Berlinale 2007/Journal II
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Elefanten im Porzellanladen
Die Berlinale im Blutrausch: In Zack Snyders Comic-Verfilmung "300" türmen sich die Leichenberge, der Protagonist von Okamoto Kihachis "Sword of Doom" metzelt einem Besessenen gleich seine Gegner nieder, und in Mitchell Lichtensteins "Teeth" wütet eine bissige Vagina unter der männlichen Bevölkerung. 20.02.2007
Nach der Pressevorführung von 300 schieden sich deutlich die Geister: Sowohl begeistertes Klatschen als auch lautstarke Buhrufe waren zu hören. Nicht weiter verwunderlich, denn solch ein Film kann nicht jedermanns Sache sein. Im Prinzip ist der Streifen nichts als eine zweistündige Gewaltorgie. Es geht um die Schlacht bei den Thermopylen 480 vor Christus, als sich 300 spartanische Krieger dem übermächtigen Heer von Perserkönig Xerxes entgegenstellten und es schafften, dieses tagelang aufzuhalten. Präzise geschichtliche Hintergründe liefert der Film nicht, ebensowenig wie psychologische Entwicklungen der Protagonisten. Auch Grauzonen sind nicht vorhanden, die Welt ist hier schwarzweiß: böse, dekadente Perser (die alle aussehen, als wären sie gerade dem nächsten S/M-Club entsprungen) gegen gute, aufrechte Griechen - und damit basta.
Der Film selbst ist dagegen nicht in Schwarzweiß, sondern in Sepiatönen gehalten, und alles außer den Schauspielern am Rechner generiert, was einen betörenden, aber extrem künstlichen Look erzeugt. Dies ist natürlich Absicht: "300" ist eine Verfilmung von Frank Millers ("Sin City") gleichnamigem Comic und soll auch dementsprechend aussehen. Weite Panoramaeinstellungen herannahender Heere, das spektakuläre Versinken einer ganzen Flotte im Sturm und nicht zuletzt die zahlreichen Kämpfe Mann gegen Mann: "300" ist Pomp und Bombast pur, eine Augenweide für alle Liebhaber von Fantasy-Schlachten. Die Überhöhung geht so weit, daß quasi jede Bewegung im Film von einem bedeutungsschwangeren Score unterlegt ist; es gibt kaum einen spartanischen Krieger, der nicht mit dumpfem Dröhnen - und am besten noch in Zeitlupe - zu Boden kracht. Ebenso gnadenlos kitschig wie brutal, frei von jeglichem Anspruch an den Intellekt, wirkt "300" wie ein bunt bemalter Elefant im Porzellanladen auf der sonst eher auf feinsinnige, politisch korrekte Filme getrimmten Berlinale. Mit anderen Worten: eine wahre Erholung.
Von ganz anderem Kaliber ist da Kihachi Okamotos Sword of Doom von 1966, das im Rahmen einer kleinen Retrospektive zu dem vor zwei Jahren verstorbenen, im Westen bisher weitgehend unbekannten japanischen Regisseur zu sehen war: Mitte des 19. Jahrhunderts verdingt sich der Samurai Ryunosuke Tsukue (Tatsuya Nakadai) als Auftragsmörder. Im Laufe der Zeit verfällt er mehr und mehr sowohl dem Blutrausch als auch dem Wahnsinn. Zugegeben, der Plot des Films ist fragmentarisch, das Ende abrupt, doch die perfekt ausgewogenen Bildkompositionen Okamotos, in denen noch das brutalste Gemetzel nichts als konzentrierte Eleganz ausstrahlt, machen das Betrachten von "Sword of Doom" zum wahren Genuß. Tsukues Blick bleibt dabei bis zum spektakulären Finale rätselhaft leer, seine Beweggründe unklar. Ist er ein Dämon auf Erden oder einfach nur vom Leben frustriert? Die Interpretation ist dem Zuschauer überlassen.
In der Horrorkomödie Teeth von Mitchell Lichtenstein läßt dann zur Abwechslung mal eine Frau das Blut spritzen - und zwar die brave Schülerin Dawn (Jess Weixler), die sich eifrig im Enthaltsamkeits-Club der High School engagiert. Kein Sex vor der Ehe, das ist für den Vorzeige-Teenager selbstverständlich. Als sie ihrem Mitschüler Tobey (Hale Appleman) näherkommt, entdeckt sie allerdings auf einmal ganz neue körperliche Bedürfnisse. Doch damit sind auch Gefahren verbunden, wie Tobey schmerzhaft feststellen muß: Dawn hat, ohne es zu wissen, eine Vagina, die bei Gefahr unverzüglich die Zähne fletscht. Im Lauf des Films verliert dann so manch bösartiger Mann sein bestes Stück an die "Vagina dentata", was für einige sehr drastische Szenen mit viel Kunstblut sorgt. Abgesehen von diesen Gore-Einlagen ist "Teeth" allerdings kein Horrorfilm, sondern eher eine Tragikomödie ums Erwachsenwerden in einer feindlichen Gesellschaft. Man hat beim Betrachten bisweilen das Gefühl, daß der Stoff noch etwas mehr an Komplexität hergegeben hätte. Doch unterhaltsam ist "Teeth" allemal, auch weil Jess Weixler eine ungemein überzeugende Vorstellung als verklemmte Provinzmaus bietet, die im Laufe des Films ihre Sexualität entdeckt - und damit auch die Macht, die sie über Männer auszuüben in der Lage ist.
Bleibt festzuhalten: Die Berlinale ist natürlich nicht das Fantasy-Filmfest - doch für tiefrotes Entertainment ist trotzdem gesorgt.
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