Stories_Porträt: Alan Moore
Der Comic-Literat
Mit der "V wie Vendetta"-Verfilmung wollen sich die Gebrüder Wachovski in den Blockbuster-Olymp zurückkatapultieren. Manfred Prescher nimmt den Autor der Vorlage unter die Lupe.
29.03.2006
Alan Moore begann eigentlich als Comic-Zeichner, merkte jedoch rasch, daß seine Fähigkeiten im Umgang mit Tusche und Stiften begrenzt waren. Also suchte er sich für seine Projekte Partner, die den jeweiligen Anforderungen eher gewachsen waren als er selbst. Moore konzentrierte sich lieber auf die Stories und kreierte bereits in den späten Siebzigern und in der ersten Hälfte der achtziger Jahre mit seinen Arbeiten für das britische "Warrior"-Magazin einen unverwechselbaren, mit reichhaltigen philosophischen und historischen Verweisen gespickten Stil. Aus dieser Zeit ragen besonders "The Ballad of Halo Jones" (gezeichnet von Ian Gibson), das auch als "Miracle Man" bekannte "Marvelman" und das von David Lloyd illustrierte "V wie Vendetta" heraus.
Vendetta in Hollywood
"V wie Vendetta" wurde zwischen 1982 und 1985 als Fortsetzungsroman im "Warrior" veröffentlicht. Erst 20 Jahre später wurde die bedrückende Beschreibung einer totalitären Welt mit vollständiger Überwachung und absolutem Freiheitsverlust unter der Leitung von "Matrix"-Miterfinder Larry Wachowski für die Leinwand inszeniert. Für Moore ist das Interesse Hollywoods freilich kein Grund, die britische Hauptinsel zu verlassen. Das hat er in seinen bisherigen 51 Lebensjahren stets vermeiden können. Sogar als er in den späten Achtzigern für den amerikanischen DC-Verlag arbeitete, blieb er in England. Auch die Gerichtsverhandlung um die Tantiemen an seinen für DC erstellten Werken verfolgte er vom heimischen Northampton aus. Für den Verlag von "Superman" und "Batman" entstanden mit "Swamp Thing", dem abschließenden dritten Teil von "V wie Vendetta" und "Watchmen" echte Klassiker. Die von Dave Gibbons gezeichnete Superhelden-Elegie wird zur Zeit ebenfalls verfilmt und soll noch 2006 in die Kinos kommen.
Jack the Ripper und andere Gentlemen
Dabei hat die Traumfabrik den bärtigen britischen Künstler nicht erst jetzt für sich entdeckt - obwohl es verwundert, daß sich Filmstudios bereiterklärten, Geld in die Umsetzung Moorescher Graphic Novels zu investieren. Denn diese Werke sind wahre Monolithen, und das nicht nur innerhalb der bunten Comic-Welt. Alan Moore ist ein Literat, der komplizierte Sachverhalte bebildern läßt und sich dafür allen Platz der Welt nimmt. "V wie Vendetta" und erst recht "From Hell" liegen in der Gesamtausgabe kiloschwer im Regal und auf der Seele des Lesers.
Tatsächlich schien "Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen" ("League of Extraordinary Gentlemen") am ehesten für eine Leinwandadaption geeignet. Stephen Norringtons Version von Alan Moores Endzeitvision und dem Aufeinandertreffen literarischer Berühmtheiten des viktorianischen Zeitalters kam 2003 im Zuge der erfolgreichen Superhelden-Verfilmungen "X-Men" und "Spider-Man" in die Kinos. Und obwohl die "Gentlemen" Moores wohl schwächstes Werk darstellen, hätte die Leinwandfassung nicht so fade ausfallen müssen. Man hat sich mehr davon versprochen - vor allem, weil den Brüdern Hughes zwei Jahre vorher das Kunststück einer Adaption von Moores gigantischem "From Hell" gelang.
Allen und Albert Hughes konzentrierten sich dabei auf das Wesentliche, auf die Intrigen um die Morde des Rippers, auf den Drogenkonsum von Inspector Fred Abberline (Johnny Depp), auf die Mitwirkung des britischen Königshauses an der Vertuschung der bestialischen Verbrechen und auf das Sittengemälde des zu Ende gehenden 19. Jahrhunderts. Moores Gedankenspiele um Verschwörung und Freimaurer mußten dabei ebenso zwangsläufig auf der Strecke bleiben wie die im Anhang der Gesamtausgabe von "From Hell" skizzierten, heute zum englischen Legendenschatz gehörenden Theorien um Herkunft und Motive des Jack the Ripper.
Endzeitstimmung
Es mag so aussehen, als sei Moore besonders am 19. Jahrhundert interessiert; vor allem, weil mit "Gentlemen" und mit "From Hell" gleich zwei seiner Werke in dieser Epoche angesiedelt sind. Aber eigentlich liegt ihm mehr daran, den Moment abzupassen, an dem eine Ära zu Ende geht. Das fin de siècle, der Abgesang der viktorianischen Monarchie, ist für ihn nur ein Symbol der Auflösung und des radikalen Umbruchs. Die Zerstörung des Ist-Zustandes und der überlieferten Konventionen sind seine zentralen Themen: In "V wie Vendetta" wird nach dem Atomkrieg das England des 20. Jahrhunderts zerstört. Faschisten übernehmen das Land und schaffen mit modernen Mitteln das, was Hitler nicht völlig gelang: die nahezu vollständige Kontrolle über alles und jeden. Während "From Hell" die Zeit vor dem Untergang einer Ära beschreibt, zeichnet "Vendetta" das bedrückende Bild eines "Danach". Zusammen bilden diese Bücher die beiden Seiten ein und derselben Medaille ab.
Manfred Prescher
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