Lichtscheiben über Neuschwabenland
Stories_Rokko´s Adventures im EVOLVER #3/Pt. 2
Die Regler hoch, die Türen fest geschlossen
Die Fortsetzung des aktuellen Rokko-Abenteuers: Daniel Krcal über Neofolk. Von schwarzen Sonnen, esoterischem Hitlerismus und Kalki. 02.06.2008
Ernst Röhm trifft Maxi Böhm
Douglas Pearce, beispielsweise, war in seiner Enttäuschung über die radikale Linke dazu übergegangen, mittels Maske und faschistischer Ästhetik der Linken einen Spiegel für ihr eigenes Tun vorzuhalten, und stieß nebenbei auf das Konzept des Nationalbolschewismus und die Figur des schwulen SA-Führers Ernst Röhm. Rund um die Namensgebung, das Gesamtkonzept und die rechten Verwicklungen von Death in June wurde schon viel herumspekuliert, weswegen dies wohl Inhalt eines eigenen Artikels werden wird. Nur eines: Manch einer landete nach ganz links tatsächlich extrem rechts, Tony Wakeford beispielsweise bei der National Front, wobei er sich heute zur damaligen Zeit folgendermaßen äußert: "Jenen Teil meiner Vergangenheit sehe ich als ein fremdes Land, eines das ich selbst im Urlaub nicht besuchen würde ..."
Dann gibt es jene, die eine Art ernsthafter Auseinandersetzung mit Geschichte anstreben. Jene, die einem nostalgischen Europabild anhängen. Jene, die ihren religiösen Elitarismus nach der Mainstreamisierung von Okkultem in die Beschäftigung mit faschistisch-esoterischen Gestalten, allem voran Julius Evola, gerettet haben. Jene, denen angesichts der Erkenntnis, daß links auch von rechts daherkommen kann, ganz einfach der Mund offenstehen bleibt. Jene, die Tabus brechen und sich von keinerlei Ideologie vereinnahmen lassen wollen. Jene, die eine Art selbstreferentielles Kabarett betreiben. Jene, die es wirklich mit einer Neudeutung faschistischer Ideen ernst meinen - oder zumindest geschickt das provokative Bild wahren.
Black Sun Dying - Black Sun Rising
Kurzzeitige und in einige Bereiche hinein langlebige Hysterie entsteht, als einerseits von rechter Seite Vereinnahmungsversuche einer neu entdeckt geglaubten weißen Szene unternommen werden und andererseits Protagonisten der Neofolk-Szene ihr Interesse immer stärker auf zumindest zweideutig rezipierbare historische Persönlichkeiten ausdehnen. Dazu zählen neben Pound, Jünger und Evola immerhin auch so schwere Geschütze wie der Rumäne Corneliu Zelea-Codreanu, dessen Eiserne Garde nicht gerade zimperlich mit Andersgläubigen umging. Eine Zeit der Mißverständnisse soll folgen: Fensterläden von Plattengeschäften bersten, der Tourbus von DIJ brennt, Konzerte werden von tapferen Antifaschisten vereitelt. Von Thronstahl erscheinen am Cover von "RockNord", Neofolk-Werke finden Beachtung in "Junge Freiheit" und Co. Die Saat der zweideutigen Symbole und Signale ging auf, schwarze Sonne und Sig-Rune durften nicht anders als affirmativ gesehen werden.
Botschaft aus Hyperborea
Dabei bietet gerade das Beispiel der schwarzen Sonne einen guten Einblick in die Art und Weise, wie an diese Dinge herangegangen wird. Die Auseinandersetzung mit einer Sache bedeutet nicht die bedingungslose Akzeptanz all ihrer Aspekte. Die Faszination für dieses Symbol geht zurück auf alte kulturelle und magische Traditionen, kommt quasi über Aleister Crowley in den Industrial. Die Rekontextualisierung im Nationalsozialismus ist eben nur ein Teil der Geschichte, die aber nur ohne dessen Ausblendung verstanden werden kann.
Dazu Gerhard, Protagonist des Einmann-Projekts Allerseelen: "Durch die Coil-Platte 'Scatology' bin ich auf das kraftvolle Symbol der Schwarzen Sonne aus einem Buch von Aleister Crowley aufmerksam geworden." Und später auch darauf, daß diese, in abgewandelter Form, in der Wewelsburg, wo Karl Maria Wiligut sein national-esoterisches Wesen und Unwesen trieb, zu finden ist. In selbigem Interview kommt Gerhard auch auf eine der skurrilsten Figuren der rechten Esoterik zu sprechen, wieder ist der Bezug zu Coil da: "Auf Miguel Serrano wurde ich übrigens in einer von Coil herausgegebenen A5-Zeitschrift aufmerksam."
Hitler ist Kalki
Miguel Serrano, chilenischer Diplomat und Politiker, gilt als Begründer des esoterischen Hitlerismus, der wiederum seine zentrale Idee, Hitler als die letzte Inkarnation Vishnus, Kalki, zu sehen, von Savitri Devi übernommen hat. Devi, eigentlich Maximine Portaz, war Französin mit englischen, italienischen und griechischen Wurzeln. Während einer Indienreise entdeckte die überzeugte Nationalsozialistin ihr indogermanisches Wesen und kam zu der Überzeugung, daß die Welt das Zeitalter des Kali-Yuga erreicht hat und eben Hitler Kalki ist.
Von C93 gibt es den Song "Hitler as Kalki", und David Tibet äußert sich in einem Interview dazu folgendermaßen: " 'Hitler As Kalki' handelt im einzelnen von der Ansicht, daß Vishnu, der Hindu-Gott, in jedem Weltenzyklus zehnmal erscheinen wird, auf die Erde kommt, reinkarniert; Krishna, Rama und so weiter sind zum Beispiel alle Inkarnationen von Vishnu. Seine letzte Inkarnation ist Kalki - ein weißer Mann auf einem weißen Pferd, der wie ein Mensch aussieht. Das ist für indische Götter ungewöhnlich, die allesamt viele Arme oder viele Köpfe oder beides gleichzeitig haben. Kalki sieht aus wie ein ganz normaler Mann, der auf einem Pferd reitet, ein brennendes Schwert in der Hand hält, mit dem er die Welt vernichtet. Eine Interpretationsmöglichkeit dieser Legende wäre, daß Kalki bereits erschienen ist, und zwar als Hitler. Und Hitler hat tatsächlich die Welt zerstört. Obwohl wir immer noch darin leben. Sein Schwert ist auf uns niedergegangen, und die Welt bricht auseinander. Kalki ist erschienen und hat das Ende der Welt eingeläutet."
Daß solch eine Thematik in einem an Okkultismus und Magie interessierten Umfeld Einzug erhalten hat, braucht nicht zu wundern. Immerhin ist rechtes, elitäres Gedankengut fixer Bestandteil abendländischer Esoterik, beginnend bei der Theosophie der Russin Blavatsky über Rudolf Steiners Anthroposophie bis hin zu Karl Maria Wiligut und Jörg Lanz von Liebenfels, die direkt zum spannenden Kapitel neuheidnischer Religiosität im Dritten Reich führen.
I´d Rather be Your Enemy
Dazu kommt noch der starke Tobak des misanthropischen Sozialdarwinisten Boyd Rice, der eigentlich, den frühen Blood Axis gleich, nichts anderes tut, als die Geschichte der menschlichen Grausamkeiten als Naturgesetz zu formulieren, was all jene, die an das Gute im Menschen glauben, naturgemäß auf die Palme treibt. Der starke Tobak einer expliziten Verwendung der Symbole der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie, wobei hier die Industrialpioniere Throbbing Gristle, unter anderem durch Verwendung des Auschwitz-Schornsteins, seinerzeit die Tore weit geöffnet haben. Der starke Tobak der optischen Inszenierung einiger, zumeist ohne ergänzenden Kommentar. Der starke Tobak der Auseinandersetzung mit befangenen Künstlern, rein nach ästhetischen Aspekten, bar der politischen Einordnung. Der starke Tobak der Verwendung und Übernahme von verpönten Begriffen wie Eurozentrismus oder Ethnopluralismus.
Auseinander! Miteinander!
Starker Tobak: eigentlich das, was Subkultur bieten sollte. Doch ob überhaupt noch Subkultur oder eine oder viele Subkulturen, das kann angesichts auseinanderstrebender jüngerer Entwicklungen, wenngleich ein Kern Hermetischer (und das ganz im Sinne des Hermes Trismegistos) nicht zu verleugnen ist, wohl kaum wer beantworten. Spätestens seit dem Auseinandergehen der Mitglieder der World-Serpent-Familie hat sich einfach zu viel getan.
World Serpent Distributions war von Beginn an das maßgebliche Label der Szene. Schlechtes Management jedoch und, wenn man den Betroffenen glauben schenkt, schlechte Behandlung der eigenen Künstler, führten WSD in eine tiefergehende Krise. Als dann die Zugpferde Boyd Rice, Douglas Pearce und Albin Julius das Mutterschiff verließen, war der Ofen endgültig aus und der Konkurs da. Ein Umstand, dem wir zwei Dinge zu verdanken haben; das bitterböse, süffisante DIJ-Album "All Pigs Must Die!" und das Sprießen neuer Labels.
Immer mehr Musiker aus anderen Bereichen dringen in das Gebiet der Neoklassik, des düsteren Folk und industrieller Ambient-Landschaften ein, und die schönsten Neofolk-Momente kommen mitunter von gestandenen Metal-Bands wie Dornenreich oder Agalloch. Alteingesessene wiederum strömen aus: Joe Budenholzer holt Belle and Sebastians Isobel Campbell ins Studio; David Tibet kollaboriert mit Bonnie Prince Billy, dem Helden der gesetzten Alternative-Szene; Psychic-TV-Mitbegründer Alex Fergusson kehrt zurück und zeigt den jungen Hupfern mit einem flockig-schönen Album, wo der Bartl den Most holt; Matt Howden widmet sich in portugiesischer Bukolik dem Projekt Raindogs, einer Art weiterführender Tom-Waits Tribute-Band.
Lauter Tatsachen, die den Musikfreund eigentlich nur erquicken können.
aus: Rokko´s Adventures #1
(erschienen im Juni 2007)
Text: Daniel Krcal
Photos (1): Florian Wieser/donaufestival
Photo 1: Freak Folk meets former Neofolk: Bonnie Prince Billy als David Tibets Gast beim diesjährigen Donaufestival
Photo 2: World Serpent Distributions equals We Said Destroy! (Death in June/Cover: "All Pigs Must Die")
Kommentare_
Hitler = Kalki? Da muss ja der ungebildedste Inder lachen. Du willst etwas über Vishnu wissen, dann ist es wohl das Gescheiteste, man wendet sich an einen Vishnuiten. www.vishnupedia.org ist gerade für sowas ideal. Unter Kalki (http://vishnupedia.org/wiki/index.php?title=Kalki) wird man dort nicht die kleinste Ähnlichkeit mit Hitler finden, im Gegenteil: Gemäss dieser Beschreibung wäre Hitler einer der ersten Kandidaten, die von Kalki beseitigt würden. Aber ebenso interessant ist der Hinweis, dass Kalki erst am Ende des Kali-Yuga erscheinen soll, gemäss Vishnuiten das gegenwärtige Zeitalter, wir aber angeblich erst am Anfang stehen. Hitler war einfach nur ein faschistischer Ar..., der sich heilige Symbole der Hindus und Buddhisten einverleibt hat. Und nicht jeder Esoteriker fällt auf diesen braunen Schwachsinn herein.