John D. MacDonald im Netz
Stories_John D. MacDonald
Me and Travis McGee
Martin Compart hat wieder im Bücherregal gestöbert und einen seiner ganz privaten Favoriten ans Tageslicht befördert: US-Autor John D. MacDonald und dessen Noir-Helden der besonderen Art. 29.04.2013
Schon längere Zeit (also etwa ein Jahr) hatte ich nichts mehr von ihm in der Hand gehabt, ihn aber bereits mehrmals Michael Krause empfohlen. Nun hatte Michael endlich meine Empfehlung erhört und sich den ersten John D. MacDonald zugelegt. Und bei allen zeitlich bedingten Einschränkungen sprang der Funke über. Das war mir ebenfalls Anlaß, mich mal wieder etwas in John D. zu vertiefen, der so was wie eine fast lebenslange Krimi-Liebe von mir ist. Außerdem scheint in den USA eine kleine Renaissance bevorzustehen, da er dort endlich wieder aufgelegt wird.
Entdeckt habe ich Jaydee, wie wir Fans zu sagen pflegen, Ende der 1960er bei Heyne, wo man damals dankenswerterweise auch die genialen Fawcett-Cover übernahm. Gleich mein erster Travis McGee schlug bei mir ein wie eine Bombe. Endlich ein Hardboiled-Protagonist, der nicht in "der Tradition von Hammett und Chandler" stand. Bei aller Liebe zu den Großmeistern waren diese doch in vielen Dingen antiquiert und brachten mit Sicherheit nicht den Zeitgeist der 1960er Jahre (wie hätten sie auch können?) auf den Noir-Punkt.
43 Non-Series-Romane, 21 McGee-Romane, 3 Science-Fiction-Romane, 4 Sachbücher (darunter mit The House Guests eines der besten über Katzen) und etwa 500 Kurzgeschichten, das meiste auf hohem Niveau. Wer kann da ein bis drei Bücher auswählen, die man unbedingt gelesen haben sollte? Ich versuche es trotzdem: The Deep Blue Good-bye (1964), Darker Than Amber (1966), Dress Her In Indigo (1969) The Turquoise Lament (1973) und The Empty Copper Sea (1978) gehören zu meinen McGee-Favoriten. The Executioners/Cape Fear (1962) oder End of the Night (1960) oder Neon Jungle ... oder ... oder ...
J. D. war der erste amerikanische Krimiliterat, der sich mit Umwelt- und Wirtschaftsverbrechen beschäftigte. Mit der Zeit wurden seine Kommentare zum american way of death immer schärfer und verzweifelter. Da ihm die Perspektive einer (sozialistischen) Alternative fehlte, bemerkte er zum Schluß nur noch zynisch, wie die verdammenswerte Konsumgesellschaft den Planeten zerstörte und in den Abgrund führte. Er wurde nie müde, die freie Marktwirtschaft, deren Axiome er lange unterstützte, in ihren Auswüchsen zu beklagen. Allerdings gelangte er selten zu der Erkenntnis, daß eben diese Auswüchse konsequente Folge des unkontrollierten kapitalistischen Systems sind. Für MacDonald versagt nicht das System, sondern die menschliche Moral. Heute wären für ihn Banker und Politiker noch mehr als zu seiner Zeit Symbole des Bösen.
Kein anderer Autor (außer Ed McBain) führte die amerikanische Kriminalliteratur thematisch und mental so gründlich in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Kein anderer zeitgenössischer Autor der 1950er bis 1970er behandelte die neuen Themen so breit und intensiv wie er: Jugendkriminalität, Stadtflucht, Umweltzerstörung, Rassismus, Entwurzlung der Kriegsveteranen, Wirtschaftskriminalität, Verknüpfung der organisierten Kriminalität mit der legalen Wirtschaft, Konsumterror, Drogen, Suburbia-Neurosen, Revolte usw. Außerdem war er einer der ersten Noir-Autoren, die die Großstädte verließen, um den Schrecken in der Provinz zu beschreiben. Er fügte Florida der Noir-Landkarte hinzu und war der Begründer des "Sunshine State Noir", heute vertreten u. a. von so großartigen Autoren wie Carl Hiaasen, Randy Wayne White und James W. Hall (besonders letztere verdankten J. D. und Travis McGee eine Menge).
In den 50er Jahren gab es erstmals auf breiter Ebene das Phänomen der Jugendrevolte. Die in Freiheit und Wohlstand aufwachsende junge Generation begann die Werte der Eltern nicht nur in Frage zu stellen, sondern auch erste Ansätze einer Gegenkultur zu entwickeln - eine Tatsache, die MacDonald zutiefst beunruhigte. Als einer der ersten Autoren (zu nennen wären auch Ross Macdonald, Ed McBain, Hal Ellson, Thomas B. Dewey und die zahlreichen Verfasser sogenannter "juvenile delinquent"-Krimis) beschäftigte er sich mit diesem Thema. Er betrachtete die Entwicklung mit großer Skepsis, und die Verbrechen der Manson-Family Ende der 60er Jahre müssen ihm wie eine Bestätigung für seinen fast prophetischen Roman End of the Night vorgekommen sein. MacDonald schrieb in der Regel auch keine Detektiv- oder PI-Romane; er schrieb amerikanische Thriller, oft Noir-Thriller.
Wirkliches Verständnis für die jugendliche Subkultur hatte er nicht - trotz des ehrenwerten Versuchs in Dress her in Indigo. Als Libertärer hatte er allerdings auch kein Verständnis für die staatliche Repression von Drogen: "Der Besitz von Marihuana ist ein Kapitalverbrechen. Egal, ob Marihuana nun so harmlos ist, wie viele glauben, oder so schlecht und schädlich, wie andere meinen ... Die selbstherrlichen Säulen der Gesellschaft und der Kirche glauben, den Rauschgiftgenuß damit verhindern zu können, indem sie den Besitz zum Kapitalverbrechen stempeln ... Diese Strafe ist zu hart. Sie verschließt zu viele Türen. Diese Strafe zerstört einem jungen Menschen - der ein kleines Experiment gemacht hat - das ganze Leben ..." ("Der Hippie im Indigo-Dress"; München 1970, Seite 18ff.)
MacDonalds Sprache erscheint auf den ersten Blick wenig kunstvoll. Das täuscht gewaltig, denn er ordnet jeden Satz der Geschichte oder seinem kapitalismuskritischen Kommentar unter. Das unglaubliche Können, das sein Handwerk zu echter Kunst erhebt, zeigt sich erst bei genauerem Hinsehen. Man muß zum Beispiel nur im ersten Kapitel von A Deadly Shade of Gold das Telefonat zwischen McGee und Taggert lesen. Auf zwei Seiten Dialog zeichnet J. D. ein genaues Psychogramm des alten Freundes, setzt den Plot, beschwört Vergangenheit und Beziehung herauf und legt die erste Schicht für die Atmosphäre, die den Roman durchzieht. Angesichts dieses Kunsthandwerks ... nein, angesichts dieser Kunst kann man nur in die Knie gehen vor einem Autor, der mit einem simplen Telefonat dreidimensionale Figuren schafft und dabei noch den Suspense eröffnet.
Seine Stimme als Autor - dieser ganz spezielle, unvergleichliche Erzählerton - kommt nicht aus der Hardboiled-Tradition des Genres. Sie hat viel mehr Gemeinsamkeiten mit Scott Fitzgerald oder John O´Hara, den MacDonald sehr bewunderte. Auch Graham Greene kommt einem bei der Lektüre manchmal in den Sinn. Er machte keine großen stilistischen Experimente, sondern konzentrierte sich auf den Aufbau seiner Geschichten und auf die Erzählerstimme. Deshalb bleibt mehr noch als die vielen hinreißenden Charaktere, originellen Szenen und teuflischen Plots eben diese besondere Stimme in der Erinnerung.
MacDonalds unnachahmlicher Ton gab den Takt an für seine höllischen Orchester. Er ist ein komplexer Autor, der alle Aspekte der amerikanischen Gesellschaft aus einer kritischen, wertkonservativen Position heraus kommentierte und oft Weitsicht bewies. In der amerikanischen Kriminalliteratur steht er als Original völlig einzigartig da. Und mit Travis McGee gelang ihm eine der komplexesten Serienfiguren des gesamten Genres.
Die Serie um Travis McGee begann MacDonald mit Ende vierzig zu schreiben. Er war zwar eher konservativ, doch er beäugte den "freien" Markt genauso skeptisch wie den Staat. Als Bestsellerautor war er spätestens Mitte der 1950er etabliert. Sein bis dahin ambitioniertester Roman, The Damned, hatte zwei Millionen Exemplare verkauft. Bis 1963 weigerte sich John D., eine Serie zu schreiben. Aber dann überwarf sich sein Lektor bei Fawcett mit dem politischen Blindgänger Richard S. Prather. Dessen Shell-Scott-Serie gehörte zu den erfolgreichsten Produkten des Verlags, doch der McCarthyismus von Prather störte Lektor Knox Burger zunehmend und er strich den verballhornten Namen eines demokratischen Politikers, den Prather einem Antagonisten gegeben hatte, aus dem Manuskript. Prather war sauer und bekam gleichzeitig ein Angebot von Fawcetts Konkurrenten Pocket Books für seine Erfolgsserie. Nun steckte Burger in Schwierigkeiten. Die Verlagsleitung war sauer, daß er die Milchkuh auf eine andere Weide laufen gelassen hatte. Also wandte er sich an J. D., mit dem er inzwischen befreundet war (und der ihm als Autor von Dell zu Fawcett gefolgt war). Um die Sache kurz zu machen: J.D. schrieb erstmal drei Romane über einen Dallas McGee, bevor er meinte, er käme mit einer Serie zurecht. Wegen der Ermordung Kennedys in Dallas (so hat doch alles etwas Gutes) wurde dann Dallas zu Travis.
Mit Travis McGee schüttelte J. D. endgültig den Trenchcoat vom amerikanischen Noir-Helden ab. McGee ist kein Privatdetektiv, also kein idealisierter Kleinunternehmer. Er lebt auf einem Hausboot in Fort Lauderdale und arbeitet nur, wenn er muß oder es sich lohnt. Sein Motto lautet nämlich: erst das Vergnügen, dann die Arbeit.
McGee löst lieber Bikini-Oberteile als knifflige Fälle, feiert, trinkt und angelt gern. Er ist ein Hedonist, der mit den Jugendlichen der Sechziger mehr gemein hat als mit der Generation ihrer Eltern (zu der J. D. gehörte). Im Gegensatz zu Marlowe, Spade und Hammer behandelte er Frauen mit Respekt und einem Gespür für Gleichberechtigung. Er ist ein guter Freund und hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Ein Leben als Angestellten-Lemur kommt ihm schon gar nicht in den Sinn; dazu liebt er die Freiheit zu sehr. Aber er weiß natürlich, daß Freiheit in der kapitalistischen Gesellschaft ein teures Gut ist. Deshalb macht er "Bergungsjobs"("salvage consultant”). Er kümmert sich also um Geld oder Vermögenswerte, die jemandem legal, aber nicht legitim geraubt wurden oder die durch sonstige kriminelle Machenschaften den Besitzer gewechselt haben. Für die Hälfte des Wertes holt ihnen McGee das Geraubte zurück. Davon legt er etwas für später zurück und lebt vom Rest lebt er in den Tag hinein, bis es mal wieder eng wird und er den nächsten Job in Angriff nimmt. Naturgemäß ist sein Kodex nicht immer deckungsgleich mit dem Gesetz, da empfindet er ähnlich wie seine Vorläufer. Nur scheint er intelligenter, empfindsamer und hat mehr Interessen. Wenn es hart auf hart geht, weiß er zu kämpfen, muß aber manchmal verdammt viel einstecken. Und oft genug hat es Travis mit Burschen zu tun, die mit Dämonen aus der Hölle verwandt sind.
Das Böse in seiner mythischen und irrationalen Vorstellung existierte für John D. MacDonald. Es manifestierte sich in vielen seiner Romane in dämonisch-skrupellosen Figuren, die nicht nur von Macht-, Geld- oder Sexgier angetrieben werden, sondern einen Teil ihrer Motivation und Kraft direkt aus dem Inferno beziehen. Nick Cady aus den "Executioners" oder Junior Allen, Boo Waxwell und Ans Terry - um nur einige Kontrahenten von McGee zu nennen - sind das personifizierte Böse, dem man laut MacDonald mit soziologischen oder psychologischen Erklärungsmodellen nur unzureichend beikommen kann. Diesen anthropologischen Pessimismus bringt er in seinem vorletzten Travis-McGee-Roman auf den Punkt, wenn er seinen Helden und Sprachrohr mit dem Freund Meyer streiten läßt: "Du gehst davon aus, daß jeder erst einmal unschuldig und rein ist, und dann passiert irgendwas, das ihn verändert. Du gehst von dem Konzept aus, daß die Menschen erst einmal gut sind, und was wir als Gesellschaft dann verstehen sollen, sind die Gründe, durch die sie verdorben werden. Verstehen und versuchen zu heilen. Ich dagegen glaube, daß es so etwas gibt wie das Böse, daß das auch ohne Grund existiert. Das schwarze Herz, dem es Spaß macht, schwarz zu sein ..."("Zimtbraune Haut", München 1983, Seite 139)
Bis zum 17. Band, The Empty Copper Sea, waren die Romane alle stand-alones, die man in beliebiger Reihenfolge lesen konnte. Ab diesem Roman intensivierte MacDonald das serielle Erzählen. Jetzt nahm jeder Roman auf den vorhergehenden Bezug oder baute darauf auf. Bei aller erzählerischen Kraft ließ aber meines Erachtens von nun an MacDonalds Fähigkeit zum Plotten deutlich nach.
Seit einiger Zeit geistert das Gerücht herum, daß Leonardo DiCaprio in einer Verfilmung von The Deep Blue Good-Bye Travis McGee spielen soll. Bisher gab es eine ganz akzeptable Verfilmung von Darker Than Amber mit Rod Taylor und ein TV-Movie nach The Empty Copper Sea mit Sam Elliott. Beide Schauspieler, die ich sonst sehr schätze, konnten mich als Travis nicht überzeugen. Der junge Robert Redford oder Ray Liotta kämen meinen Vorstellungen da schon näher - aber der Film im Kopf ist ohnehin immer besser als der auf dem Bildschirm oder der Leinwand.
Fortsetzung folgt ...
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