Stories_Porträt Irwing Klaw
Die Leichtigkeit des Scheins
Pin-up-Maestro Irving Klaw war der Magier des Spielerischen: Dem Photokünstler gelang es mühelos, das Heimliche so vor den Augen des Betrachters auszubreiten, daß es nicht schmutzig, sondern charmant wirkte.
07.05.2007
Wenn man die Bilder von Irving Klaw heute anschaut, möchte man fast glauben, daß die Welt früher besser war. Und das nicht nur, weil die Damen keine Hungerhaken waren und Klaws Hauptmotiv Bettie Page sehr wahrscheinlich eine der schönsten Frauen aller Zeiten ist. Vielleicht liegt es vielmehr daran, daß die Photos aussehen, als seien sie nach einem gewissen Reinheitsgebot entstanden. Das wirkt für den modernen Menschen ungewöhnlich brav und scheu. Weil wir es längst gewohnt sind, die Frage der Cramps - ausgewachsene Klaw-Fans übrigens - "What´s Inside A Girl?" exakt und mit Photobeleg beantworten zu können. Ziemlich rosarot sieht´s da aus ...
Das Reinheitsgebot stammt allerdings nicht von Klaw selbst. Der hätte gern mehr gezeigt, wie er immer wieder betonte. Es war der sexualfeindliche Geist der 40er und frühen bzw. mittleren 50er Jahre, der einerseits Keuschheit propagierte und Sinnlichkeiten aller Art verfemte, andererseits unter dem bis oben zugeknöpften bürgerlichen Mantel nach Offenheit gierte. Man kann diese Ära als letzten Höhepunkt des erotischen Underground ansehen, da mit der sexuellen Revolution der 60er Jahre Nacktheit und intime Handlungen zu frei verfügbaren Waren wurden - mit dem Vorteil, daß es heute kaum mehr Tabus gibt. Den Nachteil dieser Entwicklung zeigen uns die Bilder von Irving Klaw: sie sprechen die Phantasie deutlich mehr an, als es die nahezu grenzenlose Freizügigkeit tun könnte. Längst stellen viele "Stern"-Covers mehr Fleisch zur Schau, als es Klaw je gewagt hätte - und wir haben uns alle längst daran gewöhnt.
Der Pin-up-Entwickler
Als Irving Klaw in den 40er Jahren damit begann, seinen Zeitschriftenhandel in ein rasch florierendes Unternehmen umzubauen, das per Post Photos von hübschen Frauen an den ach-so-braven Bürger schickte, waren Pin-ups die Stacheln, die in den Wanst der prüden Gesellschaft pieksten. Ihre Blütezeit begann mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Interesse des GIs, in fernen Ländern den Hormonhaushalt in den Griff zu kriegen.
Auch wenn diese Poster und Photokarten aus aktueller Sicht nicht mehr Sex zur Schau stellten als heutzutage eine Modeaufnahme in der "Vogue", galten die Pin-ups bestenfalls als geduldeter Schmuddelkram für die kämpfenden Söhne. Daß die nebenbei nicht nur Europa von den Nazis befreiten, sondern auch den weiblichen Körper von Textilien, steht fest - und wird gerade in der (ebenso modernen wie nutzlosen, Anm. d. Red.) "Gender-Diskussion" oft als offizieller Beginn der allumfassenden Objektwerdung der Frau angesehen.
Unabhängig davon: Das Rad der Geschichte ließ sich nicht zurückdrehen, und so erlebten Pin-ups und "forbidden pictures" in den Jahren nach Kriegsende in den USA ihre Blütezeit. Der 1910 in Brooklyn geborene Klaw erkannte dies und setzte sich rasch als Photograph, aber auch als Produzent und Distributor durch. Das Besondere daran war, daß er und die von ihm vertriebenen Künstler - etwa Gene Bilbrew oder Adolfo Ruiz - eben nicht nur einzelne Photos veröffentlichten, sondern komplette Serien und damit ganze Bildergeschichten anboten. Man konnte diese Bildreihen fast wie Filme vor dem Auge abspielen lassen und sah förmlich, wie sich die Damen bewegten. Und das regte wiederum die Phantasie an, die dem Betrachter das zeigte, was die Aufnahmen vorenthielten.
Da ist es nicht verwunderlich, daß Klaw tatsächlich auch auf bewegte Bilder setzte. In den 50er Jahren drehte er mit seinem Star Bettie die drei Underground-Movies "Striporama", "Varietease" und "Teaserama". Diese Streifen waren der Gipfelpunkt einer ganzen Reihe von Kurzfilmen, die zum Teil in der gelungenen DVD-Box "Irving Klaw Classics" (Cult Epics) zu finden sind.
Harte Zeiten im Untergrund
Daß ausgerechnet Estes Kefauver, der demokratische Senator aus Tennessee, zum obersten Tugendwächter der Nation wurde, ist ein deutlicher Hinweis darauf, wie sehr die Bilder von Klaw und Konsorten an den Grundfesten der Nation rührten. Kefauver leitete das Senate Subcommittee on Juvenile Delinquency, das sich mit der seit Kriegsende wachsenden Jugendkriminalität auseinandersetzte. Daß es dabei auch um Wahlkampftaktik ging und sich der Senator publikumswirksam in Szene setzen wollte, zeigen die Verhöre, die der gelernte Jurist führte. Die Befragung von Bettie Page ist wortgenau in Mary Harrons Film "The Notorious Bettie Page" (2005) wiedergegeben.
Neben Pornographie prangerte der Ausschuß vor allem die Comic-Books an. Im Zentrum der ungleichen Auseinandersetzung standen neben Klaw und seiner Gefolgschaft auch die Horror- und Crime-Comics von William Maxwell Gaines´ EC-Verlag. Die Befragung Gaines vor dem Kommitee ist ebenfalls überliefert und gehört zu den intensivsten Zeugnissen der US-Zensur. Wie Page wehrte sich auch Gaines mit dem Mitteln einer scharfen Sprache - aber umsonst. Das Ergebnis war letztlich fatal: Der "Comic Code" wurde als interne Vorabzensur der Verlage eingeführt. Wer sich nicht daran hielt, kam gar nicht erst in den Handel. Die Zeit von EC-Serien wie "Tales From The Crypt" war damit für immer vorbei. EC Comics überlebten die staatlichen Eingriffe dank des Erfolgs von "Mad".
Für Irving Klaw und seine Firma Movie Star News hingegen begann eine Zeit der Agonie. Das endgültige Aus kam Anfang der 60er Jahre - ein Schlag, von dem sich Klaw nicht mehr erholte: Er starb 1966 im Alter von gerade einmal 56 Jahren. Zu dieser Zeit hatte Hugh Hefner bereits seit einiger Zeit sein Sex-Imperium aufgebaut und Nacktheit in den Kiosken etabliert. Das gelang, weil Hefner im Gegensatz zu Klaw mit seinem "Playboy" so gut wie nie die Grenze des jeweils Zulässigen überschritt.
Was gab´s denn da zu sehen?
Auch wenn wir heute unter Pornographie etwas anderes verstehen: Irving Klaw und das von ihm und seiner Schwester Paula geleitete Unternehmen Movie Star News standen genau dafür. Doch was zeigten ihre Bilder und Filme eigentlich?
Zunächst einmal waren da eben nicht nur Frauen in mehr oder minder anzüglichen Posen zu sehen. Zu den wichtigsten Stilelementen gehörten Abenteuerszenarien, in denen sich die Damen in exotischem Ambiente auch mit Schlangen und anderem wilden Getier ablichten ließen - oder in arabischen Badetempeln. Bettie im Schaumbad oder beim angedeuteten Bauchtanz? Jederzeit!
Klaw schuf Traumwelten aus Klischees. Er entrückte die Frauen vom Alltag und hielt seine Modelle so auf Distanz zur real existierenden Weiblichkeit dieser Zeit. Ein weiteres wichtiges Standbein waren die Bondage-, Sado-Maso-und Fetisch-Bilder, wie sie zum Beispiel der legendäre Kurzfilm "Teaser Girl in High Heels" aus dem Jahre 1950 zeigt. Mit unserem Auge ist sofort zu erkennen, daß jedes Bild nur "in Szene gesetzt" wurde und keinen Anspruch auf Echtheit erhebt. Doch vor 60 Jahren wirkten gefesselte Frauen und Schläge aufs Hinterteil, Domina-Outfit und Reitgerte selbst in der von Klaw zelebrierten Leichtigkeit absolut anstößig; ebenso wie die Wrestling- und Nahkampf-Action, in die der Photograph seine Damen gern und oft verwickelte. Welcher Mann würde da nicht gerne mitraufen?
Genau das macht die Magie des Klawschen Bilderuniversums aus: Männer kamen nicht vor. Sie waren nicht zugelassen. Hier wurden Frauen von Frauen verschnürt, hier balgten Frauen mit Frauen, und hier versohlte eine der anderen den Popo.
Bettie und die anderen
Der absolute Star im Kosmos des Irving Klaw war die 1923 in Tennessee geborene Bettie Mae Page, die schon für diverse unter der Hand weitergereichte Nacktaufnahmen posierte, bevor ihr Klaw den berühmten Prinz-Eisenherz-Pony verpaßte und sie zur sicher am meisten abgelichteten Frau der Nachkriegsjahre machte. Bettie zierte auch die Titel vergleichsweise seriöser Modezeitschriften und wurde im Januar 1955 als Playmate des "Playboy" endgültig berühmt. Bevor sie sich 1958 zurückzog, entstanden Tausende Photos in unzähligen Serien.
Ihr Ziel, als Schauspielerin Fuß zu fassen, erreichte sie allerdings nicht. Dabei zeigen ihre Aufnahmen für Klaw, daß sie als Mimin sehr talentiert war. Auch wenn Bettie das unumstrittene Lieblingsmodell von Irving Klaw war - er photographierte Hunderte von Frauen, darunter auch Sandra P, die wie die brave Zwillingsschwester von Bettie wirkte. Countess B und die Baronesse standen für die Art Lady, die an ihrem Hof lustvoll Macht über ihre Geschlechtsgenossinnen ausübt; die blonde Carole Blake, Debby Dare oder die üppige Gladys Slip seien an dieser Stelle stellvertretend für Klaws praktisch anonymes Frauenheer erwähnt. Berühmt wurde keine von ihnen - mit Ausnahme von Bettie, die sich ansprechend unter Wert verkaufte und im Blitzlicht von Klaw nicht ihr Glück fand.
Und die Moral von der Geschicht´? Die Zeiten waren auch nicht besser, sie sahen aber wenigstens schöner aus. Boop-boop-de-boop!
Manfred Prescher
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