Stories_Rokko´s Adventures im EVOLVER # 7

Der konstruierte Auto-Dekonstrukteur

Eine Legende unter den Legenden: John Fare - der Mann, der sich vor Publikum immer wieder Körperteile amputieren und durch selbstgebaute Prothesen ersetzen ließ. Der Mann, der es konsequent zu dem brachte, wofür all den anderen Body-Performern dann doch der Mut fehlte: zum Tod auf der Bühne. Ein Mann, ein Faszinosum.
Schade nur, daß es ihn nie gab.    14.10.2008

Die Vorstellung ist natürlich schauderhaft schön: Da macht einer den echtesten Splatter von allen, und das live auf der Bühne und noch dazu im Namen der Kunst. Und so kursiert seit Jahrzehnten die Mär, daß es da wen gab, der das Unsägliche, nämlich sukzessive sich unter den selbstgebauten Amputationsroboter zu legen und verstümmeln zu lassen, getan und es bis zum öffentlichen Tod durch Enthauptung gebracht hat.

Der belgische Body-Art- & Peformance-Künstler DDV wollte es 1985 ganz genau wissen. Er schrieb eine Anfrage an den Direktor der Isaacs Gallery in Toronto, wo John Fare, wenn die Geschichte stimmen sollte, sich am 17. September 1968 angeblich seine komplette rechte Hand hat amputieren lassen. Die Antwort freilich war ernüchternd: "Dear Danny Devos, Thank you for your letter of January 31st. The story of John Fare which has managed to persist for almost twenty years now, has no factual basis. In the late 60´s, I put on a series of mixed media concerts in my gallery, and that is where the rumour began. There was no such person as John Fare as far as I know. Sincerely, Av Isaacs, Director".

Das Licht der Welt erblickte John Fares vermeintliche Biographie 1972 in "Studio International" - vom Autor Tim Craig in einem dokumentarischen Stil abgehalten, der die Grundlage für die anschließenden Mythenbildungen legte. Später wurde der Artikel in "A Coil Magazine" der gleichnamigen Band wiederveröffentlicht und fand damit Einzug in die Welt des Industrial.

Demnach war Fare gebürtiger Kanadier. Seine erste Show soll in Kopenhagen stattgefunden haben und eine Lobotomie gewesen sein. Dieser Umstand allein sollte schon einmal stutzig machen, denn daß der gute Mann nach solch einem neurochirurgischen Selbsteingriff noch in der Lage gewesen sein soll, weiter an sich herumzuschnippeln, erscheint zweifelhaft. Doch der Mann konnte - und zwar mittels einer von ihm konstruierten Amputationsapparatur; Erinnerungen an Kafkas "In der Strafkolonie" werden wach. Im Laufe seiner Performances verlor er so ziemlich alles, was herausamputierbar ist (sprich: Auge, Hoden, Zehen, Finger, innere Organe) und ließ sich zu guter Letzt von seinem Maschinchen das Kopferl abtrennen.

Mit John Fare verhält es sich ein bisschen wie mit den "X-Akten": Der Gedanke, jemand hätte jene schier unvorstellbaren Dinge getan, evoziert bei den Rezipienten ein kollektives "I want to believe." Durch mannigfaches Erwähnen und Zitieren wird der Eindruck der Wahrhaftigkeit erzeugt und verschleiert, daß es außer Tim Craigs Fare-Biographie keinen einzigen Beweis gibt. Vielleicht ist das das eigentlich Revolutionäre an John Fare: die Vorwegnahme der informativen Redundanz des Internet-Zeitalters. Und paradoxerweise scheint das Netz im Falle Fare zu einer Enttarnung und nicht zur Verschleierung zu führen.

Doch die Verlockung bleibt groß. Mitunter paßt die Geschichte eben allzu schön ins eigene Konzept radikaler Kunstbetrachtung, sodaß sie dann als quasi verifizierte Begebenheit in akademischer Form wiederkehrt. Erst 2001 erschien mit Vintila Ivanceanus und Josef Schweikhardts "Aktionismus all inclusive" ein seriöses Werk, in dem John Fare für die eigenen Erwartungen herhalten muß. Der Mangel an Beweisen wird damit erklärt, daß John Fare von der etablierten Kunstszene ignoriert werde.

Ein anderer "Believer" war der junge David Bowie. Als Protagonist der von subversiv-subkulturellen Experimenten durchtränkten Londoner Szene der frühen 1970er konnte auch er der vereinnahmenden Stringenz des Fare-Mythos nicht entkommen. Der Musikjournalist Charles Shaar Murray, seinerzeit Mitarbeiter bei "Studio International", berichtet davon, wie versessen Bowie darauf gewesen war, John Fare, falls dieser noch am Leben sei, persönlich kennenzulernen . und wie schwierig es war, ihm die Wahrheit beizubringen.

Abschließend ist es meine traurige Pflicht, den berühmtesten unter den Fare-Gläubigen zu outen: Rokko. In so etwas wie einem Anbahnungsgespräch zu diesem Artikel erzählte er mit glänzenden Augen und feuchten Lippen von all den Verstümmelungen, die John Fare angedichtet werden. Mit ehrfurchtsvollem Timbre in der Stimme schmückte er jede einzelne Amputation bis ins blutigste Detail aus. Nach der neunten Amputationsschilderung und dem elften Bier hob er schließlich seinen lehrerhaften Zeigefinger und sprach mit einem kryptischen Zittern in der Stimme: "Und stell dir vor, der Kerl wird totgeschwiegen. Die Kunstwelt geniert sich für ihn! Es ist Zeit, an die Öffentlichkeit zu gehen und die Wahrheit zu schreiben!"

Was, lieber Rokko, hiermit getan wäre, wenn auch nicht in deinem Sinn, weshalb ich wohl nie wieder für deine Zeitung werde schreiben dürfen. Sorry to disappoint you, Rokko - John Fare you well!

 

(Anm. v. Rokko: Lieber Daniel! Wo du recht hast, hast du recht, und wenn du das liest, werde ich dich schon auf der Blutwiese in meinem Hof ausbezahlt haben. Ich frage mich gerade, wie du deine Familie ohne meine Überweisungen durchbringen willst. Nun gut, sie können sich ja persönlich bei dir für deinen Übermut bedanken. Auch dir noch ein schönes Leben!)

Rokko’s Adventures

aus: Rokko´s Adventures #2

(erschienen Dez. 2007)


Text: Daniel Krčál

 

Lesen Sie dazu auch:

 

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Nach einem Ausflug in künstlerisch-politische Gefilde dreht sich im aktuellen Abenteuer der Crew von "Rokko´s Adventures" wieder alles um Musik. Zumindest im weitesten Sinne: "I had met somebody who had met his description ..."

Ein Interview mit Nigel Ayers zu John Fare.

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