Nippon Connection 2008
Japanisches Filmfestival, 2.-6. April 2008/Frankfurt am Main
Vom 2. bis zum 6. April durfte man sich bei der "Nippon Connection" in Frankfurt am Main bereits zum neunten Mal einen Überblick über den zeitgenössischen japanischen Film verschaffen. 22.04.2008
Mit einer Auswahl unterschiedlicher Genres und Produktionsstandards bietet die "Nippon Connection" Jahr für Jahr Einblick in das Schaffen eines der produktivsten Filmländer der Welt. Vor einigen Jahren gab es dort noch hauptsächlich Filme zu sehen, die dem Klischee einer skurrilen und exotischen Nation entsprachen. Zwar verläßt man sich bei der Vermarktung immer noch auf dieses Bild, doch mittlerweile finden sich zunehmend Dramen und Komödien im Programm, die sich solchen stereotypen Zuschreibungen entziehen. Heuer entstand sogar der Eindruck, man habe sich vielleicht zu sehr vom Genrekino abgewandt. Gerade den früher stark vertretenen Horrorfilm suchte man diesmal vergebens.
Wer etwas Anstößiges sehen wollte, mußte sein Glück etwa beim einzigen Pink-Film des Festivals versuchen. In Frankfurt beschränkt man sich schon seit einigen Jahren auf die unbeschwerten und lustigen Vertreter des Genres: The Tender Throbbing Twillight läßt allerdings - abgesehen von seinem komödiantischen Potential - auch Platz für Themen wie Tod und Vergänglichkeit. Die Geschichte eines sexsüchtigen Opas, der seiner Jugendliebe begegnet, hat durchaus gelungene Regieeinfälle aufzuweisen (Rückblenden aus der Schulzeit werden etwa von denselben Schauspielern in Schuluniform und mit Perücken gespielt) und nimmt sich mit der sexuellen Leidenschaft älterer Leute auch eines ungewöhnlichen Themas an. Wirklich überzeugen mag der Film aber nicht. Indem sich Regisseur Shinji Imaoka weit von den Konventionen des "pinku eiga" entfernt und seinen Film einem gewöhnlichen Drama annähert, werden die dramaturgischen und schauspielerischen Schwächen umso offensichtlicher.
Dai-Nipponjin, der Debütstreifen des bisher nur in Japan bekannten Komikers Hitoshi Matsumoto, ließ hinsichtlich des überdrehten Humors der Japaner einige Vorbehalte zu. Die als Dokumentation inszenierte Monsterfilm-Parodie über einen schrulligen Monsterjäger stellte sich dann doch als dezenter und origineller heraus als angenommen: Wenn der Film für den Schlußkampf die digital animierten Monster gegen kostümierte Menschen in einer Miniaturstadt austauscht, verzeiht man ihm schließlich auch so manche Albernheit.
Koji Wakamatsu ist auf der NC ein alter Bekannter und hat bereits vor zwei Jahren mit "Cycling Chronicle" bewiesen, daß er mit Dramen ebenso zu überzeugen weiß wie mit seinen früheren Sexploitation-Filmen. Mit United Red Army, der vom Untergang der japanischen RAF handelt, entwickelt sich Wakamatsu gar noch zum seriösen Filmemacher. Nachdem der dreistündige Film anfangs mit einer schnellen Abfolge von Text-Inserts und kurzen Szenen sowie einer begleitenden Erzählerstimme die Geschichte der RAF nachgezeichnet hat, beginnt seine eigentliche Handlung erst, wenn die Terroristen schon dem Untergang geweiht sind. Die Kampfausbildung in einer entlegenen Waldhütte wird zum Schauplatz eines dicht inszenierten Kammerspiels. So dauert es nicht lange, bis sich die Terroristen aus Mißtrauen und Neid gegenseitig mit Folter und Psychospielen zugrunderichten.
Trotz seiner detaillierten Darstellung ist "United Red Army" weniger an einer präzisen Geschichtsrekonstruktion interessiert als am Scheitern einer Gruppe aus Idealisten und Größenwahnsinnigen. Auch wenn es dabei besonders im letzten Drittel des Streifens zu einigen Längen kommt, gelang Wakamatsu damit einer der bemerkenswertesten Beiträge des Festivals.
Auch Naomi Kawase war mit ihren Dokumentar- und Spielfilmen bereits mehrmals bei der NC zu Gast. Ihr Spielfilm The Mourning Forest handelt von einer Krankenpflegerin, die sich während eines Ausflugs mit einem greisen Patienten im Wald verläuft, wo beide mit den Dämonen ihrer Vergangenheit konfrontiert werden. Man kann Kawase ein ästhetisches Gespür für Bilder nicht absprechen. Doch nach einer behutsam inszenierten ersten Hälfte verfällt die Filmemacherin wieder ihrem altbekannten Drang zur tränenreichen Katharsis und badet sich auf penetrante Weise in den Emotionen ihrer Figuren.
Eine ebenso spröde wie auch spannende Arbeit gab es dagegen von Yusuke Kaida in der Nebensektion "Nippon Digital" zu entdecken. Mit der Geschichte einer jungen Frau, hinter deren scheinbar harmonischer Beziehung sich ein dunkles Geheimnis verbirgt, wirkt Shadow of Sand zwar streckenweise allzu rätselhaft, ansonsten ist Kaida aber ein atmosphärisch und ästhetisch beeindruckender Film gelungen. Maraki Tamura, dessen opulente Kameraarbeit in Klassikern wie "Lady Snowblood" und "Eureka" zu sehen war, photographiert hier mit einer Super-8-Kamera intime Bilder in klaustrophobisch wirkenden Innenräumen.
Abgesehen vom Hauptprogramm ist auch die alljährliche Festival-Retrospektive immer einen Besuch wert. Nachdem der dreitägige Rahmen in den letzten Jahren meist für kleine Werkschauen bekannter Regisseure genutzt worden war, konzentrierte man sich nun zum zweiten Mal auf die unerforschten Gebiete des japanischen Kinos. Im Mittelpunkt der diesjährigen Retrospektive standen die Gründerväter des japanischen Animationsfilms. Jenseits einer geläufigen Anime-Ästhetik - und nur vereinzelt mit einer wirklichen Geschichte versehen - gab es überwiegend Klassiker aus den 60er und 70er Jahren zu sehen, zum Beispiel Yoji Kuris "Ai" und "Au Fou". Der Filmemacher beschreibt darin mit absurdem Humor den Geschlechterkampf und liefert sarkastische Beobachtungen des menschlichen Daseins.
Geba Geba Show Time! von Renzo Kinoshita hat eine Figur als Helden, der eine Wiederentdeckung wahrlich gebühren würde. Dem aus einfachen geometrischen Formen bestehenden Männchen passieren in kurzen pointierten Szenen allerlei Mißgeschicke. Obwohl sich die Clips ohne weiteres für Kinder eignen würden, kann man auch als Erwachsener ihren doppelbödigen und surrealen Humor genießen. In einem weiteren Programm mit Kurzfilmen aus den Siebzigern gab es ein Wiedersehen mit Kihachiro Kawamoto, der vor zwei Jahren mit "The Book of Dead" einen vollständig mit Bunraku-Puppen animierten Spielfilm von betörender Schönheit vorstellte. In seinen auf japanischen Legenden basierenden und mit traditioneller japanischer Musik unterlegten Werken schafft Kawamoto eine einzigartige Ästhetik, die einen sofort in ihren Bann zieht. Im Gegensatz zu seiner Heimat ist Kawamoto im Westen allerdings leider kaum bekannt. Eine demnächst in den USA erscheinende DVD seiner Kurzfilme könnte das ändern.
Die nostalgische Vorstellung, daß ein von Hand animierter Film automatisch charmanter sein muß als zeitgenössische Großproduktionen, ist übrigens ein Mythos. Vergleicht man die Filme der Retrospektive aber mit einer technisch perfekten Großproduktion wie Appleseed: Ex Machina, einem von zwei Animes aus dem Hauptprogramm, scheint sich diese Behauptung zu bestätigen. Der mit hochkarätigen Namen wie John Woo als Produzenten und Muccia Prada als digitaler Kostümdesignerin gespickten Verschwendungsorgie fehlt trotz schmalziger Love-Story etwas ganz Entscheidendes: eine Seele.
Alles in allem war die NC 2008 ein durchaus zufriedenstellender Jahrgang, in dessen umfangreichem Programm sich auch ein paar Höhepunkte versteckten. Die Abkehr von den Stereotypen des japanischen Kinos ist zwar sehr lobenswert - trotzdem wäre es schön, im nächsten Jahr auch wieder einige Horrorfilme zu sehen. Gerade für ein Filmland, das für seine extremen Gewaltdarstellungen bekannt ist, schien die diesjährige Filmauswahl nämlich ungewöhnlich zahm.
Nippon Connection 2008
Japanisches Filmfestival, 2.-6. April 2008/Frankfurt am Main
Michael Kienzl hat die Filmfestspiele auch 2017 überlebt und berichtet von seinem Ausflug in die Virtual Reality - mit Alejandro González Iñárritu, südkoreanischem Genrekino und Jean-Stéphane Sauvaires Triumph in Sachen Häfenkino.
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Unser Festival-Korrespondent Michael Kienzl ist aus Cannes zurückgekommen und liefert eine Bestandsaufnahme zu übergangenen Filmperlen und gepflegten Langeweilern - von Paul Verhoeven bis Cristian Mungiu.
Unser Festival-Korrespondent Michael Kienzl hat sich trotz Terror-Alarm (der europaweit eh schon zur Routine wird) auch heuer nach Cannes gewagt - und präsentiert exklusiv im EVOLVER die wichtigsten Filme, die diesmal an der Cote d´Azur zu sehen sind.
Nach dem Vorgeschmack folgt der Rückblick: Michael Kienzl berichtet über seine Eindrücke von den Filmfestspielen in Cannes - und von fetten Franzosen sowie mangelnder Revolution.
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