Stories_Pulp Fiction
Denn sie wissen nicht, was sie tun ...
Wenn sogenannte "Kritiker" eines können, dann ist das g´scheit reden oder sich selbst und ihr halbgares Fachwissen zwischen den Zeilen in den Mittelpunkt stellen. Halten Sie sich lieber an echte Experten wie Martin Compart - der verrät Ihnen diesmal die wahre Bedeutung von "pulp fiction".
23.07.2012
Immer wieder blökt es in der Krimikritik laut und erschreckt "pulp", wie aus einer Hammelherde, die den Wolf gesehen hat. Der falsche Umgang mit literaturgeschichtlichen Begriffen - bei uns, im Gegensatz zu anderen Ländern - zeigt einmal mehr die erbärmliche Rezeption von Kriminalliteratur in Deutschland. Es ist eine konsequente Tradition, die sich da aus den Printfeuilletons ins Internet fortsetzt: kein Hauch von genregeschichtlichen Kenntnissen. Ein Unwissender bezieht sich auf den anderen, und durch diese Parallelquellen soll ein ausreichender Verifikationsgrad erreicht werden.
Der auffälligste Fehler dabei ist die Nutzung obigen Begriffs für Inhalte statt Form. Selbst Wikipedia behauptet, daß "Pulp" umgangssprachlich für "Schund" zu verwenden wäre. Dafür gibt es wohl eher das schöne neudeutsche Wort "Trash". Wikipedia: "Der Name 'Pulp' leitet sich vom billigen, holzhaltigen Papier (engl.: wood pulp) ab, auf dem die Magazine gedruckt wurden. Pulp ist umgangssprachlich auch als 'Schund' zu verstehen (siehe Intro des Spielfilms 'Pulp Fiction')." Der Titel von Tarantinos Film bezieht sich aber nicht nur auf die Inhalte, sondern mehr noch auf den anthologischen Aufbau, der dem strukturellen Aufbau der Pulp-Magazine folgt. Außerdem sollten umgangssprachliche Idiotismen - von "chillen" bis "public viewing" - in Rezensionen nichts zu suchen haben; die kann man getrost RTL-Kunden wie der Schuhfachverkäuferin Sheila überlassen.
Diese Kritiker benutzen den Begriff "pulp" fast so, wie Proll-Gert und Tony Blair mit dem Begriff "Reformen" umgegangen sind - indem sie ihn der ursprünglichen Bedeutung entkleiden und ins Gegenteil verkehren. Sie wollen mit dem Ausdruck "pulp" anzeigen, daß es sich um etwas Wildes, Subversives, Ursprüngliches, den Hard-boiled-Traditionen Verpflichtetes handelt, das ihrer sonstigen Lektüre abgeht. Ihre selbstgefällige Kleinbürgerlichkeit und ihre brave Spießigkeit erschrecken vor der Maßlosigkeit des Genres.
Falsche Begriffsnutzung ist jedoch ein Ärgernis und fördert falsches, bestenfalls ungenaues Denken.
So werden Groschenhefte wie Jerry Cotton, Lassiter oder Perry Rhodan als "deutsche Pulps" bezeichnet, was ein großer Irrtum ist. Diese Heftromane lassen sich nämlich auf den publizistischen Vorläufer der "Pulps" zurückführen, die "dime novels": 1860 wurde in den USA von Verleger Erasmus Beadle die ersten Dime-Novels veröffentlicht, Heftromane mit abgeschlossenen Abenteuern einer Serienfigur. Die erste Dime-Novel-Reihe, die sich ausschließlich der Detektivliteratur widmete, war die "Old Cap. Collier Library" des Verlags Norman L. Munro. Die Reihe erschien von 1893 bis 1899 und brachte neben ausländischen Lizenzen - wie Übersetzungen Gaboriaus - auch Originalstoffe; z. B. "Old Broadbrim, the Quaker Detective". 1886 erschien dann Nick Carter von John Russell Coryell. Er war wohl der berühmteste Held der Dime-Novels und für die Entwicklungsgeschichte der Kriminalliteratur im allgemeinen und des Heftromans im besonderen von zentraler Bedeutung. In Deutschland wurde "Nick Carter" ab 1906 veröffentlicht.
1896 war das Geburtsjahr der Pulps: Frank Munsey machte die Jugendzeitschrift "Argosy" zu einem Abenteuermagazin für Erwachsene, gedruckt auf 192 Seiten rauhen holzigen und unbeschnittenen Papiers im Format 17,5 x 25 cm. Von den Seiten wurden etwa 60 für Anzeigen verwendet. Um 1900 lag die Auflage von "Argosy" bereits bei einer halben Million. "Der Vorteil der Pulp-Magazine gegenüber den Dime-Novels - 1919 wurde die letzte Dime-Novel-Serie, The New Buffalo Bill Weekly, in ein Pulp-Magazin umgewandelt - war neben einer größeren Variationsbreite die Experimentierfreudigkeit, die das Medium förderte. Nur wenige nutzten das Pulp-Format, um inhaltlich das Dime-Novel-Konzept fortzuführen, beispielsweise Doc Savage und The Shadow.
Da das Publikum der Pulps relativ konsumschwach war, sank die Zahl der Anzeigen bald. Die Profitrate war sehr gering (in den 30er Jahren lag sie etwa zwischen 450 und 750 Dollar bei einer Auflage von 100.000) und basierte alleine auf dem Verkaufserlös und nicht auf den Anzeigen. Das zwang die Verleger dazu, das Literaturmaterial billig einzukaufen (3 bis 4 Cents pro Wort in den 1920ern, ein Cent durchschnittlich in den 1930ern).
1905 führte der Dresdner Eichler-Verlag mit der Lizenz der amerikanischen Dime-Novel-Serie Buffalo Bill den Heftroman in Deutschland ein und prägte mit seinem 20 Pfennig-Preis auch den Begriff "Groschenheft".
Die Pulp-Magazine unterscheiden sich von den Dime-Novels konzeptionell dadurch, daß sie als Anthologien mit unterschiedlichen Geschichten verschiedener Autoren aufgebaut waren. Die meisten dieser Magazine konzentrierten sich auf ein bestimmtes Genre: Black Mask auf Kriminalliteratur, Weird Tales auf Horror, Amazing Stories auf Science Fiction - um nur einige der bekanntesten zu nennen. Deswegen ist Super Pulp aus dem Verlag EVOLVER BOOKS tatsächlich ein Pulp-Magazin (sowohl im inhaltlichen Konzept wie im formalen), bei "Jerry Cotton", "Perry Rhodan" oder "Lassiter" handelt es sich hingegen um reine Dime-Stories.
Gerne werden auch die Paperback-Original-Autoren (Thompson, Brewer, Whittington, Goodis, Williams, Block, Westlake usw.) unter "pulp" subsumiert. Dabei waren es genau diese Taschenbuchromane, die dem Medium Pulp-Magazin die massenmediale Dominanz im Printbereich nahmen, sie sogar auslöschten und einer völlig anderen Dramaturgie folgten. Die wenigen Pulp-Magazine (etwa Ellery Queen´s Mystery Magazine), die die Marktbereinigung überstanden, mußten sich in das zeitgemäßere "Digest-Format" wandeln.
Wenn man inhaltlich "pulp" etwa als Schund oder "Trash" verwendet, geht das ebenfalls völlig daneben. Denn die Pulps waren Veröffentlichungsorte für Autoren wie Dashiell Hammett, Raymond Chandler, Jack London, H. P. Lovecraft, Philip K. Dick, Louis L´Amour, Upton Sinclair oder Ray Bradbury - also für Schriftsteller, die subversive Weltliteratur geschrieben haben.
Die weniger gebildeten "Kritiker" sollten daher wenigstens ein paar Standardwerke zur Literaturgeschichte lesen, um nicht dauernd ihre Ahnungslosigkeit wie eine Monstranz vor sich her zu tragen. Ihr Verhältnis zum Genre erinnert an Alkoholiker, die sich für Whiskysammler halten.
Martin Compart
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