen Gegenstand, Obsidiansplitter oder geschärfter Muschelschale, die entstandene Öffnung in der Schädeldecke an den Rändern abschabt, sodaß alle scharfen Ecken entfernt werden, bis das Loch rund oder elliptisch ist; dabei wird sorgfältig darauf geachtet, daß die abgeschabten Teile nicht in die Hirnhöhle geraten. Ist auch diese Arbeit verrichtet, so ist damit die eigentliche Operation beendet, und der Operateur tut nun die notwendigen Schritte, um die Heilung der Wunde zu befördern. Das in der Schädeldecke gemachte Loch überdeckt er mit einem Stückchen Baststoff aus einem bestimmten Baume oder mit einem Stückchen Herzblatt einer bestimmten Banane, das erst einige Augenblicke über Kohlenfeuer gehalten wird. Dann werden die Skalplappen langsam und sorgfältig über den Schädel gezogen und in ihre ursprüngliche Lage gebracht. Die Kopfhaare rings um die Wunde werden nun abgeschnitten, und das Ganze zum Schluß sorgsam mit dem Wasser einer Kubika gewaschen. Um die Skalplappen in ihrer Lage zu halten, und dadurch die Heilung zu befördern, wird der Oberkopf mit einem enganliegenden weitmaschigen Geflecht aus Rotangstreifen überzogen, das den Namen Kalelil führt."

 

Herr Parkinson, möchten sie hier noch etwas zur Trepanation auf den Gazelleninsel bemerken? "Ich will hier noch bemerken, daß die Operation nur dann vorgenommen wird, wenn man nach Entfernung der Skalphaut gewahrt, daß die Schädeldecke vollständig eingedrückt und zerschmettert ist. Ist die Schädeldecke eingedrückt und hängen die einzelnen Knochenstückchen noch zusammen, so enthält man sich weiterer Einmischung; die Hauptlappen werden vorsichtig wieder in die richtige Lage gebracht und die Wunde heilt wie gewöhnlich. Solche eingedrückten Schädel sind mir häufig gebracht worden; die Wunde des Schädels war geheilt und bildete eine vertiefte Beule."

(entnommen dem 1907 erschienen Buch "Dreißig Jahre in der Südsee. Land und Leute, Sitten und Gebräuche im Bismarckarchipel und auf den deutschen Salomoinseln" von Richard Parkinson.)

Links:

Diary Entries

Tagebucheinträge eines Trepanateurs


Hier ein kleiner Auszug aus den Tagebucheinträgen eines jungen Mannes, der sich selbst trepaniert hat und sichtlich Probleme damit hat, Tage zu zählen:

 

Diary Entry: 03-22-00

 

This weekend I had a hole drilled through my skull. (...) We had coated every wall of a room in plastic sheeting, had a placement tray ready (a sterilized tray to set the instruments on), had the drill sterilized and ready to go, autoclaved bits set out, etc and proceeded to trepan me. One person was to do the drilling and another was to help by passing instruments, turning the drill off and on, by holding a light in the right place at the right time, and by irrigating the wound every so often. (...) Then we turned on the drill to speed 4. (...) As it got closer, we drilled more and more slowly. At one point he hit what we thought might be meninges because it squirted a bit of blood but quickly subsided. We were still doing OK. (...) He turned one of the bits over and tapped around in the hole. Most of it went click click, because it was hitting bone still, but one part did not make sound. He had made it through to the meninges! I saw a video of this moment, and yes, you can see the brain pulsating! Now we just had to widen the hole. As it was being widened I felt another shiver in the same way. Minutes later, they were sure the hole could be opened no more before risking cutting scalp with the drill, so we were done. Then I sat up and had it sutured and discussed what to watch for during healing. (...) I was overjoyed. I would attribute most of the joy at being done with the whole affair, as it was months in the coming, and it was about a 3 hour procedure overall.

 

Diary Entry: 04-06-00

 

I have paid considerable attention over the past 19 days to my state of mind since the trepanation. I am generally in a better mood and this is holding true especially in the morning, when I had been notoriously grumpy, and through total caffeine lack. (...) I have also noticed a seeming increase in attention span. This has been one of the most enjoyable aspects, because I hadn´t expected or necessarily desired it, nor did I notice how short my attention span was prior to the trepanning. I am surprised daily by my ability to hear, and actually listen, to all of what anyone is saying to me at any given moment. It has increased my understanding of what is said because of that I´m sure. This has also been very noticeable and applicable to musical situations. (...) Probably the most beneficial effect though, has been the increase in stamina and rapidity of thought processes. Not only do I falter less along the lines of not completing entire thoughts, but also I do not procrastinate without reason or because of laziness any longer. When I think I want to do something now, I just do it. I had maintained a lot of personal laziness prior to this, and it has been a big help in getting things done that would previously have continued to be put off. I don´t walk into rooms and think, "What was I coming in here for?" and I think then do. (...) I have been remembering my dreams much more regularly. Actually, there was only one day I woke up and couldn´t recall my dream, and it was after a night of quite a lot of alcohol. I still smoke pot, though not as much and not as habitually. When I do smoke it, the sensation is a little different. I definitely don´t get nearly as fatigued, and because of the increased attention span and sensitivity to somatic sensations, the buzz is more mild but more enjoyable and functional. I am aware that some of these effects may be partially suggestive being that I endured what could be considered a traumatic experience. The power of suggestion is tremendous, and may certainly be taken into account when considering many things, but I hope I´ve not experienced anything that could have been entirely a product of suggestion. There were, for the first four days or so, several physical sensations that moved throughout my entire body, both pleasant, and so strange as to have concerned me. Sensations and experiences I certainly cannot attribute to suggestion.

 

Diary Entry: 04-12-00

 

Well, it´s now been 23 days since the trepanning. I still feel very rejuvenated. I´m sure I will eventually be used to it, and it will have been fully assimilated into the way I live, and perhaps then the effects will be far less noticeable. For now, they are still quite noticeable. There is a very pronounced awareness of the processes of the body. I am much more sensitive to various tiny movements of matter in the body. I have a lot more energy. Some mornings, I feel like a chugged a coffee even though I didn´t.

 

Diary Entry: 04-19-00

 

I have come to the frustrating conclusion that the trepanation has had no lasting effect. I mean, the effects were subtle the whole time anyway and they appear to have worn off. I have considered that very likely it was a combination of two things. One, the blood most certainly did rush up to those unused parts of the brain pretty intensely and very regularly for the first few weeks while I was healing, and very likely drawn back out of those areas now. Two, I was more attentive to every sensation and all somatic input because I was just being very attentive consciously in an attempt to notice the effects. Since I paid more attention to everything, it was all a little more intense, yes. As much I hate to realize it, I believed what I wanted to believe.

On the most honest level, I so very much desired to find that there was a little more to the perceptions of life than I had previously known, that I was willing to take a big risk to find out for sure. I don´t feel any major differences in my perception now than before the trepanning. I am no longer trying as hard to pay attention to any differences and subsequently am no longer feeling them. Trepanation has no more physiological effect than any other trauma. I believe it is possible to so thoroughly convince yourself you feel different that you will, but I don´t believe there is any pronounced or otherwise verifiable physiological improvement. I have been trepanned and restored to full pulsation and it has ultimately meant nothing more than I am brave enough to have done it. I enjoyed life more afterward because of the simple fact that it was still happening and I didn´t kill myself. This kind of renewed vigor could be created by any survival of a possibly near-death experience. I conclude it does not do what many hope it will. (...)When I take in much caffeine or THC, I feel flashes of heat from within my head. They happen in different parts of my head each time, always on top, but never by the hole itself. The first time it happened, when I was in a car with a friend, pulling a big bong hit, I started to feel the heat in my head and I heard a squirt sound inside my head. At first, I silently panicked (what´s the past tense of panic?). I thought to myself, "Am I having a hemorrhage in the brain or something? Is the sensation about to get more intense in general? Am I OK?", but then it passed and I was fine. I still feel the heat in the head sensations now, very regularly, and sometimes now even when not smoking pot or drinking coffee. I´ve not heard a squirt like that again since then though. (...) For now, I am happy to be alive, very alive, and am simply expressing my doubts, and the honest facts, the other message about trepanation that is: this may or may not be what you are looking for, and you may be able to achieve the same effect through any carefully planned very intentional physical ritual. It should be called a ritual with magical intent. The intention to renew and recharge your perception of life, your energy, and your consciousness.

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aus: Rokko´s Adventures #1

(erschienen im Juni 2007)


Text & Interview: Rokko

Fotos: Michael Hanisch

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Rokko´s Adventures im EVOLVER #102

Die Cheerleader der Besten

Wo hat Rokko das erste Mal Country Teasers quengeln, Sleaford Mods fluchen, Amanda Whitt wüten, Steel Pans im Getümmel bei einer West Indian Day Parade gehört? Nicht draußen - und nicht im Wohnzimmer eines Vertrauten, sondern auf WFMU. Dieser Radiosender funktioniert aber im Grunde genauso: als würde man daheim bei einem Haberer sitzen, der einem seine Lieblingsplatten vorspielt.  

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Rokko´s Adventures im EVOLVER #101

Müllstierln in Purbach

Wenn etwas weggeschmissen wird, heißt das nicht, daß es weg ist. Erst dann fängt nämlich ein interessanter Verwertungsprozeß an, der auf mehreren Ebenen funktioniert. Diesen Vorgang wollte sich Team Rokko genauer ansehen.  

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Rokko´s Adventures im EVOLVER #100

Winners come in all shapes and sizes

Preisfrage: Was haben Mike Tyson, Nikola Tesla und Willy Brandt gemeinsam? Richtig: allesamt Taubenzüchter. Team Rokko hat für Sie einige spannende Geschichten zum Thema "Männer, ihre Vögel und die Pigeon Fancier Convention in Blackpool" auf Lager. Fliegen Sie mit ihm los!