Stories_Große Autoren stehlen...
"Wir schlugen Hippies nieder!"
Er gilt als phallokratischster Rock-Kritiker und liebt auch als Crime-Autor die "Unmoral". Martin Compart über das New Yorker Enfant terrible Nick Tosches.
08.03.2004
Seit Jahrzehnten taucht Nick Tosches nach einem Wrack namens "amerikanischer Traum". Geortet hat er es im stürmischen Meer des Showbiz. Und egal, was er hebt, ob Rock´n´Roll oder Hollywood, immer klebt das organisierte Verbrechen an dem Fund. "Als einzige unter den Nationen definiert Amerika sein Schicksal als einen Traum", sagt der Autor.
Tosches wurde 1949 in Newark, New Jersey geboren. Sein italienischstämmiger Vater betrieb eine Bar, die Mutter war irischer Herkunft. Mit vierzehn arbeitete er bereits in Bars, beendete die High-School und weigerte sich trotz väterlichen Drängens, aufs College zu gehen. Dafür mußte er kürzlich wieder die Schulbank drücken, um für seinen Dante-Roman zwecks Recherche Latein zu lernen.
"Wo ich aufwuchs, gab es kaum Bücher, aber jede Menge Buchmacher“, erzählt er. "Als Kind stahl ich Bücher. Fünf meiner eigenen Bücher habe ich auf einer gestohlenen Schreibmaschine geschrieben. Mittelmäßige Autoren kopieren, große Autoren stehlen." In den 60ern gehörte Nick Tosches ganz und gar nicht zur Love & Peace-Fraktion: "Meine Kumpels und ich waren voll auf Drogen. Wir schlugen Hippies nieder und raubten sie aus." Tosches stand auf Rockmusik und ist bis heute besessen von frühem Pop. Er liebte eigentlich alles, was ein Spießer abartig zu nennen pflegt. Auch Literatur war immer sein Ding. "Mein 'Moby Dick' war Hubert Selbys 'Last Exit to Brooklyn' ", erinnert er sich. "Das Buch weckte den Autor in mir, befreite und inspirierte mich. Neben Peter Matthiessen und Philip Roth gehört Selby zu den drei großen Gegenwartsautoren. Aber ihn respektiere ich am meisten - als Schriftsteller und als Mensch."
Als die 60er Jahre endgültig ihre Geschäfte einstellten, verkaufte Tosches seinen ersten Text. In New York überlebte er nur durch die täglichen Partys, auf denen er gratis feste Nahrung fand. Er schrieb für legendäre Musikzeitschriften wie "Creem" und "Fusion". 1972 ging er nach Florida und wurde Schlangenfänger. Nach einem Biß beschloß er jedoch, selbst Gift zu verspritzen, und wurde ernsthafter Autor und Rock-Kritiker. Mit Richard Meltzer und Lester Bangs gehörte er zu den "Noise Boys", die mit ihrer Gonzo-Schreibe den Rock-Journalismus veränderten. Tosches war der vielseitigste unter ihnen und verfaßte nicht nur wichtige Musikbücher, sondern auch Gedichte, Biographien (etwa über den Mafia- und Vatikanbankier Michele Sindona, in der er das Zentrum der katholischen Religion als Heimstatt der bedeutendsten Verbrecherorganisation aller Zeiten schildert) und Romane.
Zu Tosches´ Förderern gehörte Ed Sanders, der ihn auf die Klassiker brachte. Zitate der alten Griechen und Römer finden sich demnach recht oft in seinen Texten über Popkultur und ermöglichen ungewöhnliche Perspektiven. In seinen Pop-Archäologien wühlt er sich durch alle kulturellen Mülltonnen und verändert den Musikkanon, indem er die großen Vergessenen zurückholt. In "Where Dead Voices Gather" exhumiert er etwa mit Emmett Miller jenen Musiker, in dem nach Tosches erstmals schwarze und weiße zur modernen amerikanischen Musik verschmolzen.
Dabei bleibt er natürlich immer seinem Bad-Boy-Image treu: "Wir verdanken der Mafia viel", sagt er beispielsweise. "Hätte sie nicht die Discjockeys bestochen, wäre der Rock´n´Roll nie ein Erfolg geworden." Tosches Jerry-Lee-Lewis Biographie "Hellfire" wurde vom Kollegen Greil Marcus nicht nur wegen solcher Sätze als "amerikanischer Klassiker" bezeichnet.
"Dean Martin war ungefähr der letzte Typ, über den ich schreiben wollte", meint er zu seiner meisterhaften Biographie "Dino". "Bis ich mich genauer mit ihm beschäftigte - und natürlich mit den Mächten im Hintergrund: Mafia und Politik." Außerdem ist Martin, was in unseren Breiten nicht hinreichend bekannt sein dürfte, eine der größten Pop-Ikonen überhaupt: Er schaffte, was vor und nach ihm noch niemand bewerkstelligt hatte, nämlich, sich gleichzeitig als Bühnen-, Film-, Fernseh- und Schallplatten-Star durchzusetzen. In den USA verdrängte er sogar die Beatles von der Spitze der Hitparaden!
Für Tosches´ brillante Boxerbiographie "The Devil and Sonny Liston" ("wahrscheinlich das düsterste Buch, das ich bisher geschrieben habe") gilt ähnliches. Liston gehörte dem organisierten Verbrechen, das somit über das Leben des stärksten Mannes der Welt verfügte. Nach der Lektüre des Buches wird selbst der Dümmste Boxkämpfe nicht länger als sportliche Veranstaltungen betrachten.
Papst Nick, wie er unter Eingeweihten genannt wird, ist nicht gerade der Liebling der Emanzen. In jedem seiner Artikel positioniert er einen Machismo, der ihm den Ehrennamen "phallokratischster Rock-Kritiker" einbrachte. Für Tosches ist sowas natürlich eine Freude, ermuntert es ihn doch zu Szenen, die jedem Porno zur Ehre gereichen würden.
Sex und Rock´n´Roll - da dürfen Drugs natürlich nicht fehlen. Die spielen bei ihm auch immer mit. In "The Last Opium Den" durchsucht Tosches Südostasien nach der letzten Opiumhöhle. Das kurze Gonzo-Buch basiert auf einem Artikel für "Variety", Nicks Hausblatt, in dem heute seine hochbezahlten Edelreportagen gedruckt werden.
In seinen Mafia-Epen, die Machiavelli lektoriert haben könnte, gewinnt der Leichenbestatter als einziger immer. Die Gewalt ist alltäglich, Bestandteil des Geschäftslebens. "Zivilisation ist eine alte Hure und sie wird mit jedem Tag häßlicher. Es ist die Zivilisation Kains; sie wurde auf einem Mord aufgebaut. Männer, die das Töten ablehnen, haben unsere Zivilisation einfach nicht begriffen. Die sind unzivilisiert", heißt es in "Trinities", dem apokalyptischen Noir-Roman, für den Tosches 250.000 Dollar Vorschuß kassierte und de mit illegalen Informationen vollgestopft ist, die Otto Schily gar nicht recht sind.
Wenn es einen Roman gibt, der die TV-Serie "Sopranos" inspiriert haben könnte, dann ist das "Cut Numbers" - ein Buch, das mit bösen, hungrigen alten Männern und ausgenützten bösen, hungrigen jungen Männern bevölkert ist. Da fehlt nur noch Dantes knochenbrechender Ugolino. (Tosches Dante-Besessenheit bescherte uns übigens seinen nächsten Roman: "In the Hands of Dante). Entmythologisiert dampfen mit Kleingeld rappelnde Straßenganoven neben amoralischen Dons mit verwesten Seelen in denselben miesen Kneipen und Hinterhöfen Schulter an Schulter und lassen ihren explosiven Kräften freien Lauf. In die Hölle wird man nicht geholt, man wird darin geboren.
Doch selbst in der Noir-Welt des Nick Tosches gibt es Lichtblicke: "Gott in seiner unergründlichen Weisheit hatte die Revuetänzerin erschaffen."
Martin Compart
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