Edward Phillips Oppenheim
zum ersten Teil: Spies like us
zum zweiten Teil: Unser Mann in London
Er schrieb mehr als 100 Romane, verteufelte den Kommunismus, schätzte die Aristokratie und verteidigte die bestehende Ordnung. Die Rede ist von "spy novel"-Autor Edward Phillips Oppenheim. Oder, wie Martin Compart ihn nennt: Oppy, Prinz der Geschichtenerzähler. 10.12.2012
Edward Phillips Oppenheim wurde am 22.Oktober 1866 in London als Sohn eines Ledermanufakturbesitzers geboren. Er verließ die Schule mit 16 Jahren, um seinem Vater in der Fabrik zu helfen, da der sich in finanziellen Schwierigkeiten befand. Oppenheim war wohl ein geschickter Geschäftsmann. In der Lederbranche blieb er jedenfalls bis 1887, als seine Eltern ihm die Veröffentlichung seines ersten Romans, Expiation, finanzierten. Das Buch führte zu einem Vertrag mit dem Sheffield Weekly Telegraph über sechs Serien.
1891 heiratete er die Amerikanerin Elsie Clara Hopkins aus Massachusetts. 1898, nachdem er schon jahrelang von der Welt der Geheimdiplomatie fasziniert war, veröffentlichte er den Roman The Mysterious Mr. Sabin. Er sagte später über dieses Buch:
"Das erste meiner langen Reihe von Geschichten über die schattenhafte und mysteriöse Welt der Diplomatie."
Insgesamt schrieb Oppenheim 115 Romane und 39 Bände mit Kurzgeschichten - das Werk eines Besessenen.
Seine Liebe zum Golfsport ließ ihn ein Cottage an der Küste von Norfolk, direkt am Rande eines Golfplatzes am Meer, erstehen. Diese Gegend schien ihm für eine Invasion durch die Deutschen besonders geeignet. Offensichtlich hatte er Le Queux aufmerksam gelesen und sich anstecken lassen. Er war vor und während des Kriegs von dieser Idee geradezu besessen und richtete Beobachtungsposten ein. Alle Vorkommnisse teilte er der Admiralität mit, die jedoch nie reagierte und ihnen wohl zu Recht keinerlei Bedeutung beimaß.
Während des Krieges begleitete Oppenheim Journalisten aus neutralen Ländern nach Frankreich an die Front, wo sie Eindrücke sammeln konnten. In dieser Zeit, 1917, entstand auch sein wohl wichtigstes und - nach Ansicht wohlmeinender Kritiker - bestes Buch: The Kingdom of the Blind, eine Geschichte voller U-Boot-Angriffe und Zeppelin-Attacken.
Der ganz große Erfolg kam für ihn nach dem Krieg, als er den amerikanischen Markt zu erobern begann. Er erhielt enorme Honorare, die er auch für seinen aufwendigen Lebensstil an der französischen Riviera brauchte. Oppenheim oder "Oppy", wie ihn seine Fans nannten, stellte in fast jedem seiner Bücher einen Amerikaner als positive Figur dar. Damit schmeichelte er sich beim nordamerikanischen Publikum ein und bekam auf diese Art Zugang zum finanzstarken US-Markt.
Viele seiner Romane wurden in so renommierten und auflagenstarken Magazinen wie Colliers und Zeitungen wie der Saturday Evening Post vorabgedruckt. Oppenheim führte das ausschweifende Leben, das er seinen puritanischen Romanfiguren verweigerte. Er verbrachte die meiste Zeit in unvorstellbarem Luxus an der Cote d´Azur. Mit seiner Frau hatte er seine Absprachen, so daß er auch seinen sexuellen Obsessionen huldigen konnte. Seine Yacht im Mittelmeer hatte den Spitznamen "das schwimmende Doppelbett". Der "Patriotismus" des Autors ging soweit, daß er ausschließlich englische Kondome benutzte und sich seine Präservativvorräte in London besorgte. Es existierte gar das Gerücht, daß seine Präservative - ähnlich wie die handgemachten Zigaretten, die seine Romanhelden bevorzugten - sein Monogramm trugen. Doch davon ist in seinen Büchern, in denen die Geschlechterbeziehungen viktorianisch geprägt waren, natürlich nichts zu finden.
Edward Phillips Oppenheim starb am 3. Februar 1946 auf Guernsey, wo er seine letzten Lebensjahre verbracht hatte.
Die französische Riviera galt in den ersten 20 Jahren des vergangenen Jahrhunderts als der Treffpunkt der Reichen, Schönen und Mächtigen schlechthin. Sie war das Symbol für Reichtum und Extravaganz, aber auch für Intrigen und Verschwörungen. Und sie war der Stoff, aus dem Oppenheim seine Romane strickte, die ihm ein durchschnittliches Monatseinkommen von damals unvorstellbaren 5000 Pfund bescherten.
Die Leser auf der nebeligen Insel dürsteten wie verrückt nach vermeintlichen Geheimnachrichten in Romanform aus der exotischen Welt der wirtschaftlichen und politischen Macht und rissen dem Autor seine Bücher aus der Hand. Dabei handelt es sich um heute kaum noch lesbare Geschichten über superreiche Amerikaner, böse Bolschewisten und mutige Briten, die immer wieder einen neuen Kriegsausbruch verhindern. Oppenheim war fasziniert vom großen Geld und heroisierte die Kapitäne des Großkapitals als aufrechte Patrioten und Wohltäter der Menschheit.
Er ging sogar soweit, den auch damals nicht gerade neuen Plot von der angestrebten Weltherrschaft durch ein Individuum ins Groteske umzudrehen: In Up The Ladder of Gold (1931) läßt er den reichsten Mann der Welt, der sich in den Besitz der gesamten weltweiten Goldvorräte gebracht hat, die Großmächte dazu zwingen, einen 40jährigen Friedensvertrag zu schließen. Höchste Zeit, daß Goldman Sachs oder J. P. Morgan eine Neuausgabe seiner Machwerke subventionieren ... Böse sind natürlich immer die Sozialisten. In The Devil´s Paw (1921) etwa wird der Sekretär der Sozialistischen Partei als Landesverräter enttarnt, der auch noch im Dienst der Deutschen steht. Durch seine Entlarvung wird in letzter Sekunde das furchtbarste aller Verbrechen verhindert: der Generalstreik.
Immer wieder zeigte Oppenheim in seinen Romanen, die von 1892 bis 1944 erschienen, wie großartig doch die britische Aristokratie im besonderen und die Aristokratie im allgemeinen seien - und wie sie sich zusammen mit dem neuen Geldadel um Frieden und Freude für brave Untertanen einsetzen.
Oppenheim betrieb eine hemmungslose Verteidigung der bestehenden Ordnung und ließ oft auch "den braven kleinen Mann" eine tragende Rolle spielen. Der stellte die politisch-historische Situation nie in Frage, sondern machte sich die Standpunkte der Oberschicht zu eigen, um mit ihr gegen Faschismus und fremdrassige Völker zu streiten.
In den Romanen, die während des Ersten Weltkriegs entstanden, machte sich "Oppy" vor allem über Verrat aus Unvorsicht seine Gedanken. In The Kingdom of the Blind lehrt er seine Leser, daß ein "loses Mundwerk Schiffe versenken kann", indem er betrunkene Matrosen der Marine bei einer Unterhaltung vorfürt, während ein deutscher Spion alles eifrig mithört.
Oppenheim war wahrscheinlich auch der erste Spionageautor, der den Fernen Osten als Handlungshintergrund entdeckte. Nach dem Russisch-Japanischen Krieg 1905 tauchen in seinen Büchern neben Handlungssträngen, die das japanische Kaiserreich einbeziehen, immer wieder edle japanische Geheimdiplomaten und Agenten auf.
in durchgehendes Thema bei ihm ist seine Verteufelung der parlamentarischen britischen Regierung als unfähig und unbekümmert. Für ihn waren die Volksvertreter ein Haufen inkompetenter Idioten. Nach dem Krieg zeigte er diese Überzeugung immer deutlicher. Mit Blick auf den Aufstieg des Faschismus in Italien und Deutschland wuchs in ihm die verquaste Überzeugung, daß starke Individuen (am besten aus dem Adel oder Raubtierkapitalisten) eine Nation besser repräsentieren und beherrschen können als jedes Kabinett oder Parlament.
Tatsächlich hatte Oppenheim prinzipiell etwas gegen jede Regierungsform, die Einkommenssteuern erhob. Unermüdlich verkündete er das Hohelied der Monarchie - im Gegensatz zum Parlamentarismus, den er als verfault ansah. Und er wurde auch nie müde, das große Kapital und seine Handlanger zu heroisieren, während er besonders nach der Oktoberrevolution die Sowjetunion verteufelte, gleichzeitig aber Bewunderung für die mächtiger werdenden faschistischen Führer verkündete. Ausgerechnet ein jüdischstämmiger Autor sympathisierte mit den Faschisten ... das zeigt wohl deutlich, was von Oppys Fähigkeiten, weltpolitische Situationen im Rahmen eines Romans zu analysieren, zu halten ist.
Viele seiner späteren Bücher spielen in der nahen Zukunft. Ein Kunstgriff, den die Faction-Thriller der 1970er und 1980er Jahre wieder aufnahmen und der seinen Ursprung in den war prophecy novels hat, die künftige Kriege durchspielten, um vor ihnen zu warnen. Der Roman Gabriel Samara, Peacemaker aus dem Jahr 1925 spielt 1940, nachdem die Russen die Kommunisten aus dem Land gejagt haben. Vielleicht war dieses Buch die Inspiration für Clive Egletons weitaus spannendere "Resistance"-Trilogie Anfang der 1970er Jahre (in der die Abenteuer einer britischen Widerstandsbewegung gegen die russischen Besatzer erzählt werden).
Trotz allem bleibt der Langeweiler Oppenheim ein wichtiger Autor für die Entwicklungsgeschichte des Spionageromans. Er adaptierte den "Kriegswarnungsroman" auf seine Weise und entwickelte eine eigene Romanform, in deren Mittelpunkt die Geheimdiplomatie stand. Seine literarischen Wurzeln waren Sensationsroman und Liebesromanze der viktorianischen Epoche, und in diesem Geiste schrieb er auch seine Spionageschichten.
Und dies ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie lange und intensiv das Genre einer reaktionären Ideologie verhaftet war.
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