Martin Compart - Der Spionage-Roman
zum ersten Teil: Spies like us
zum zweiten Teil: Unser Mann in London
zum dritten Teil: Das Werk eines Besessenen
Im vierten Teil von Martin Comparts Geschichte über die Pioniere des Spionageromans dreht sich alles um den irischen Schriftsteller Erskine Childers - der nach Ansicht vieler Experten das Genre erfand. 17.12.2012
Um die Jahrhundertwende hatte es einige Romane gegeben, die die Angst des Empires um seine Kolonien und ihre Bedrohung durch andere Mächte widerspiegelten. John Buchans "The Half Hearted" (1901) und Kiplings "Kim" (1901) hatten Elemente des Spionageromans verwendet. Beide Romane beschäftigen sich mit einer möglichen Invasion Indiens durch die Russen, die sich in Afghanistan festsetzen wollen. Als reine Spionageromane oder gar pure war prophecy novels kann man diese Bücher jedoch nicht ansehen.
1903 erschien das innovative Werk, das für viele Kritiker der erste wirkliche moderne Spionageroman ist: Erskine Childers The Riddle of the Sands. In dem Buch geht es darum, daß zwei Engländer in einem Segelboot vor der friesischen Küste das geheime Treiben der deutschen Marine beobachten und den möglichen Vorbereitungen einer deutschen Invasion Englands auf die Spur kommen.
Childers fusionierte verschiedene literarische Formen zum modernen Spionageroman: Die war prophecy novel erzählt die Geschichte eines künftigen Krieges vom ersten bis zum letzten Schuß. Egal, wie wahrscheinlich der geschilderte Krieg ist - es handelt sich immer um eine Fiktion. Der Natur nach ist die war prophecy novel also eher mit der Science Fiction (und hier der alternative history) verwandt als mit der auf Fakten erpichten Kriminalliteratur, zu der man auch den Spionageroman zählt.
Childers stutzte die war prophecy novel auf einen realistischen Aspekt zurecht, nämlich auf die mögliche Planung einer Aktion, die auf einen Krieg hindeutet. In seinem Roman sind das die Vorbereitungen für eine eventuelle Invasion. Die abenteuerliche Segelgeschichte, in der die Handlung eingebettet ist, entlieh Childers den sogenannten schoolboy stories - also meist in den Kolonien handelnden Abenteuergeschichten, die von der Bewährung junger Briten angesichts einer Konfliktsituation erzählen. Auch John Buchan verwendete Elemente dieser Spielart des exotischen Abenteuerromans bereits in "Prester John".
Als drittes Element verwendete Erskine Childers Motive der Detektivgeschichte, um einen Spannungsbogen aufzubauen. Das detektivische Rätselelement ist die Untersuchung der beiden Protagonisten: Was treiben die Deutschen vor der ostfriesischen Küste? Indem er also war prophecy story, Abenteuergeschichte und Detektivgeschichte innovativ miteinander verband, schuf er eine lange Zeit gültige Formel für den modernen Spionageroman. 1998 schrieb der für seine maritimen Kriminalromane bekannte Autor Sam Llewellyn eine Fortsetzung zu Childers´ Werk: "The Shadow in the Sands".
Wie William Le Queux in "The Great War in England in 1897" (1894) plädierte Childers für eine Nordseebasis der britischen Marine und für den Aufbau einer Einheit von Marinereservisten. Weiterhin sprach er sich dafür aus, daß alle Zivilisten an der Waffe ausgebildet werden sollten, um so einer deutschen Invasion entgegentreten zu können. Der Erfolg des Buches - allein im Erscheinungsjahr erlebte es zwei Auflagen - ist auch vor dem Hintergrund des Wettrüstens von England und Deutschland zu sehen. Das Empire dankte Childers seine Verdienste, indem es den Patrioten tötete ...
Der Autor machte nämlich eine bemerkenswerte Entwicklung durch: Erskine Childers wurde am 25. Juni 1870 in London geboren. Er studierte am Trinity College in Cambridge und war von 1895 bis 1910 Sekretär im Unterhaus. Unterbrochen wurde diese Tätigkeit 1900, als er sich als einer der ersten Freiwilligen für den Burenkrieg meldete. Er trat der HAC (Honourable Artillery Company) bei und war auch Mitautor der Dokumentation "The HAC in South Africa". Er wurde schwer verwundet und kam als Invalide zurück nach England. Childers war, wen wundert´s, ein leidenschaftlicher Segler und kannte die Nord- und Ostsee wie seine Westentasche. Seine Kenntnis der deutschen Küstengewässer und die politische Situation dieser Zeit waren Voraussetzung für seinen Roman. The Riddle of the Sands blieb Childers einziges Buch. Er sah sich nicht als Schriftsteller, sondern als Politiker. Im Ersten Weltkrieg diente er als Major im Marinegeheimdienst - und da er die deutsche Küste so genau kannte, wurde er dort eingesetzt. Er war der Planer des englischen Angriffs auf Cuxhaven im November 1914.
Nach dem Krieg wurde er glühender Verfechter des irischen Freiheitskampfs. Er vertrat Irland in Versailles, schmuggelte mit seiner Yacht "Asgard" Waffen und war Mitglied der IRA. 1921 wurde er als Abgeordneter ins irische Unterhaus gewählt. Childers lehnte, obwohl er anfangs noch irischer Delegationsleiter war, das Anglo-Irische Abkommen vom 6. Dezember 1921 - das zur Bildung eines irischen Freistaates führte - strikt ab. So kam es zum irischen Bürgerkrieg von Juni 1922 bis April 1923. Daraufhin wurde er vom Freistaat als Drahtzieher gegnerischer Propaganda gejagt und schließlich in Glendalough festgenommen. Am 24. November 1922 wurde Childers in Dublin bei den Beggar´s Bush Barracks von einem Erschießungskommando, dem er zuvor die Hände schüttelte, exekutiert. Seine letzten Worte lauteten:
"Take a step forward, lads. It will be easier that way."
Eric Ambler schrieb in seiner Einleitung zu "To Catch A Spy" über Childers´ Roman: "Er fesselt auch heute noch, nicht nur, weil er ein guter Spionageroman ist, sondern auch, weil er eines der schönsten Bücher über kleine Segelboote ist, die je geschrieben wurden."
Bei den bisher besprochenen Autoren ist eine Gemeinsamkeit festzustellen: Entweder versuchten sie aktiv an Geheimdienstoperationen teilzunehmen, oder aber sie waren bemüht, sich auf politischer Ebene mit ihren Ansichten durchzusetzen - oft auch beides. Dieser reale Bezug zur Spionagearbeit zieht sich durch das Genre bis zu John le Carré: Viele der bedeutendsten Autoren der spy novel arbeiteten in irgendeiner Weise aktiv in den Geheimdiensten oder für sie.
Martin Compart - Der Spionage-Roman
zum ersten Teil: Spies like us
zum zweiten Teil: Unser Mann in London
zum dritten Teil: Das Werk eines Besessenen
In den 80ern und 90ern erschienen in der "Heyne-Filmbibliothek" einige dringend lesenswerte Werke rund um Filmemacher, Schauspieler und Genres. Einige davon gehen auf das Konto der deutschen Western-Koryphäe Thomas Jeier. Martin Compart sprach mit ihm über das uramerikanische Genre.
Er war weit mehr als ein Mann, der nur Rot sieht. Martin Compart sprach mit Filmliebhaber Oliver Nöding über Charles Bronson - einen Schauspieler, der keinesfalls in Vergessenheit geraten sollte und immer noch eine Entdeckung wert ist.
Dienen Qualitätsserien noch der gehobenen Unterhaltung oder längst der ideologischen Indoktrination? Und was haben deutsche TV-Produktionen damit zu tun? MiC liefert dazu einen Tagebucheintrag - knapp nach den Iden des März.
Hätten wir im EVOLVER eine Ruhmeshalle für fiktive Personen aus der Populärkultur, wäre George MacDonald Frasers Flashman ein eigenes Podest sicher. Martin Compart sprach mit Herausgeber Bernd Kübler über die Hörbuch-Adaptionen von Flashys Abenteuern.
Kennen Sie den PI und ehemaligen Kriminaloberkommissar Bernhard Gunther, der im Berlin der 30er und Folgejahre für Recht und Ordnung sorgt? Nein? Dann ist es Zeit, daß Sie der Reihe des britischen Krimiautors Philip Kerr Ihre Aufmerksamkeit schenken. Martin Compart gibt fachgerechte Starthilfe.
Werner Fuchs gedenkt eines Science-Fiction- und Fantasy-Autors, dessen Imagination in den Genres unvergleichbar ist. Nach dieser Lektüre gibt es keine Entschuldigung mehr, die Werke des US-Schriftstellers Jack Vance nicht zu lesen oder neu zu entdecken.
Kommentare_
Es gibt auch eine ziemlich gelungene zehnteilige deutsche (TV-)Verfilmung mit Burghart Klaußner, Peter Sattmann und Dietmar Mues,
auf DVD erhältlich in der ARD-Reihe "Große Geschichten".