Stories_The Game

Spiel des Lebens

Bald kommt David Finchers Film über die "Zodiac"-Morde. Bis dahin kann man sich an der längst fälligen Special Edition seines Paranoia-Thrillers freuen - so wie Dietmar Wohlfart.    28.08.2006

Die unersättliche Geldgier der amerikanischen Leistungsgesellschaft und deren obszöne Zurschaustellung des erworbenen Reichtums während der 80er Jahre fanden auch in Hollywood ihren Niederschlag. So schickte etwa Dauerprovokateur Oliver Stone den unbedarften Börsenneuling Charlie Sheen in die cineastischen Abgründe des Yuppietums ("Wall Street", 1987). Dort fand der Grünschnabel im Autokraten Gordon Gekko, gemimt von Michael Douglas, seinen Meister.

Douglas legte mit seiner Interpretation des skrupellosen Machtmenschen Gekko den Grundstein zu seiner eigenen, dunklen Amerika-Trilogie, die er mit seiner Darstellung von William "D-Fens" Foster in Joel Schumachers "Falling Down" (1993) weiterführte. Beide waren latent furchteinflößende, ganz und gar unsaubere Charaktere, die Douglas - die einstige Leinwandinkarnation des moralisch integren Helden - perfekt illustrierte. Als Profi demonstrierte er Risikobereitschaft bei der Rollenauswahl und überzeugte als personifizierte Schattenseite des American Dream.

1997 kreuzte ein anderer Mann mit Hang zum Risiko Douglas´ Weg: David Fincher, wie Oliver Stone einer der großen Gesellschaftskritiker unter den zeitgenössischen US-Regisseuren, machte mit seiner Vorliebe für polarisierende Inszenierungen, inklusive Neigung zur optischen Radikalisierung im großen Stil, seit Mitte der 90er von sich reden. Zwei Jahre nach seinem extrem wirkungsvollen Noir-Meisterstück "Sieben" stand er noch im Scheinwerferlicht des öffentlichen Interesses. Bei der Umsetzung seiner dritten Regiearbeit "The Game" konnte er daher auf den Star Michael Douglas zurückgreifen.

Dessen kaltherziger "The Game"-Hauptcharakter Nicholas Van Orten war ursprünglich als Mittzwanziger konzipiert worden. Für Douglas wurde das Lebensalter des Protagonisten jedoch deutlich angehoben. Und obwohl Finchers "Sieben"-Nachfolger niemals soviel Medien- oder Publikumsinteresse erregen konnte wie der Serienkiller-Kultfilm, gestaltete sich die Zusammenarbeit des mutigen Jungregisseurs mit dem abgebrühten Veteranen überaus effektiv.

 

Die Sünden des Vaters

 

Der Mann wirkt irgendwie deplaziert. Seine Silhouette verharrt bewegungslos, nur der Morgenmantel flattert nervös im Wind. Er zögert einen Moment, dann springt er - einsam in den Tod. Die verstörenden Erinnerungsfetzen an den toten Vater begleiten den überaus erfolgreichen Investmentbanker Nicholas Van Orten (Michael Douglas) seit seiner frühesten Kindheit. Der älteste Sproß jenes renommierten Familienclans, dessen angesehenes Oberhaupt einst mit 48 Jahren den Freitod wählte, hat es geschafft: Van Orten ist ein Macher, ein kühl berechnender Erfolgsmensch auf dem Zenit seiner Macht. Als Workaholic gönnt er sich keine Atempause, strebt unaufhörlich nach Gewinnmaximierung und Machterweiterung. Und Van Orten, der Kontrollfanatiker und Perfektionist, haßt Überraschungen.

Eine solche bereitet ihm ausgerechnet sein jüngerer Bruder Conrad (Sean Penn). Der hat schon einige persönliche Tiefebenen durchschritten und ist die soziale und moralische Antithese zu seinem erzkapitalistischen Bruderherz. Conrad schenkt Nicholas zum 48. Geburtstag einen ausgefallenen Geschenkgutschein: "Consumer Recreation Services" nennt sich der mysteriöse Konzern, der individuell abgestimmte Unterhaltungsprogramme - sogenannte Spiele - für einen exklusiven Kundenkreis bereithält. "Ruf da mal an", beschwört Conrad den argwöhnischen Beschenkten. Ein Ratschlag mit Folgen: Als sich das Geburtstagskind widerstrebend an CRS wendet, setzt er damit eine folgenschwere Kettenreaktion in Gang.

Das Spiel beginnt - und entpuppt sich als tödliche Hetzjagd, mit Nicholas in der Rolle des unfreiwilligen Gejagten. Van Ortens geordneter Alltag bricht völlig in sich zusammen; der verwöhnte Oberschichtler wird gar zur lebenden Zielscheibe. Gespenstische Holzclowns, verhexte Fernsehgeräte, irrsinnige Taxifahrer, brutale Todeskommandos - sie alle sind infernalische Ingredienzen eines letalen Spiels, das sich eindeutig Van Ortens Kontrolle entzieht.

 

Games without frontiers

 

Die fiesen Psychotricks, Puzzles und Fallen, die den Multimillionär langsam in den Wahnsinn treiben, sind die eigentlichen Stars in David Finchers erbarmungsloser Hetzjagd "The Game". Bemerkenswert bleiben der intensiv betriebene Spannungsaufbau sowie die erst stufenweise fortschreitende und später rasant eintretende Erosion des sinister schimmernden Van-Orten-Universums, die schließlich im Kollaps der privaten Festung aus Macht und Reichtum mündet. Fincher setzt auf Dauerdruck, läßt weder seine Hauptfigur noch den überrumpelten Zuschauer zu Atem kommen. Ein praktisch unvermeidliches, latentes Glaubwürdigkeitsproblem, hervorgerufen durch die schiere Unglaublichkeit von Van Ortens Abenteuer, wird geschickt auf ein Minimum reduziert - der raffinierten Drehbuchvorlage des Autorenduos Brancato/Ferris sei Dank. Fincher verpaßt seiner famosen Achterbahnfahrt darüber hinaus ein exquisites visuelles Kostüm. Die makellose Hochglanzdüsternis wird durch Howard Shores depressiv-brodelnde Pianobegleitung adäquat unterlegt.

David Finchers Filme handeln von der Selbsterlösung ihrer ins Unglück geratenen Hauptfiguren. Der gesellschaftskritische Ansatz springt dabei stets sofort ins Auge; Schuld und Sühne sind narrative Eckpfeiler. Ähnlich wie M. Night Shyamalan ist Fincher als cineastischer Enkel Hitchcocks anzusehen. Doch während der "Sixth Sense"-Macher seine cleveren Mystery-Stories in sanfte, ästhetische Bildkompositionen verpackt, die Protagonisten als von höherer Stelle berufene Gutmenschen positioniert und mit subtilem Horror reüssiert, greift Fincher schon einmal zum filmischen Vorschlaghammer, um seinen Geschichten Nachdruck zu verleihen.

In "Sieben", "The Game" und "Panic Room" bricht das Chaos in die mehr oder weniger durchstrukturierten Leben der zentralen Charaktere ein: Der frisch verheiratete "Sieben"-Detective David Mills wird mit einer grauenvollen Mordserie konfrontiert, die schließlich sogar sein junges Eheglück vernichtet. Die klaustrophobisch veranlagte Alleinerzieherin in Finchers "Panic Room" findet sich als Gefangene in den eigenen vier Wänden wieder. Und dem schwerreichen Antihelden Nicholas Van Orten wird der finanzielle Boden unter den Füßen weggerissen.

Als sich der kaltherzige Zyniker auf das vermeintlich harmlose Geburtstagspräsent seines Bruders einläßt, gerät seine mit Geldscheinen gepflasterte Welt nämlich total aus den Fugen. Die Teilnahme am "Spiel" wird zur bewußtseinserweiternden Initialzündung. Erst am Ende dieser unorthodoxen Radikalkur, reduziert auf die nackte Existenz, folgt Van Ortens Evolution zum moralisch geprägten Individuum. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg.

 

Zurück zu den Wurzeln?

 

Die Zusatz-Features der vorliegenden DVD-Ausgabe kommen über einen standardmäßig-funktionellen Charakter leider nicht hinaus. Im Audiokommentar hören wir Regisseur, Hauptdarsteller und Drehbuchduo sowie Production Designer Jeffrey Beecroft, Kameramann Harris Savides und Visuel Effects Supervisor Kevin Haug. Zu den Highligths zählen dabei die Anekdoten um Nachrichtenmoderator Daniel Schorr, der in einer wichtigen, surrealen Szene des Films in Erscheinung tritt, David Finchers Zurechtrückung des Status eines Schauspielers im Produktionsablauf und die Analyse der (an Ebenezer Scrooge angelehnten) Psyche des Protagonisten.

Das "Making Of"-Material konzentriert sich anhand des Storyboards und dessen Leinwandumsetzung auf die vier größeren Action-Sequenzen des Streifens. Produktionsphotos und Trailer runden den Bonusstoff ab. Nicht besonders "Special" also, diese Edition; umso gespannter wartet man ab, was Fincher in seinem nächsten Film zu bieten haben wird ...

Der neueste Streich des mittlerweile 44jährigen "Fight Club"-Kultregisseurs ist eine thematische Heimkehr in altbekannte Gefilde: "Zodiac", die Aufbereitung einer aufsehenerregenden Mordserie aus den 60er Jahren, die sich in der Gegend von San Francisco ereignete, soll Anfang 2007 ins Kino kommen. Fincher versucht anscheinend alte Stärken anzuzapfen und bemüht sich darum, verlorenes Terrain zurückzugewinnen.

Sein Lieblingsschauspieler Brad Pitt scharrt ebenfalls schon in den Startlöchern: Noch im Spätherbst dieses Jahres soll er in David Finchers Verfilmung von F. Scott Fitzgeralds Kurzgeschichte "The Curious Case Of Benjamin Button" die Hauptrolle spielen - einer Fantasy-Romanze, die den ehemaligen ILM-Tricktechniker Fincher auch angesichts des zu erwartenden Einsatzes neuartiger Effektspielereien reizen könnte. Die Kinofassung der tragischen Liebesgeschichte eines plötzlich immer jünger werdenden 50jährigen soll auf innovative Computertechniken setzen, um den Anti-Alterungsprozeß glaubhaft rüberzubringen. Wie die dramaturgische und atmosphärische Marschrichtung bei der dritten Kollaboration mit Brad Pitt aussehen wird, ist noch völlig unsicher. Fest steht nur eines: David Fincher ist wieder motiviert und einsatzbereit - ein Umstand, der zuversichtlich stimmen sollte.

Dietmar Wohlfart

The Game - Special Edition

ØØØØØ


Universal Pictures (USA 1997)

DVD Region 2

123 Min. + Zusatzmaterial, dt. Fassung oder engl. OF

Features: Audiokommentar, Behind the Scenes, Storyboards, Hintergrundinfos, alternatives Ende, Trailer

Regie: David Fincher

Darsteller: Michael Douglas, Sean Penn, Deborah Unger u. a.

 

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