Im zweiten Teil des Nikolas-Schreck-Porträts berichtet der Mann, der einst zur "first family of Satanism" gehörte, über Charles Manson, die Schreckens-Band Radio Werewolf, Anton LaVey - und die Abgründe des Internets.
18.09.2014
Er war Bluttrinker, Teufelsanbeter, Deathrock-Musiker, bester Freund des berüchtigtsten Mörders der USA, Magier und Schwiegersohn des Gründers der Church of Satan: Nikolas Schreck. Heute lebt der Mann mit dem vielsagenden Pseudonym in Berlin - und ist gläubiger Buddhist.
Auch die nächste Passion Schrecks hatte mit den Abgründen und Skandalen der Traumfabrik zu tun. Schon 1967, als der damals Fünfjährige mit seinem Vater in einem auf Horror spezialisierten Pariser Kino den Polanski-Film Tanz der Vampire sehen durfte, hatte er die "prophetische Institution, daß mit den Menschen in diesem Film etwas Schreckliches, Ehrfurchtgebietendes passieren würde".
Und tatsächlich: Nicht nur schmuddelige Hippies begeisterten sich in den "Sick-sick-Sixties" für Drogen, Hexerei und Schwarze Magie, sondern auch der Promi-Adel der Entertainment-Industrie. In den Hügeln und Tälern rund um L. A. fanden Ende der Sechziger Nacht für Nacht Orgien und Exzesse statt, schlossen Superstars enge Bekanntschaft mit dem Freak-Untergrund und balancierten grenzenlos naiv am Rande des Abgrunds.
In zwei Augustnächten des Jahres 1969 geschah es dann: Sharon Tate, Polanskis hochschwangere Ehefrau und eine der Hauptdarstellerinnen des Vampirtanzes, wurde mit vier ihrer Gäste in ihrer Villa am Cielo Drive brutal ermordet. Einer der Täter schmierte mit Tates Blut das Wort "Pig" an die Eingangstür. Zwei Tage später schlachteten dieselben Killer dann das Ehepaar Leon und Rosemary LaBianca in ihrem Haus ab.
Wenige Monate danach wurden die Schuldigen verhaftet: der Exhäftling Charles Manson, der den Großteil seines Lebens in Haftanstalten verbracht hatte, und seine Hippie-Kommune alias "The Family", die auf einer Ex-Westernfilm-Ranch von Autodiebstahl und Rauschgifthandel gelebt hatten. Der Prozeß gegen die Bande wurde zur Mediensensation, und Manson gilt bis heute als der Mann, der die Hippie-Bewegung eigenhändig zu einem blutigen Ende geführt hat.
Es konnte nicht ausbleiben, daß der junge Schreck sich auch für diesen Gesetzesbrecher begeisterte. "Für mich war Charlie ein armer Freak, dem das Establishment diese Morde anhängen wollte", sagt er heute. "Ich fand alle Feinde des amerikanischen Mainstreams gut - aber auf eine unschuldige, naive, fast dumme Art. Ich war wie ein Wolfskind, das keine Ahnung von der Gesellschaft hatte."
Jahre später suchte Nikolas den Kontakt zu Manson. Er korrespondierte mit dem zu lebenslanger Haft Verurteilten, besuchte ihn im Gefängnis, interviewte ihn, verfaßte ein Buch mit dem Titel "The Manson File" (1988) und drehte schließlich ein Jahr später die bis heute in Untergrundkreisen legendäre Doku Charles Manson Superstar. In beiden Werken präsentierte er die Philosophie, die Musik und die spirituellen Ideen des Mannes, der noch heute als schlimmster Serienmörder des 20. Jahrhunderts im amerikanischen Bewußtsein verankert ist - obwohl er in beiden Mordnächten niemanden umgebracht hatte, sondern angeblich nur seine Anhänger mit Hilfe geheimnisvoller Gehirnwäschemethoden zu den Taten angestiftet hatte.
2011 erschien eine neue, auf fast 1000 Seiten erweiterte Version von Schrecks Buch: "The Manson File: Myth and Reality of an Outlaw Shaman" ("Die Akte Manson: Mythos und Realität eines Outlaw-Schamanen"), in dem er den Fall völlig neu aufrollt und mit Hilfe einer Unmenge bisher unbekannter Fakten und Aussagen den Nachweis versucht, daß es sich bei den legendären Morden in Wahrheit um außer Kontrolle geratene Racheakte im Dealermilieu gehandelt habe.
"Ich bin bis heute mit Manson befreundet; er hat mich ursprünglich gebeten, das Buch zu schreiben", sagt Nikolas Schreck stolz. "Bei der Arbeit an der neuen Fassung habe ich dann herausgefunden, wer wirklich hinter den damaligen Morden steckte."
6. STÖRSENDER
In den moralisch gefestigten, rechtskonservativen USA der Achtziger, als die ehemaligen Hippies längst zu geldgierigen, scheinheiligen Yuppies geworden waren, kam es ganz und gar nicht gut an, wenn man sich für das Schreckgespenst der Nation einsetzte. Doch Schreck, der von "seinem" Gott Seth aus der ägyptischen Wüste ins Mutterland des Feindes zurückbeordert worden war, tat genau das - und noch mehr.
Kaum war er wieder in L. A., gründete er dort die Band Radio Werewolf (deren Name logischerweise auch "böse" Konnotationen hatte), die ihren Probekeller neben den damals noch unbekannten Guns N´Roses hatte. Ihre vom Musiktheater inspirierten Skandalkonzerte nannten sie "Rallies" (= Kundgebungen, Massenveranstaltungen) und bewarben sie mit provokanten Propagandaplakaten. In den Deathrock-Songs des Werwolf-Radios ging es um Serienmörder wie den "Killer-Clown" John Wayne Gacy oder um einen ehemaligen SS-Offizier, der sich an die gute alte Zeit erinnerte: "I can´t forget those midnight strolls on Kurfürstendamm / The way you wore your Luger made me feel like such a man / The world that trembled in our grasp / The Götterdämmerung / We came we saw we conquered / The Triumph of the will ..."
"Das war eindeutig satirisch gemeint", sagt Nikolas, der damals einen Harem aus "Werewolf Youth"-Girls um sich scharte wie ehedem Charlie mit seiner Kommune. "Ich verkörperte all diese 'negativen' Figuren auf der Bühne, wir inszenierten unsere Musik und unsere Auftritte auf parodistische Weise, wie Cartoon-Figuren. Doch sowohl unsere Feinde als auch unsere Fans nahmen alles wörtlich, was wir taten."
Als Radio Werewolf, die "böseste Band der Welt" mit ein paar befreundeten satanistischen Musikern 1988 das Benefizkonzert "Free Manson!" ankündigte, stürzte sich die linke Presse wütend auf Schreck. Gleichzeitig wurden die Fans noch fanatischer, und die Cops in L. A. begannen ihn zu schikanieren: "Ich wurde als faschistischer, nekrophiler Bluttrinker dargestellt - und ich habe ja auch tatsächlich Blut getrunken."
Er trat also die Flucht an, nach San Francisco, wo die eingangs erwähnte Begegnung mit dem Autor dieser Zeilen stattfand ... und wo er wenige Monate danach die Frau seines Lebens kennenlernen sollte. Und zwar mitten in der Hochburg des Teufels.
7. SATANS HOHEPRIESTERIN
"Es waren stets Frauen in meinem Leben, die mich tiefer und tiefer in das Reich des Dunklen einführten", sagt Nikolas. "Vielleicht liegt das daran, daß Frauen dem Teufel wirklich näherstehen, wie man einst geglaubt hat."
Seine neue Freundin stand zumindest dem Vertreter Satans auf Erden sehr nahe: Zeena war die Tochter von Anton LaVey (1930 - 1997), einem ehemaligen Varieté-Organisten, der in der Walpurgisnacht des Jahres 1966 die Church of Satan gründete (eine der vielen Legenden, die er nachträglich selbst verbreitete; das Datum ist nach neuen Erkenntnissen reine Erfindung) und besagtes Jahr gleich zum ersten des "satanischen Zeitalters" ausrief. LaVeys hedonistische, sozialdarwinistische Kirche zog in den experimentierfreudigen 60er Jahren zahlreiche Prominente wie Sammy Davis, Jr. oder Jayne Mansfield an. Der medienerfahrene Teufelspapst zelebrierte auch öffentlich satanistische Trauungen und Taufen: Zeena wurde im Alter von drei Jahren von ihrem Vater zum Gaudium der staunenden Öffentlichkeit dem "wahren Beherrscher der Welt" geweiht.
1985 - nunmehr erblondet und stets im klassischen Femme-fatale-Stil Hollywoods unterwegs - wurde sie im Alter von 22 Jahren zur Hohepriesterin und offiziellen Sprecherin der Church of Satan. Kaum hatte sie ihren späteren Ehemann Nikolas Schreck kennengelernt, traten die beiden auch schon gemeinsam in US-Talkshows auf, wo sie LaVeys Kirche gegen die damals herrschende "Satanic Panic" mit deren Anschuldigungen bezüglich rituellem Kindesmißbrauch verteidigten.
Es sollte jedoch nicht lange dauern, bis sich das Paar, das von den sensationsgeilen Medien gern als "first family of Satanism" bezeichnet wurde, von Anton LaVey lossagte. "Ich arbeitete damals an einem Buch mit dem Arbeitstitel 'The Demonic Revolution', für das ich schon viele prominente Persönlichkeiten interviewt hatte und auch mit LaVey sprach", erzählt Schreck. "Wir waren zwar eine Zeitlang befreundet, doch ich merkte bald, auch durch Gespräche mit meiner Frau, daß Anton ein notorischer Lügner und Betrüger war."
Nikolas und Zeena ließen die Church of Satan und deren Gründer hinter sich zurück, traten für einige Jahre der schon zuvor von LaVey abgespaltenen Gruppierung Temple of Set bei und zogen sich damit die ewige Feindschaft der streng orthodoxen Teufelsanbeter zu.
8. SIT ON MY FACEBOOK
Die diversen satanistischen Sekten in den USA und im Rest der okkulten westlichen Welt bekämpfen einander etwa so vehement wie die kommunistischen K-Gruppen im Deutschland der Siebziger. Statt aber spektakuläre magische Kriege mit Blitz und Höllenfeuer gegeneinander zu führen, beflegeln sie einander lieber im Internet, wo jedes Gerücht schnell zum Selbstläufer wird, auch wenn es mehr als einen Pferdefuß hat.
Nikolas Schreck, so steht es im Web und in diversen Insider-Foren geschrieben, heißt angeblich gar nicht wirklich so. Er soll, so verbreiten seine und Zeenas Feinde seit Jahren, außerdem seine Biographie weitgehend erfunden, alle seine ehemaligen Freunde ausgenützt haben und - huch! - noch dazu jüdischer Herkunft sein. Abgesehen davon sei er aber natürlich trotzdem Rassist, Neonazi und überhaupt alles Schlechte, was man (es handelt sich bei den Verbreitern der Gerüchte laut Schreck fast durchwegs um Stalker und fanatische LaVey-Anhänger) auf ihn projizieren kann.
Was die Nazis selbst dazu sagen? Auf einer ihrer prominentesten Websites findet sich der Hinweis, daß "Herr Schreck nichts in unseren Foren posten darf, weil wir hier keine Juden zu Wort kommen lassen". Die Argumentation dreht sich im Kreis - und scheint eine ebenso ausgeklügelte Inszenierung zu sein wie das "wahre Leben" des Mr. Schreck. "Es gibt nur einen Grund, warum all meine angeblichen Freunde plötzlich so gegen mich waren: sexuelle Eifersucht", behauptet er. "Sie haßten Zeena und mich, weil wir verliebt waren und ihren kleinen Frauenhasserklub hinter uns gelassen haben."
Nikolas kommentiert die Gerüchte nicht, weil er das Internet sowieso für eine endzeitliche Erscheinung hält, für "die Barbaren vor den Toren Roms". (UPDATE: Als Schreck Ende 2012 die USA besuchte, kontaktierte er dort auch seinen Anwalt, um juristisch gegen die Hetzkampagne und die Verleumdungen vorzugehen. Seither sind die bösen Gerüchte über Zeena und ihn im Netz wesentlich weniger geworden.)
Dennoch kann auch Nikolas Schreck aus geschäftlichen Gründen nicht umhin, sich ins Web 2.0 zu begeben. Vor einigen Monaten startete er seine eigene, autorisierte Seite in "Herrn Zuckerbergs Werbe- und Geheimdienstagentur", weil dort so viele Betrüger in seinem Namen aufgetreten waren. Die Empfänger seines Newsletters lud Schreck mit folgenden Worten ein: "Sit on my Facebook".
Der diabolische Humor ist ihm schließlich nie abhanden gekommen.
In seinem neuen Roman erzählt Klaus Ferentschik von Spionen, verschwundenen USB-Sticks, Hagelkörnersammlern und Eisleichen. Das Ergebnis ist ein philosophisch-psychologischer Agententhriller, der mehr als doppelbödig daherkommt.
Gute Nachricht für alle Desorientierten und von Relikten der Vergangenheit Geplagten: Unser beliebter Motivationstrainer Peter Hiess zeigt Euch einen Ausweg. Und die erste Beratungseinheit ist noch dazu gratis!
Will man sich in den Vororten verorten, dann braucht man auch die praktische Verkehrsverbindung. Der EVOLVER-Stadtkolumnist begrüßt den Herbst mit einer Fahrt ins Grüne - und stimmt dabei ein Lob der Vorortelinie an.
Treffen der Giganten: Der "Depeschen"-Kolumnist diskutiert mit dem legendären Dr. Trash die Wiener Weiblichkeit von heute. Und zwar bei einem Doppelliter Gin-Tonic ... weil man sowas nüchtern nicht aushält.
Unser Kolumnist läßt sich von Fernando Pessoa inspirieren und stellt bei seinen Großstadtspaziergängen Beobachtungen an, die von ganz weit draußen kommen. Dort wirkt nämlich selbst das Weihnachtsfest noch richtig friedlich.
Wie man hört, trainieren US-Soldaten in Manövern für die Zombie-Apokalypse. In Wien scheint sie bereits ausgebrochen. Der EVOLVER-Experte für urbane Beobachtungen weiß auch, warum.
Kommentare_