Motörhead: "God Was Never On Your Side"
Miststück der Woche, Pt. 48
Hohes Alter schützt auch nicht vor den Torheiten des Rock´n´Roll. Bei den Stones oder Who wirkt das peinlich, bei Lemmy & Co. ziemlich cool. Manfred Prescher weiß, warum.
Zu Beginn ihrer Karriere hätte nicht mal Lemmy Kilmister darauf gewettet, daß seine Band Motörhead länger als zwei Jahre zusammenbleiben würde. Doch es kam ganz anders. Gemeinsam hat man schließlich den Jungbrunnen gefunden. 01.07.2015
Als sich vor kurzem die Komikertruppe Monty Python für zehn Comeback-Auftritte zusammenfand, drehte sie ein Video, in dem ausgerechnet der 71jährige Mick Jagger fragte: "Wer will denn schon so alte Säcke auf der Bühne sehen?"
Im Falle von Motörhead ist die Antwort klar: "Besonders deutsche Rockfans sind gern live dabei, wenn Lemmy Kilmister, Philip Campbell und Mikkey Dee die Bühnen entern", erklärt Ute Kromrey. Sie muß es wissen, da sie das Trio seit rund zwei Jahrzehnten als internationale Managerin begleitet. Aber sind Motörhead alt? Lemmy, das letzte Gründungsmitglied, das am Heiligen Abend auch schon siebzig wird, kennt die Antwort: "Wir sind immer noch Kinder, die herumtollen wollen", sagt er und fügt hinzu: "Anders würde es auch nicht funktionieren, denn Rockmusik ist nichts für alte Säcke". Wer Motörhead jüngst bei "Rock am Ring" sah, konnte diese besondere juvenile Energie spüren.
Beziehungsunfähig und doch treu?
Eine aktuelle Umfrage des Streaming-Dienstes Spotify brachte zutage, was eigentlich schon klar war: Heavy-Metal-Fans sind besonders treu. Für die Gefolgschaft von Motörhead gilt das in besonderem Maße - sie erhält aber auch immer das Maximum, ob beim Konzert oder auf CD. Das wird auch am 28. August der Fall sein, wenn "Bad Magic", das 22. Studioalbum der Band, erscheint. Kritiker nannten das früher "konservativ" oder "ewig gleich", man kann es aber auch so sehen: Der bluesige Speedmetal und die außergewöhnlichen Balladen von Motörhead sind eine wohltuende Konstante. "Die Welt hat sich verändert in den letzten 40 Jahren, es fehlen die moralischen Werte", sagt Lemmy. "Die Erde steht am Abgrund, drum laßt uns Spaß haben", faßt der lebensfrohe Pessimist sein Credo zusammen.
Die Fans lieben Lemmy so, wie er ist. Aber wie ist der Jungspund im Rentenalter eigentlich? Sein Privatleben hält er unter Verschluß - kolportiert wird nur, daß rund 2.500 Damen mit ihm das Lager geteilt haben sollen. Der Sänger widerspricht nicht: "Sex ist für mich einfach ein Lebenselixier." Zu einer dauerhaften Beziehung hat es nie gereicht, denn "wir sind oft monatelang auf Tour. Das hält einfach keine Partnerschaft aus." Er hat es mit der Zweisamkeit versucht - bis vor kurzem sah es so aus, als ob es nie klappen könnte. Doch seit eineinhalb Jahren ist er nun fest mit "seiner" Cheryl zusammen.
Treu war er schon vorher - zu seiner großen Liebe, der Band und deren Umfeld. Auch Ute Kromrey gehört dazu; sie weiß, daß der kolportierte Rock´n´Roll-Lifestyle auch nur ein Klischee ist. "Die Jungs sind zuverlässig und fleißig, wenn es um die Arbeit geht. Aber natürlich schlagen sie auch mal über die Stränge", sagt die Mutter der Motörhead-Kompanie. Kinder sind halt so, möchte man sagen - vor allem, wenn sie den Jungbrunnen voll "Sex, Drugs and Rock´n´Roll" entdeckt haben.
"Früher war eine Flasche Whiskey mein Tagesbedarf", erklärt Lemmy. "Aber weil man als Diabetiker durchsichtige Sachen trinken soll, bin ich auf Wodka Orange umgestiegen." Wenn man ihn auf seine Freunde Sid Vicious, Bon Scott oder Joey Ramone bzw. die vielen anderen Drogentoten der Rockmusik anspricht, meint er nur, daß man wissen müsse, was man vertragen kann:"Der persönliche Eichstrich markiert den Punkt, an dem es gefährlich wird." Daß Lemmy diese Grenze auch schon oft überschritten hat, leugnet er nicht: "Rock´n´Roller lieben das Risiko, wir fühlen uns oft unsterblich." So sind drogengeschwängerte Nebel und eben nicht altersbedingte Demenz dran schuld, daß er nicht mehr so genau weiß, wann Motörhead eigentlich gegründet wurde. "Ich kann´s beim besten Willen nicht mehr sagen, es muß wohl irgendwann im Sommer 1975 gewesen sein." Sicher ist, daß der Bandname paßt: Ein "Motorhead" ist umgangssprachlich ein Amphetaminsüchtiger.
Blick zurück im Zorn
Wir schreiben den 28. März 1981. In der Queens Hall zu Leeds findet ein denkwürdiges Ereignis statt: Dort, wo früher Straßenbahnen auf ihre nächtliche Ruheposition quietschten, rockt an jenem Abend die damals mit Abstand lauteste Band durch spätere Klassiker wie "Overkill", "Ace Of Spades" oder "Bomber". Lemmys Jagdgeschwader donnerte so heftig, daß die altehrwürdigen Mauern bebten und die Ohren erst drei Tage später wieder einsatzfähig waren. Die dazugehörige, legendäre LP "No Sleep ´til Hammersmith" gibt den Orkan nur unzureichend wieder - doch der Zuhörer merkt, daß Motörhead nicht die schlechteste Band der Welt waren, wie damals immer wieder zu lesen war: "Mir war egal, daß uns jemand so bezeichnete. Aber anno ´81 waren wir längst keine Dilettanten mehr. Wir konnten zwar nach wie vor keine Soli spielen wie Led Zep, aber das wollten wir auch gar nicht", so Lemmy. Daß man die frühen Werke von Motörhead - ähnlich wie die der australischen Kollegen von AC/DC - im Plattenladen oft unter "Punk" einsortiert fand, stört Lemmy nicht. "Es sind sicher unsere Wut und die düstere Sicht auf die Dinge, die uns mit den Punks verbinden", meint er. Auf die Frage, ob auch der vermeintlich simple Rabaukenrock bei der Einordnung eine Rolle spielen könnte, lächelt er und meint: "Schubladen sind mir ein Greuel."
"Life´s A Bitch"
40 Jahre Motörhead - das ist das große Glück im Leben des 1945 in Stoke-on-Trent geborenen Ian Fraser Kilmister. Wenn er über seine Kindheit spricht, wird das Leid deutlich. Er erzählt von der Nachkriegszeit in ärmlichen Verhältnissen, von einem Vater, der zwar im Zweiten Weltkrieg als Feldkaplan fromme Sprüche aufsagen konnte, die Familie aber kurz nach Lemmys Geburt auf Nimmerwiedersehen verließ. "Ich sah ihn erst als Erwachsener wieder, er hatte vielleicht ein schlechtes Gewissen oder so, wollte sich einschleimen", meint Lemmy. Er wollte ihm damals als Entschädigung Verstärker und Instrumente für seine Band abluchsen. Aber das Treffen verlief noch schlimmer als es zu erwarten war, und Lemmyließ seinen Erzeuger sitzen.
Die Geschichte klingt irgendwie wie die, die Johnny Cash in "A Boy Named Sue" besingt - aber sie ist verdammt real: "Der Kerl wollte mich nicht, also warum sollte ich ihn wollen", meint Lemmy. Er hat gelernt, auf sich selbst zu vertrauen. Und Dinge zu überstehen, die andere in die Knie gezwungen hätten. Im Radio-Interview mit dem Autor dieser Zeilen erzählte er Anfang der 1990er Jahre eine traumatische Episode aus seiner Kindheit: "Im Alter von sechs Jahren wurden mir grundlos und ohne Betäubung alle meine Zähne gezogen. Seitdem weiß ich, was physischer Schmerz ist. Und seitdem meine große Liebe an einer Überdosis starb, ist seelischer Schmerz mein Begleiter." Auf der 1992er-CD "March Ör Die" singt Lemmy autobiographisch "I ain´t no nice guy after all". Was Ian Fraser nicht umbrachte, verwandelte ihn in Lemmy, den Überlebenskünstler.
Ein alter Hut
In 40 Jahren haben Motörhead einiges erlebt; meistens geriet man wegen Drogenbesitz mit dem Gesetz in Konflikt. "Wir waren sicher keine braven Bürger, aber auch keine schlimmen Finger", sagt Lemmy. Er ärgert sich darüber, daß Kinderpornographie weitestgehend ungestraft bleibt, aber man bei Rock´n´Rollern gern nach illegalen Rauschmitteln sucht. 2008 hatte er in Deutschland dank seiner Sammlerleidenschaft für Utensilien aus dem Dritten Reich kurz mit der Justiz Kontakt: Auf einem Zeitungsphoto wurde er mit einem Nazi-Hut abgelichtet. Für den Fauxpas hat er eine eher skurrile Begründung parat: "Die Faschisten sind Geschichte und kommen hoffentlich nie zurück. Aber die Bösen haben einfach die schöneren Uniformen." Politisch steht Lemmy links, er ist ein gebildeter Freigeist. In den Songtexten etwa von "1916", "When The Eagle Screams" oder "God Was Never On Your Side" warnt er eindrucksvoll vor Krieg und Bigotterie. Lemmys Worte gehen unter die Haut - und das lieben die Fans von Motörhead.
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