Stories_Interview: Frank Nowatzki / Pulp Master
Schießen Sie nicht auf den Verleger!
Seit Anfang der neunziger Jahre versorgt der Berliner Verlag Pulp Master seine Leserschaft mit exquisiter Crime-Kost. Von den Großstadthöllen Buddy Giovinazzos über saudiarabische Abenteuer von Paul Freeman bis hin zum tiefschwarzen Humor Charles Willefords - diese Bücher sollte man im Auge behalten. Martin Compart sprach mit Verleger Frank Nowatzki.
01.04.2013
EVOLVER: Wie bist du persönlich mit der Noir-Kultur in Berührung gekommen - und was war der Auslöser für deine Obsession mit dieser Literatur?
Frank Nowatzki: Ohne das Feuer und den Geist, die der Punk in mir entfacht hatten, wäre ich vielleicht nie zum Noir gekommen. Das eine ging in das andere über. Genaugenommen war mein Auslöser der Ausverkauf der Punk-Szene, als sich plötzlich dann doch wieder alles nur um Kohle und nicht um die Sache an sich drehte. Ich supportete anno ´82 mit der Berliner Betoncombo die Hamburger Band Slime in einem Kaff nahe München. Für mich bewegten sich seit dieser Nacht von Ampermoching Punkrock als Musikgattung und der ideelle Geist des Punk auf getrennten Gleisen weiter. Wenn du hören willst, wie das damals klang, klick hier.
Anyway. Slime hatte die Eintrittspreise verdoppelt, das erzürnte Publikum wedelte mit Geldscheinen, die Roadies winkten daraufhin mit Knüppeln, was wiederum eine Rotte Dorfrocker zum Anlaß nahm, eine Massenschlägerei anzuzetteln und Slime von der Bühne zu holen. Ein Roadie sprühte Tränengas, Slime machten sich in der stechenden Gaswolke aus dem Staub Richtung Hamburg, obwohl als nächstes Stuttgart dran war. Wir einigten uns mit dem Rockerboß, der sauer über die abrupt abgebrochene Massenkeilerei war, auf ein Unser-Sänger-gegen-den-stärksten-Rocker-Gefecht, um die Backline wiederzubekommen, die größtenteils von uns stammte. Gerade habe ich übrigens die bei Heyne Hardcore erschienene Slime-Biographie gelesen, die zum Thema Ampermoching leider genau da haltmacht, wo es für mich ans Eingemachte geht und Punk ein Verfallsdatum aufgedrückt bekam.
Mit dem später wieder aufgetauchten Slime-Sänger spielten wir tags drauf in Stuttgart deren Gassenhauer "Polizei/SA-SS" und "ACAB" und kassierten doppelt ab. Der johlende Pöbel war zufrieden. Um mehr ging´s eigentlich nicht. Jedenfalls ließen kurz drauf Black Lizard Books und Charles Willeford, auf die mich eine Punk-Freundin in San Francisco aufmerksam machte, Geist und Feuer wieder auflodern. Der subversive Moment, das Aufzeigen von Manipulation, der kritische Blick hinter die institutionellen Fassaden und die Demaskierung des amerikanischen Traums - alles war für mich wieder da und, wie ich fand, künstlerisch sogar viel besser verpackt. Ich hatte ein neues Steckenpferd gefunden.
EVOLVER: Was war der Grund, ins Verlagsgeschäft einzusteigen?
Frank Nowatzki: Zurück in Deutschland, sondierte ich den Buchmarkt und fand zu meiner Überraschung sogar einige dieser Autoren wie zum Beispiel Jim Thompson in den Krimireihen der Publikumsverlage wieder. Allerdings kam der Kauf - wenn man nicht genau wußte, wonach man suchte und die Autoren nicht kannte - einem Griff in die Lostrommel auf dem Rummel gleich: viel mediokrer Mainstream und jede Menge Nieten, von den schrecklichen Covers mal ganz abgesehen. Bei Black Lizard gab es dagegen nur Volltreffer, die Aufmachung war cool, und der Verdichtung auf Hardboiled-Noir-Pulp-Elemente konnte man sich einfach nicht mehr entziehen. Es war völlig klar, um was es ging. Und das rief meine Skills als Verlagskaufmann und Punk auf den Plan: System hinterfragen und selber anders machen. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten, die letztendlich aber wertvolle Erfahrungen lieferten, war die Marschrichtung für Pulp Master vorgegeben: neue, zeitgenössische, nicht so einfach einzuordnende, wilde Autoren wie Joe R. Lansdale oder Buddy Giovinazzo mit Black-Lizard-Klassikern wie Paul Cain oder Charles Willeford auf eine Plattform zu bringen.
EVOLVER: Was hat sich aus deiner Sicht in den vergangenen Jahrzehnten im Buchgeschäft verändert und tangiert dich besonders?
Frank Nowatzki: Es ist nicht gerade einfacher geworden. Neue Verlage kommen und gehen, Buchhandlungen schließen, die Kunden bestellen lieber bei Amazon. Wer nicht spezialsiert ist und genau weiß, was er tut, kommt schnell unter die Räder. Mich wundert ein bißchen, daß wir es solange geschafft haben und immer gut mitmischen konnten, obwohl wir uns wie in den Anfangstagen von Projekt zu Projekt hangeln und immer damit rechnen müssen, daß morgen Schluß ist und wir plötzlich out sind. Keine Ahnung, wie alt der durchschnittliche Pulp-Master-Leser inzwischen ist. Einen kleinen kulturellen Beitrag haben wir sicherlich geleistet, aber wir haben es in all den Jahren nicht geschafft, Arbeitsplätze zu schaffen oder auszubilden. Das nervt mich schon. Ich bin de facto immer noch Indie, fühle mich aber nach mehr als 20 Jahren Buchmesse wie ein Dinosaurier, der den Zeitpunkt zum Aussterben verpaßt hat.
EVOLVER: Hat das Internet Auswirkungen für dich - und wie stellen die sich dar?
Frank Nowatzki: Ohne Internet würde man den Verlag oder die Bücher wohl kaum wahrnehmen. Die Repräsentationskosten sind gering. Man kann superschnell interessante Texte finden, auch vergessene Titel recherchieren und Kontakt zu den Autoren oder Rechteinhabern herstellen. Das war früher alles viel mühsamer, teurer und langsamer. Titel, die in der Buchhandlung nicht zu finden waren, konnte man plötzlich doch bestellen, obwohl der Buchhändler einem versicherte: Pulp Master gibt es nicht." Im Internet konnte man Pulp Master nicht mehr so einfach ignorieren.
EVOLVER: Mit welcher Auflagenhöhe kalkulierst du? Falls du das öffentlich machen willst ...
Frank Nowatzki: 1000 bis 3000 Stück.
EVOLVER: Angesichts dessen, wie wenige von den guten neuen Noir-Autoren bei uns veröffentlicht werden, hast du die Qual der Wahl. Nach welchen Kriterien entscheidest du dich für oder gegen ein Buch?
Frank Nowatzki: Ich sehe die Reihe inzwischen als ein kleines Gesamtkunstwerk an. Nicht nur wegen der konsequenten Cover-Gestaltung von 4000 - nein, auch inhaltlich. Da wir nicht mehr als drei Titel pro Jahr stemmen können, ist uns auch die Auswahl der Themen und Stilrichtungen der Autoren wichtig. Wir wollen uns nicht wiederholen und wollen immer wieder neue Impulse setzen. Wie du schon sagst, es gibt so viele tolle Bücher, die man machen könnte! Letzten Endes gibt vielleicht sogar ein aktuelles Thema den Ausschlag, das mir selbst gerade auf der Seele brennt und mit dem der Autor den Plot unterfüttert hat. Ich mag komplette Autoren, die mehrere Elemente mit leichter Hand miteinander verbinden und Wissenschaft, Geschichte und Philosophie transportieren, wie Jim Nisbet oder Rick DeMarinis. Ich mag aber auch Autoren wie Dave Zeltserman oder Garry Disher, die kein Wort zuviel verwenden und trotzdem eine komplexe Atmosphäre mit Sogwirkung erzeugen, samt gesellschaftlicher Momentaufnahme.
EVOLVER: Noir ist ja kein Genre mit großen deutschen Traditionen. Meines Wissens hast du mit Thor Kunkel auch lediglich einen deutschen Autor im Programm. Wie ist es dazu gekommen?
Frank Nowatzki: Als Pulp Master noch mit Erich Maas segelte, dekorierten wir unseren Buchmessestand mit Rotlicht und Fransenvorhang, sodaß er von außen nicht einsehbar war. Das wiederum machte Thor Kunkel neugierig, der mit seinem "Schwarzlicht-Terrarium" im Schuhkarton auf der Messe hausieren ging. Erich nahm ihn unter seine Fittiche, beriet und lektorierte, obwohl allen klar war, daß wir so ein Projekt nicht stemmen können und dieses Ausnahmetalent zu höheren Weihen berufen war. 2004 schien er es dann auch geschafft zu haben; sein dritter Roman "Endstufe" war das Messebuch, über das alle sprachen - bis der mediale Shitstorm einsetzte und ihn zur persona non grata degradierte.
Irgendwann rief er an und fragte, ob ich Interesse an Kuhl´s Kosmos habe, quasi das Sequel zum "Schwarzlicht-Terrarium", das ich ja schon als Schuhkartonmanuskript gelesen hatte und das bei Rowohlt damals weglektoriert wurde. Es war wie die Rückkehr eines geschaßten Champions-League-Stürmers zu seinem Heimatverein, der lieber zweite Liga mit allen Freiheiten spielen will als sich im Literatur-Zirkus weiter verheizen zu lassen. "Kuhl´s Kosmos" ist ein tolles Buch geworden, besonders vor dem Hintergrund, daß aus Deutschland in der Klasse ja nicht soviel kommt, und es hat Thor wieder zurückgebracht. Es hat laut Kunsthistoriker Sebastian Knoll, der ein Nachwort zu Thors neuem Roman "Subs" bei Heyne Hardcore geschrieben hat, einen der schönsten Epiloge der neueren deutschen Literatur. Was will man mehr? Ein neuer Kunkel ist übrigens in der Mache.
EVOLVER: Heuer ist ja ein Kersh-Jubiläumsjahr. Bei uns war oder ist der Autor weitgehend unbekannt. Vor deinen Ausgaben gab es wohl lediglich einen Kurzgeschichtenband mit phantastischen Stories bei Diogenes. In Britannien gilt er als Noir-Klassiker. Wie hast du ihn entdeckt und was bewegte dich zu einer deutschen Ausgabe?
Frank Nowatzki: Der Name tauchte öfters in Sekundärliteratur auf. Der von mir sehr geschätzte Harlan Elison bekannte sich als Kersh-Jünger und stellte dem britischen Kersh-Bibliographen Paul Duncan eine Sektion auf der eigenen Homepage zur Verfügung. Das machte mich neugierig, und ich begann mich einzulesen. Erwartet hatte ich so eine Art James Hadley Chase, doch Kersh war vielschichtiger und von London fasziniert und besessen. Anfangs konnte ich nicht glauben, daß ein Autor mit dieser literarischen Qualität - ein ehemaliger Bestsellerautor - hierzulande nie verlegt wurde, doch nach Paul Duncans Nachwort wurde mir klar, warum. Weltkrieg, Hurrikan, Krebs und Exfrau haben ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zu oft kann ich mir eine solch literaturhistorische Ausgrabung zwar nicht leisten, aber in diesem Fall kam ich als Fan nicht drumherum - und Angelika, die Lektorin der Reihe, bekommt immer ein Glitzern in den Augen, wenn wir an unsere Gerald-Kersh-Ausgaben denken.
EVOLVER: Während die aktuellen Bestsellerlisten von unsäglichen Kriminalromanen und Thrillern beherrscht werden, ist die Noir-Literatur zu einer reinen Nischenkultur geworden. Siehst du Anzeichen dafür, daß sich da in absehbarer Zeit etwas ändern könnte?
Frank Nowatzki: Auf jeden Fall. Sallis, Pollock oder Woodrell haben sich gut durchgetankt. Verfilmungen geben meistens den entscheidenden Impuls und rufen Verlage aus New York City auf den Plan, die dann eine internationale Verwertungskette anstoßen. Plötzlich läuft, was jahrelang nicht lief. Ich erinnere nur an deine Dumont-Noir-Reihe. Woodrell hat sich vor kurzem auf der Berlin-Lesung darüber amüsiert, wie sein enthusiatischer New Yorker Jungverleger nach dem Filmerfolg "Country Noir" zum next big thing erklärte, obwohl Woodrell selbst seit Jahrzehnten in den Ozarks hockt und - von der Welt ignoriert - Romane vor sich hintippt.
EVOLVER: Zeichnen sich nach deinen Beobachtungen in der internationalen Noir-Kultur irgendwelche aktuellen Trends ab?
Frank Nowatzki: Ich glaube, daß das Interesse an Noir zunimmt, wenn mehr Leuten klar wird, daß Sicherheit und Fairness im Grunde nur eine Illusion sind, die funktioniert, wenn die Bedingungen in der Gesellschaft halbwegs ideal sind. Verschlechtern sich diese Bedingungen, bewegt sich die zivilisierte Welt auf ganz dünnem Eis. Dann können nicht nur Grenzen zur Front werden, sondern auch deine Straße. Der nächste gute Noir wird daher vielleicht aus Griechenland kommen. Ein Bekannter berichtete kürzlich aus Athen, er hätte den Eindruck, als befände er sich mitten in Buddy Giovinazzos Cracktown.
EVOLVER: Welchen Roman aus deinem Programm empfiehlst Du?
Frank Nowatzki: Paria von Dave Zeltserman. Er beginnt furios in guter, alter Black-Lizard-Manier und rechnet am Ende gnadenlos mit Medien und Buchbetrieb ab. Zynisch, brilliant, komisch. Ein außergewöhnliches, überraschendes Buch, das unser Pulp-Master-Spektrum auf intelligente Art und Weise erweitert.
EVOLVER: Welchen Roman aus einem anderen Programm empfiehlst Du?
Frank Nowatzki: Wenden wir uns nach all dem Gesagten zur Abwechslung einem anderen Genre zu - und einem Autor, der seinen ersten Roman mit Erich Maas veröffentlichte und auf Harlan Elison schwört. Es ist der neue Science-Fiction-Roman mit dem tollen Titel "Pulsarnacht" von Dietmar Dath. Er entwirft ein abgefahrenes Zukunftsszenario, vor dem Hintergrund eines Naturereignisses, das die Machtkonstellation in den Vereinigten Sternen-Linien verändern wird, während die Menschen nach wie vor versuchen, Gesetzeslücken zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen. Mein Lieblings-Noir-Element: Ein Polizist, der im Auftrag der Präsidentin Informationen beschaffen soll und dabei mehr Wahrheiten erfährt, als ihm eigentlich lieb ist, taucht zum Vergessen in den Lasterhöhlen von Yasaka ab. Da kommt bei mir pure Philip-K.-Dick-"Blade Runner"-Stimmung auf. Der kreative Output schreit geradezu nach Verfilmung, am besten in mehreren Staffeln à la "Battlestar Galactica", um den utopischen Details - zum Beispiel Raumschiffen mit eigenem Wasserkreislauf und künstlichen Gletschern - den nötigen Platz zu verschaffen. Man sollte eine gewisse Affinität für Astrophysik mitbringen und ungefähr wissen, was im CERN vor sich geht, sonst fühlt man sich in diesem visionären Spektakel womöglich deplaziert. Der Autor fordert viel, aber wenn man sich darauf einläßt und ihm folgen kann, beschert er mit "Pulsarnacht" feinste Erlebnis-Literatur, die alle Register zieht.
Martin Compart
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