Stories_Nachruf: Hunter S. Thompson

Der König ist tot. Lang lebe der König!

Das aktuelle Newsletter-Editorial aus gegebenem Anlaß auch online: der EVOLVER-Nachruf auf den König des Gonzo-Journalismus.    22.02.2005

Es passiert nicht jeden Tag, daß einer unserer Schutzheiligen stirbt ...

Kurz und traurig: Hunter S. Thompson ist nicht mehr. Vorgestern, am 20. Februar 2005, wurde er in seiner Bergfestung in Aspen, Colorado tot aufgefunden. Bis jetzt weiß man nur, daß er sich in den Kopf geschossen hat, Grund ist noch keiner bekannt. Andererseits: Schauen Sie sich um - wer braucht denn einen Grund zum Selbstmord, wenn es auf der Welt so aussieht?

"When the going gets weird, the weird turn pro", schrieb Hunter S. einst. Und wurde selbst zum Profi, nachdem er sich in den Sechzigern mit seinem ersten Buch über die Hell´s Angels noch am "ernsthaften Journalismus" versucht hatte. Dann aber gelang es ihm, den "National Affairs Desk" bei der Zeitschrift "Rolling Stone" zu erfinden und unter seine Kontrolle zu bringen - und so wurde der Gonzo-Journalismus geboren. Von da an schützte Thompson so etwas wie Objektivität gar nicht mehr vor. Er betrieb Wahl- und Politberichterstattung, besuchte offizielle und Gegenkulturveranstaltungen und schrieb darüber in seiner unverwechselbaren Art und Weise, die viele (nicht nur in der EVOLVER-Redaktion) später dazu inspirieren sollte, auch das Schreibhandwerk zu ergreifen. Sein Buch "Fear and Loathing in Las Vegas", sehr viel später kongenial verfilmt von Terry Gilliam, setzte neue Maßstäbe:

 

Nicht irgendwelche Pressesprecher, Politpopanze, Veranstalter oder Marketing-Affen sind das Hauptthema einer Geschichte, sondern der Journalist selbst. Und der ist wahnsinnig - zumindest dann, wenn es sein muß. Er scheut vor keiner Drogendosis zurück, schüttet sich mit Alkohol zu, lebt seine Paranoia voll aus, kämpft gegen die Chefredaktion (weil dort der natürliche Feind jedes Journalisten sitzt und im Auftrag der Anzeigenabteilung arbeitet) und schreibt sogar völlig weggetreten tausendmal besser als die ernsten, braven Beamten in den Massenverblödungsanstalten von Print, TV und Radio. Ganz ehrlich: Wenn dieser Typ kein Vorbild ist, wer dann?

Diverse Online-Redaktionen entblödeten sich in ersten Nachrufen nicht, Hunter S. Thompson als "Idol der Hippie-Generation" zu bezeichnen. Das ist natürlich völliger Schwachsinn. Neil Young (den braucht man sich nur anzusehen) ist ein Idol der Hippie-Generation, aber "Dr. Gonzo" hat Hippies und deren logische Nachfolger ("die Generation der Schweine") immer verachtet. Er war Waffenfetischist, erklärter Gegner des "Love & Peace"-Geschwafels und ein unbarmherziger Gegner jenes Establishments, dem auch die 68er bald angehörten. Bis zum Schluß schrieb er in seinem gnadenlos bösen und witzigen Stil gegen alte und neue Republikaner, rückgratlose Liberale und korrupte Demokraten an, konsumierte weiterhin sämtliche Rauschmittel, die er in die Finger kriegen konnte, und griff auch schon einmal zur Flinte, wenn es sein mußte.

Ja, und diesmal mußte es anscheinend wieder sein. Thompson entschied selbst, wann und wie er diese schmutzige kleine Welt verlassen wollte - und auch das haben wir zu akzeptieren, weil es nicht nur logisch, sondern auch konsequent und damit bewunderungswürdig ist.

Schade ist es trotzdem. Wir vom EVOLVER werden uns weiterhin bemühen, sein Erbe hochzuhalten - wie, das sollten Sie mittlerweile eh schon bemerkt haben.

 

In diesem Sinne: Kaufen und lesen Sie alles, was Sie von Hunter S. Thompson in die Hände kriegen können!

Peter Hiess

Gonzo und die Höllenengel

Nachruf: Hunter S. Thompson (1937 - 2005)


Mit der völlig irren Reportage "Angst und Schrecken in Las Vegas" (kongenial verfilmt mit Johnny Depp) begann Hunter S. Thompson 1971 seine Karriere als "Outlaw-Journalist". Seither zeichnete er sich als unberechenbarer Schnaps- und Drogenkonsument, genialer Politberichterstatter, Waffenfanatiker, Exzentriker, schärfster Kritiker der amerikanischen Psyche und hinreißender Schreiber aus.

Doch bevor er für den US-Rolling Stone den Gonzo-Stil erfand (Motto: Der Journalist ist garantiert wahnsinniger als alles, worüber er berichtet), lebte er Mitte der Sechziger ein Jahr lang mit den Hell’s Angels zusammen und dokumentierte deren Subkultur - bis sie ihn eines Tages brutal zusammenschlugen. Seine kulthaft verehrte Reportage über die Motorrad-Gang liegt in deutscher Sprache beim Heyne Verlag vor (sowie "Angst und Schrecken in Las Vegas"). So hätte Journalismus aussehen können, wären da nicht die Marketing-Abteilungen ...

 

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