Stories_Interview: r.evolver
Kay reloaded
Anläßlich der anstehenden EVOLVER-Veröffentlichung von "The Nazi Island Mystery" im neu bearbeiteten "Director´s Cut" traf Dr. Trash den Autor des ersten österreichischen Online-Fortsetzungsromans zum Gespräch.
19.10.2009
Dr. Trash: Was war zuerst da: r.evolver oder EVOLVER?
r.evolver: Da der EVOLVER offiziell seit 1996 online ist, würde ich sagen: Ich war ein knappes Jahr früher da - das Pseudonym r.evolver gibt es seit ende 1995.
Dr. Trash: Wie sind Sie auf den EVOLVER gestoßen? Was war der damals für Sie?
r.evolver: Auf den EVOLVER bin ich relativ spät gestoßen - und das total zufällig im Herbst ´99. Damals war ich mit meiner Freundin in der Tanzbar "Gerard" im achten Bezirk, und dort sind irgendwelche Clubbing-Flyer auf der Budel gelegen. So weit, so unspektakulär, nur: Der EVOLVER hat das Event offenbar finanziell unterstützt (wahrlich goldene Zeiten), jedenfalls ist mir der charakteristische Schriftzug in der Logo-Leiste sofort ins Auge gefallen. Ich hab´ mich natürlich gefragt, was oder wer hinter dem Namen steckt, und später zu Hause gleich im Netz nachgeschaut. Offen gestanden, war ich ziemlich überrascht, daß es sich beim EVOLVER um eine Netzzeitschrift handelt und noch dazu um eine gute, die damals aber noch an das "hauptstadt.at"-Portal gekoppelt war.
Dr. Trash: In einem anderen Land hätten sich zwei so namensähnliche Institutionen wahrscheinlich in Grund und Boden geklagt; im österreichischen Internet-Land haben sie zusammengearbeitet: Wie ist es dazu gekommen?
r.evolver: Tja, der Grund für meinen Aufenthalt in der "Gerard" war eben ein Gespräch mit dem damaligen Betreiber. Ich wollte in dem Lokal mein phantastisches Romanfragment "The Nazi Island Mystery" szenisch umsetzen. Das Unternehmen hat sich später aus besetzungstechnischen Gründen in Luft aufgelöst. Dafür hab ich den Flyer auf dem Tresen als Zeichen des Herrn betrachtet und den damaligen EVOLVER-Chefredakteur Peter Hiess kontaktiert, ob wir nicht was gemeinsam machen wollen. Und wir wollten! Der Vorschlag, aus dem "Nazi Island Mystery"-Fragment einen Online-Roman in Fortsetzungen zu machen, stammt von Peter Hiess. Und zur Namensähnlichkeit: Von Anfang an haben sich alle Beteiligten darüber amüsiert. Wir haben das aus purer Gaudi eigentlich auch die Jahre danach im Dunkeln gelassen, wer dieser r.evolver wirklich ist - bis heute glauben ja viele, daß unter dem r.evolver-Pseudonym EVOLVER-Redaktionsmitglieder schreiben, die namentlich nicht in Erscheinung treten wollen. Ein Gerücht, das ich somit nach zehn Jahren endgültig aus der Welt schaffe ... schade eigentlich.
Dr. Trash: Waren Sie mit Ihrem Fortsetzungsroman im Netz früh dran, im internationalen Vergleich?
r.evolver: "The Nazi Island Mystery" war definitiv Österreichs erste elektronische Romanveröffentlichung. Wer in Deutschland als erster dran war, läßt sich aus heutiger Sicht schwer sagen. Soweit ich mich erinnere, veröffentlichte Andreas Winterer zirka zur selben Zeit gerade die ersten Folgen seiner legendären Scott Bradley-Serie. Wie auch immer: Der EVOLVER gehörte mit dem Release von "TNIM" sicher im gesamten deutschsprachigen Raum zu den Pionieren in Sachen Online-Literatur. Stephen Kings oft und gern im Zusammenhang mit elektronischer Literatur erwähntes "Riding the Bullet" ging übrigens erst im Jahr 2000 ins Netz, und zu diesem Zeitpunkt mag das allenfalls für die ZiB-Redaktion etwas Neues gewesen sein. Trotzdem wird vielerorts bis heute behauptet, King wäre der erste gewesen, der Literatur in elektronischer Form veröffentlicht hat ...
Dr. Trash: Wie waren die Reaktionen der Leserschaft? Hat jemand den Trash mißverstanden (mir geht´s ja dauernd so ...)?
r.evolver: Die Reaktionen waren mehr als positiv. Schon nach den ersten Folgen hat sich eine Fan-Gemeinde entwickelt, die aber nicht brav und stumm ein Kapitel nach dem anderen gelesen, sondern vielmehr angeregt mit mir kommuniziert hat. Diese Form der Interaktion war ja auch neu. Mit dem Veröffentlichen im Netz war ein Autor plötzlich nicht mehr abgeschottet in seinem Elfenbeinturm, sondern berührbar, angreifbar. So ist es schon vorgekommen, daß mir die Leute via Mail mitgeteilt haben, was sie gern als nächstes gelesen hätten. Einige wollten, zum Beispiel, daß in den einzelnen Folgen mehr Nazis auf möglichst grausame Art getötet werden (vielleicht haben die ja vor kurzem auch dem Herrn Tarantino geschrieben?), andere hätten sich deftigere Sexszenen oder mehr bzw. weniger Action oder Handlung gewünscht - mir hat dieses "direct to plot"-Feedback des Publikums jedenfalls getaugt. Manchmal hab´ ich auch gern darauf reagiert, dann wieder nicht, aber in jedem Fall hat die Auseinandersetzung den Roman beeinflußt und ihn geformt - und das war für mich, rückblickend betrachtet, das Spannendste am elektronischen Release. Mit dem "Trash-Faktor" der Story hatte jedenfalls niemand ein Problem. Die schönste Mail, die ich damals erhalten habe, war auch die kürzeste: "Danke für das!"
Dr. Trash: Was haben Sie später noch für den und mit dem EVOLVER gemacht?
r.evolver: Nach "TNIM" habe ich das virtuelle Trash-Museum initiiert - ein ehrgeiziges Unterfangen, das ich leider aus Zeit- und Mitarbeitermangel nicht mehr betreuen konnte. Ein zweite größere Geschichte war der Versuch eines ersten multimedialen Groschenroman namens Go-Go Cannibals. Mit der Verknüpfung von Textpassagen und Videoclips war der EVOLVER Anfang 2001 sicher auch einer der ersten, der so etwas im Netz umgesetzt hat - "Go-Go Cannibals" ist ein gelungenes Stück Pionierarbeit in Sachen multimedialer Web-Literatur.
Dr. Trash: Hätten die Abenteuer von Kay nicht weitergehen sollen? Und wollten Sie uns nicht erzählen, wie Kay zu der wurde, die sie ist? Was ist aus diesen Plänen geworden?
r.evolver: Kays Abenteuer hätten schon 2001 weitergehen sollen und zwar mit der "TNIM"-Fortsetzung "Pol Pot Polka". Das Exposé dazu ist auch schon seit neun Jahren fertig. Die Origin-Story "Beirut Boogie" (Teile des Romans wurden 2007 im EVOLVER veröffentlicht) habe ich eigentlich nur aus dem banalen Grund vorgezogen, weil ich im Plot ein paar maßgebliche Details für "Pol Pot Polka" exponieren wollte. Leider hat sich beim Schreiben der ersten neun "Beirut Boogie"-Kapitel herausgestellt, daß ich noch zirka tausend Jahre brauchen werde, um den Roman so zu erzählen, wie es das Exposé vorsieht. Die Story ist in ihrer derzeitigen Form für eine Veröffentlichung im Web viel zu komplex. Ich mußte die Geschichte also noch einmal in die Werkstatt fahren. Jetzt harren die restlichen 6394 Kapitel darauf, daß ich die Zeit finde, sie auf 4 bis 5 schlanke Episoden runterzubrechen. Weitergehen wird das Abenteuer auf jeden Fall - Paul Gillons "Die Schiffbrüchigen der Zeit" ist auch erst zehn Jahre nach dem Release der ersten Folge fortgesetzt worden ...
Dr. Trash: Warum zehn Jahre später eine Neuauflage von "Nazi Island Mystery"? Und warum als völlig neu geschriebener "Director´s Cut"?
r.evolver: Die Neuauflage von "TNIM" ist nicht nur eine literarische Geburtstagsparty, sondern auch ein kräftiges Signal, daß meine Antiheldin Kay Blanchard noch lebt. Eigentlich war ja nur geplant, "The Nazi Island Mystery" zum Jubiläum ein bißchen aufzupolieren. Im Laufe der Bearbeitung hat sich aber gezeigt, das damals einige Passagen wegen der zügigen Erscheinungstermine viel zu fragmentarisch geblieben sind - viele Details habe ich aus Zeitgründen nicht so umgesetzt, wie sie in meinem Kopf waren. Die Initialzündung zum "Director´s Cut" war letztendlich aber weniger schreibtechnischer denn romantischer Natur: Vor sechs Monaten habe ich beim Durchstöbern eines vorsintflutlichen ZIP-Laufwerks unerwartet ein verschollenes "TNIM"-Kapitel wieder entdeckt. Die Episode ist mir im Jahr ´99 im Zuge eines Festplatten-Crashs abhanden gekommen - the lost chapter, sozusagen. Beim Lesen der nie veröffentlichten Episode war plötzlich wieder dieses Gefühl da, das ich 1999 beim Schreiben der "TNIM"-Kapitel hatte ... Yeah!
Dr. Trash: Sie wollen den Roman dann - in einer "Extended Version" (das erinnert mich irgendwie alles an Ridley Scotts "Blade Runner" und seine unzähligen Versionen) - als Buch herausgeben. Warum?
r.evolver: Extended deshalb, weil gemeinsam mit dem Roman das ursprüngliche knapp 40 Seiten starke "TNIM"-Fragment veröffentlicht werden soll - dieses Fragment habe ich 1998 nach der Lektüre einer Ed-Wood-Biographie (in der es heißt, daß der Meister seine Schundromane stets in einem Zug durchgeschrieben hat) in neun schwer berauschten Stunden nonstop zu Papier gebracht; es ist sozusagen die deftige Off-limits-Version des Romans, die ich dem Publikum nicht vorenthalten möchte ...
Dr. Trash: Von der Idee "EVOLVER Books" ist ja in Fachkreisen schon lange die Rede. Warum ausgerechnet jetzt? Und was soll in der Reihe noch erscheinen?
r.evolver: Die Idee zu den "EVOLVER Books" geistert seit Urzeiten durch die redaktionellen Köpfe, aber bislang hat sich eben noch niemand dazu aufraffen können, das auch durchzuziehen. Die Neuauflage von "TNIM" bietet endlich den richtigen Anlaß, das Projekt in Angriff zu nehmen. In den Herausgeberrollen fungieren vorerst Peter Hiess und meine Wenigkeit. Buchtitel und Autoren für ein erstes Portfolio liegen bereits auf dem Tisch, da möchte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu viel vorwegnehmen. Interessant in diesem Zusammenhang sind aber sicher die EVOLVER-Literaturwettbewerbe - da werden die besten Beiträge wohl im Rahmen der einen oder anderen Anthologie erscheinen ...
Dr. Trash
Kommentare_
Wahnsinn! 10 Jahre ist das schon wieder her. Ich hab damals jede neue Folge begierig verschlungen und konnte es dann bis zur nächsten kaum erwarten.
Muss unbedingt wieder alles lesen. Und ich denke, das Buch wird auch den Weg in mein Regal finden!