Stories_Porträt: Frank Miller
Die Welt ist ein finsterer Ort
Ohne ihn wäre Batman längst Schnee von gestern, und "Sin City" hätte es nie gegeben: Was Sie schon immer über Frank Miller hätten wissen sollen ...
05.08.2005
Entweder man ist ein begnadeter Comiczeichner - oder beherrscht die Kunst, eine komplexe Story zu Sprechblasen zu verdichten. Der Amerikaner Frank Miller erreichte in beiden Bereichen einen hohen Grad an Perfektion und beeinflusste nebenbei auch noch Hollywood.
Man kann Tim Burton ruhig glauben, wenn er behauptet, daß sein "Batman" ohne Frank Millers "The Dark Knight Returns" nicht möglich gewesen wäre. Auch Mark S. Johnsons "Daredevil" und der eher mißlungene, nach Millers gleichnamiger Figur entstandene Streifen "Elektra" von Rob Bowman sind durchdrungen vom düsteren Geist der Millerschen Comics. Der Amerikaner prägte nicht nur die Optik der Comicverfilmungen, sondern auch die Ausgestaltung ihrer zugrundeliegenden Helden und Heldinnen über Jahre. Sie wurden - ganz in seinem Sinn - zu schwermütigen, zynischen Figuren, die eine Last von Problemen auf ihren Schultern trugen.
Damit führte er konsequent die Ideen von Marvel-Mastermind Stan Lee fort. Lee, der Miller 1979 zu Marvel holte, schuf im Gegensatz zum "Kontrahenten" DC-Comics Helden mit Brechungen in der Persönlichkeit, die sich darüberhinaus auch mit dem ganz gewöhnlichen Alltag zu plagen hatten.
Unter Millers erzählerischer Feder wuchsen die seelischen Abgründe von Figuren wie dem Daredevil, Punisher, von Captain America, Wolverine oder auch Spider-Man zu riesigen, sich nie schließenden Wunden. In seinen Geschichten nutzte das Böse die Pein der Helden aus, und jeder Sieg verlangte einen hohen Preis: "Es wird sich eine Spinne in einem fremden Netz verwickeln und ungeheuren Bedrohungen gegenüber stehen", heißt es im "Spider-Man King-Size Annual 14" von 1980.
Millers Bilder lernen laufen
Die von Miller für Marvel gezeichneten Comics glichen opulenten Filmen im Heftchenformat, seine Storys waren bitter und voller Tiefgang. Und doch sollte es mehr als 25 Jahre dauern, bis sich Regisseure nicht nur von Miller beeinflussen ließen, sondern sich auch der Geschichten aus der Feder des mittlerweile 48-jährigen Multitalents aus Maryland annahmen: 2006 soll die Adaption der Miniserie "300" in die Kinos kommen, bereits ab 11. August* 2005 ist "Sin City" zu sehen.
Neu ist die Geschichte nicht, der erste Band der Saga wurde bereits 1991 veröffentlicht, aber erst jetzt wurde das Krimi-Opus um eine kaputte Stadt voller Korruption, voller offener und versteckter Gewalt unter der Regie Robert Rodriguez´ verfilmt. Dieser hatte bereits auf eigene Kosten ein kleines Stück des millerschen Opus auf HD-Video gebannt, um den stark Hollywood-abgeneigten Künstler auf seine Seite zu ziehen. (Millers erste Versuche als Script-Autor der Fortsetzungen von Paul Verhoevens "Robocop" gingen in den frühen neunziger Jahren ziemlich daneben.)
Der Sin-City-Schöpfer war von Rodriguez' filmischer Transposition der gezeichneten Vorlage sogar so angetan, daß er für die Verfilmung der an die ersten drei "Sin City"-Stories angelehnten Leinwandumsetzung nicht nur am Drehbuch mitschrieb, sondern auch gleich am Co-Regiestuhl Platz nahm (was Rodriguez übrigens seine Mitgliedschaft in der amerikanischen Directors Guild kostete, da diese nur einen Regisseur pro Film gelten läßt).
Der texanische Filmemacher (verantwortlich unter anderem für die "Mariachi"-Filme oder das Vampirgemetzel in "From Dusk Till Dawn") könnte genau der Mann sein, den Miller als Partner braucht: ein Bruder im Geiste, einer, der ebenfalls gerne auf vielen Hochzeiten tanzt. Rodriguez ist Produzent, Drehbuchschreiber, Kameramann, Cutter in Personalunion und bewies mit seiner Texmex-Band Chingon sogar musikalisches Gespür.
Die Besetzung des teilweise im schwarzweißem Noir-Stil des Comics gedrehten Streifens ist illuster, besonders herausragend: Mickey Rourke als häßlicher Racheengel Marv. Er hetzt durch die düstersten Winkel einer ohnehin schon unheilvoll düsteren Stadt, ist hinter dem Killer her, der die schöne Goldie umbrachte, während sie in Marvs Bett lag. Neben Rourke spielen unter anderem Benicio del Toro, Bruce Willis, Josh Hartnett, Jessica Alba und Elijah
"Hobbit" Wood. Robert Rodriguez und Frank Miller suchten gemeinsam die Schauspieler aus, der Regisseur sorgte dann mit Akribie dafür, daß die Comics Panel für Panel exakt umgesetzt wurden. Für Miller schaute dabei sogar ein kurzer Cameo-Auftritt heraus: Der Säulenheilige des amerikanischen Comics, der Retter der Superhelden ist als Priester zu sehen.
Superhelden im Abseits
"Sin City" ist ohne Zweifel ein Meisterwerk. Miller verbindet darin harte Action mit dem Noir-Stil von Filmen wie Robert Aldrichs "Das Rattennest" oder Orson Welles´ "Im Zeichen des Bösen". Doch zentrale Bedeutung erlangte Miller als Retter der maskierten Wohltäter. Bei Marvel nahm er sich besonders des blinden Rechtsanwalts Matt Murdock und seines Alter Egos Daredevil an, der Ende der 70er Jahre kurz vor dem Aus stand. Die Heftreihe um den "Man Without Fear" lag wie Blei in den Kiosken. Noch schlimmer stand es Mitte der Achtziger Jahre um eine amerikanische Institution: Die vom Zeichner Bob Kane und dem Texter Bill Finger 1939 erfundene Figur des Batman schien sich überlebt zu haben. In den Siebziger Jahren wetterte er vehement gegen Drogen und stolperte dabei fast über sein Saubermann-Image. War Kanes Held im Kostüm der Fledermaus noch ein Rächer, einer der alle Schurken jagte, um den heimtückischen Mord an seinen Eltern zu sühnen, versuchte man ihn ab Mitte Sechziger Jahre als moralisch integren Kontrapunkt zu den ambivalenten Marvel-Heroen wie Punisher, Silver Surfer oder Blade zu vermarkten. Das ging schief und es schien nur eine Frage der Zeit, bis die Bathöhle verwaist und Bruce Wayne aufs Altenteil abgeschoben werden würde. Doch mit Millers "Batman - Die Rückkehr des dunklen Ritters" gelang dem Schrecken aller Gangster von Gotham City ein furioses Comeback. Millers Batman war voller Zweifel. Mit seiner Bitterkeit und seiner negativen Weltsicht verwischte er die Grenzen zwischen Gut und Böse auf nie gekannte Weise. Gleichzeitig öffnete Miller die Einfassungen der Comic-Panels, ließ den Figuren dadurch mehr Raum und erneuerte so das Genre der Superhelden-Comics. Getreu dem Motto: "wir befinden uns immer noch in Gotham City, aber dort ist nichts mehr so, wie es mal war." Danach überließ Miller die Helden weitgehend neuen Zeichnern, nur ab und zu wandte er sich - etwa in "Elektra lives again" oder "Batman - Year One" - wieder halbherzig dem Genre zu. Wichtiger waren ihm "Martha Washington", "300" oder eben "Sin City".
Während er seine Projekte vorantrieb, forderten Fans eine Fortsetzung von "Die Rückkehr des dunklen Ritters". Bis 2001 blieb Miller standhaft, doch dann kam "Der dunkle Ritter schlägt zurück". Dank dieses Erfolgs verdichten sich die Gerüchte, daß die "Matrix"-Crew um die Wachowski-Brüder Millers Batman unabhängig von Chris Nolans "Batman Begins" verfilmen will. Ob diese Kooperation funktionieren wird, bleibt allerdings abzuwarten. Vielleicht wäre es sinnvoller, die Fledermaus erneut in die Hände Tim Burtons zu legen. (Der ist wiederum mit "Charlie and the Chocolate Factory" und der "Corpse Bride" ausgelastet, während die Wachovskis gerade in London/Berlin an der der Verfilmung von Alan Moores "V for Vendetta" arbeiten).
(*Anmerkung der Redaktion: Ursprünglich hätte Robert Rodriguez' Verfilmung der "Sin City"-Comics bei uns am 26. Mai starten sollen, der Termin wurde jedoch überraschenderweise auf den 11. August verlegt.)
Manfred Prescher
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