William Le Queux im Web
zum ersten Teil: Spies like us
zum dritten Teil: Das Werk eines Besessenen
In Martin Comparts Geschichte der "spy novel" dreht sich diesmal alles um den britischen Autor William Le Queux und die Anfänge der psychologischen Kriegsführung. Wir wünschen verdächtige Unterhaltung! 26.11.2012
1871 nimmt mit George Tomkyns Chesneys The Battle of Dorking das Genre der war prophecy novel seinen Anfang - Romane, die künftige Kriege voraussagen wollen und durchspielen. In ihm findet man bereits alle Elemente dieses abstrusen Genres. Das Buch plädiert natürlich in eigener Logik für die militärische Hochrüstung Britanniens und warnt vor künftigen Aggressionen der anderen Großmächte. In Werken aus den folgenden Jahrzehnten spielen die Autoren dann alle möglichen Feindkombinationen durch, von den Russen über die Franzosen bis (natürlich) zu den Deutschen.
Während der 1880er und 1890er Jahre herrschte besonders ausgeprägte Paranoia im Empire. Franzosen und Deutschen verstärkten damals ihre Aktivitäten in Afrika und Asien, die Buren wurden unruhig und rebellisch, und die Russen trieben sich verstärkt an der afghanischen Grenze herum, wo sie das "Juwel in der Krone" im great game ernsthaft zu bedrohen begannen. Jeder schien am Kolonialreich der Briten zu rütteln - und zu Hause, in der Regierung, kümmerte das offensichtlich nur wenige.
Die war prophecy novels entstanden in dieser paranoiden Atmosphäre und forderten militärische Reformen, die neue Technologien und Strategien propagierten. Geheimwaffen und Geheimagenten wurden zu Topoi dieser Literatur, die bis heute im modernen Spionageroman nachwirken.
Ein Mann steht als Synonym für die war prophecy novel schlechthin: William Le Queux. Nach seinem ersten Roman über politische Intrigen, Guilty Bonds, erschienen 1891, wandte sich LeQueux drei Jahre später mit The Great War in England in 1897 konsequent der Propagandaliteratur zu.
Das Buch, dessen Vorwort Lord Roberts verfaßte, enthält bereits zwei Elemente, die auch für die Entwicklung des Spionageromans bedeutend waren: die Geheimwaffe und die Einführung eines naiven jungen Engländers als Verräter. Gleich zu Beginn des Genres wird also das zentrale Thema des Verrats angesprochen. Später sollten sich Autoren wie le Carré diesem Motiv geradezu exzessiv widmen.
Im Roman bombardieren die Russen Edinburgh aus einem Gasballon heraus. Gestoppt werden sie durch eine neue Geheimwaffe - eine pneumatische Dynamitkanone, die von einem schottischen Ingenieur entwickelt wurde.
Der Autor Le Queux hatte dabei auch die neue, seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer größer werdende Leserklasse im Hinterkopf. Die Einführung der allgemeinen Schulpflicht durch den "Education Act" von 1870, die Entwicklung neuer Druck- und Vertriebstechniken, die die billigen Penny-Magazine ermöglichten, und das Aufkommen von Leihbüchereien bedingten einen Lese-Boom, der nicht auf die oberen Schichten beschränkt blieb und sensationelle Themen bediente.
In den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts wurden jährlich etwa 2500 neue Bücher veröffentlicht; 1901 waren es bereits mehr als 6000. Diese Zahl verdoppelte sich während der nächsten zwölf Jahre; dann gab es während des Ersten Weltkriegs eine Rezession, aber in den frühen 1920er Jahren erhöhte sich der jährliche Ausstoß auf etwa 12.500 Neuerscheinungen, die zahlreichen Magazine und Hefte nicht mitgerechnet. In dieser Zeit entwickelten sich die Genre-Literaturen zu ersten Höhen, weil sie die aktuellen Ängste und Hoffnungen der Unterklasse und der sich gerade herausbildenden Mittelschicht als Subtexte zu nutzen verstanden. Die größte Angst im England dieser Zeit war die vor einer Invasion durch die imperialen Mitbewerber. Ein patriotischer Chauvinist wie Le Queux bemerkte schnell, daß er mit der war prophecy novel auf eine Goldader gestoßen war. Sie sollte ihm nicht nur Reichtum und Anerkennung bringen, sondern auch politischen Einfluß.
William Tufnell Le Queuxs Leben war selbst fast ein Roman für sich: Er wurde am 2. Juli 1864 in London geboren und verbrachte seine Kindheit mit den Eltern auf Reisen. Seine Schulausbildung beschränkte sich auf Privatunterricht in London und Pegli, in der Nähe Genuas. In Paris studierte er Kunstgeschichte und verlebte eine fröhliche Zeit im Quartier Latin. Nach Abbruch des Studiums durchstreifte er zu Fuß Frankreich und Deutschland und erhielt bald einen Job als Reisekorrespondent. 1891 wurde er verantwortlicher Redakteur für das Auslandsressort beim Londoner Globe. Dieser Posten wurde ihm wegen einer Artikelserie über die revolutionären Bewegungen in Rußland angeboten, die er für niemand Geringeren als die ehrwürdige Times verfaßt hatte. Auf seiner Rußlandreise war ihm auch die Idee zu seinem Roman Guilty Bonds gekommen, der die revolutionären Organisationen im Reich des Zaren beschrieb. Das Buch wurde in Rußland sofort verboten.
Ab 1893 arbeitete er als freiberuflicher Journalist und Schriftsteller. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts frönte er exzessiv seiner Reiselust, immer auf Suche nach den abstrusesten Plots. Er besuchte Algerien, Marokko, die Sahara, Albanien, Mazedonien, Serbien, die Türkei und die Arktis. 1909 ging er in den Sudan, während des Balkankriegs war er Kriegsberichterstatter für die Daily Mail. Er behauptete selbst immer mit großer Geste, daß er für den Secret Service arbeite und seine Bücher dazu dienten, die finanzielle Grundlage für seine geheimdienstlichen Tätigkeiten zu schaffen.
Tatsächlich war zu dieser Zeit der Beruf des britischen Agenten schlecht oder gar nicht bezahlt, sodaß sich der Dienst mit Gentleman-Amateuren oder überzeugten Patrioten begnügen mußte. Le Queux war sicher vor dem Ersten Weltkrieg und währenddessen in irgendeiner Form für den Geheimdienst seines Landes tätig. Fakten dazu verkünden seine Biographen allerdings nicht. Bis 1905 waren in seinen Romanen Russen und Franzosen die bevorzugten Feinde des Empire. Nach weiteren Reisen durch Europa, Afrika und in den Mittleren Osten kam er jedoch zu der Erkenntnis, daß die größte Bedrohung von Deutschland ausgehe.
The Invasion of 1910 aus dem Jahre 1906 war sein erster antideutscher Roman, dem schnell weitere folgten. Einflußreiche Briten teilten seine Meinung und waren froh über Le Queuxs Bestseller, die die Stimmung im Lande in ihrem Sinne beinflußten. Unter ihnen fand sich auch Feldmarschall Lord Roberts, der mit ihm 1908 an dem Buch The Great War arbeitete, in dem der Autor den Krieg von 1914 bis 1918 vorhersah. 1912 war Le Queux für ein Jahr als Konsul der Republik San Marino in geringem Rahmen sogar diplomatisch tätig.
Le Queux verstand es vorzüglich, sich selbst zu stilisieren und durch persönliche Statements die Glaubwürdigkeit seiner Bücher zu erhöhen. Als der Krieg ausbrach, verkündete er großspurig, daß er - wohin er auch gehe - immer einen geladenen Revolver bei sich trüge, da die Feinde Englands ihn ganz oben auf ihre Abschußliste gesetzt hätten. A. J. Balfour, der damalige Führer der Konservativen Partei, brachte Le Queuxs Einfluß auf den Punkt, als er sagte:
"Seine Romane bedeuten mehrere tausend Stimmen für die Konservativen."
Später ließ Le Queux sich in der Schweiz nieder. Wenn man an Patricia Highsmith, Georges Simenon, James Hadley Chase, Graham Greene oder Eric Ambler denkt, ist dieses Land wohl ein bevorzugter Wohnort für Thriller-Autoren - vielleicht nicht nur aus steuerlichen Gründen. Le Queux starb dort am 13. Oktober 1927. Sein Werk ist heute fast vergessen, lediglich Spezialisten für den Spionageroman machen sich noch die Mühe, in Antiquariaten nach seinen Büchern zu fahnden und sich dann an die zähe Lektüre zu machen.
PS: Der Autor dieser Zeilen hat 1990 für das ZDF ein Feature mit Spielszenen über Le Queux und sein Wirken gedreht.
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Interessanter Text.