Rosso - Italienische Barockarien
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Patricia Petibon
Venice Baroque Orchestra
Dir.: Andrea Marcon
Deutsche Grammophon (D 2010)
Kunst ist gefährlich - meint jedenfalls die Sopranistin Patricia Petibon im Gespräch mit unserem Klassikexperten. Was sie sonst noch über Musik, deren Zukunft und manches andere zu sagen weiß, lesen Sie hier. 26.04.2010
Die am 27. Februar 1970 in Montargis geborene Patricia Petibon ist nicht nur hübsch, sondern hat auch ein besonderes Charisma. Sie verfügt über die Qualitäten einer Weltklassesängerin, ohne dabei im geringsten Star-Allüren zu entwickeln. Ihre Karriere begann sie zunächst im Barockfach (da war der Leiter der "Les Arts Florissants" Williem Christie ihr Entdecker), dann sang sie sich im Lauf der Zeit sozusagen durch die Jahrhunderte, bis in die Moderne. Wirklich aufmerksam wurde man in Wien auf den quirligen Rotschopf im Jahre 2005, als sie unter Harnoncourt die "Giunia" in der grandiosen Aufführung von Mozarts "Lucio Silla" gab.
EVOLVER: Was war für Sie der Impuls, sich intensiv mit Musik zu beschäftigen?
Patricia Petibon: Ich wollte nicht nur theoretisch Musik lernen, sondern hatte das Bedürfnis, sie auch in der Praxis zu studieren - damit begann ich im Alter von vier Jahren. Meine Familie hat mich immer unterstützt, obwohl ich eigentlich in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen bin. Vor allem wollte ich Musik mit den Händen machen; deswegen war es auch mein Wunsch, zuerst Klavier zu lernen.
EVOLVER: Ist Ihre Familie auch so musikbegeistert?
Patricia Petibon: Ja, vor allem meine Mutter - sie hat eine wunderbare Stimme. Meine Familie erlebte aber teilweise zwei Kriege, deswegen waren auch die Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten für sie sehr schwierig. Vor allem meine Urgroßmutter, die mit 100 Jahren starb, hatte ihr sehr viel Interesse an der Kunst vermittelt. Meine Familie war trotz der Verhältnisse sehr an Kunst, an Musik, an Malerei interessiert. Der Bruder meiner Urgroßmutter zum Beispiel hat mit Marc Chagall das berühmte Deckengemälde in der Pariser Opéra Garnier gemalt.
EVOLVER: Wie sehen Sie die Zukunft der klassischen Musik?
Patricia Petibon: Das ist eine sehr schwierige Frage; das hängt von vielen Komponenten ab. Einerseits natürlich von der Gesellschaft, aber auch von der Zugangsmöglichkeit zur Kunst. Es wäre wichtig, daß die Kunst - auch finanziell - für mehr Leute erreichbar wird. Natürlich müssen die Medien hier mitspielen, das Fernsehen sollte beispielsweise mehr wertvolle Sachen übertragen.
EVOLVER: Das ist aber natürlich vor allem eine gesellschaftliche Frage ...
Patricia Petibon: Die Kunst ist irgendwie auch "gefährlich", weil sie zum Nachdenken zwingt - sie fordert uns dazu heraus, uns Dinge zu überlegen und zu reflektieren. Man hat heute manchmal den Eindruck, daß die Gesellschaft gerade das weitgehend vermeiden will. Aber die Veränderungen sind notwendig. So wie sich die Gesellschaft verändert, verändert sich ihre Kunst - aber ich glaube, daß die Oper auch das überleben wird.
EVOLVER: Jetzt interessiert mich vor allem Ihre musikalische Zukunft. Welche Pläne haben Sie?
Patricia Petibon: Ich möchte weiter die starken Frauenrollen spielen. Geplant sind vor allem die Gilda in "Rigoletto" und die Donna Anna in "Don Giovanni". Ich möchte auch weitersehen, wie sich meine Stimme entwickelt; sie wird ja mit der Zeit reifer.
EVOLVER: Bei den Salzburger Festspielen 2010 singen Sie die Lulu. Ist das Ihre erste deutschsprachige Rolle?
Patricia Petibon: Nein, ich sang auch schon in Mozarts "Entführung", die Sophie im "Rosenkavalier" oder die Zerbinetta aus "Ariadne auf Naxos".
EVOLVER: Wie sehen Sie die Rolle der Lulu - vor allem, wenn Sie das Sujet von Wedekind betrachten; was ist die Lulu für eine Frau?
Patricia Petibon: Sie wird durch die Projektion der Männer geformt. Sie ist so, wie die Männer sie sehen und gerne haben wollen; sie darf kein eigenständiges Wesen sein. Dabei ist sie eine sehr charismatische Person, die sowohl Männer als auch Frauen anzieht.
EVOLVER: Nun zum Abschluß: Was sind Ihre Lieblingsaufnahmen, was ist Ihre Lieblingsproduktion, und an welchen Projekten arbeiten Sie gerade?
Patricia Petibon: Also, die zukünftigen Plattenprojekte sind top-secret, wie bei James Bond ... Was meine Produktionen betrifft, so ist jede ein eigenes Abenteuer, und mit jeder wächst man mit - das ist wie der Aufbau einer Pyramide. Ich habe alle meine Aufnahmen gern; vielleicht waren die Produktionen mit Harnoncourt die größten Abenteuer.
Wie sich Petibons Stimme entwickelt hat, kann man in dem jüngst erschienenen Barockalbum "Rosso" nachhören. In einer wunderbaren Mischung zwischen lustig und traurig führt die Französin durch das Programm aus diversen Opernarien. Großartig ist gleich die erste Nummer "Quando voglio" aus "Giulio Cesare in Egitto" von Antonio Sartorio; wie sie hier, begleitet von Kastagnetten, Tamburin und Trommeln, Julius Cäsar verführen will, wäre allein schon das ganze Album wert. Eine hervorragende Einspielung, superb begleitet vom Venice Baroque Orchestra unter Andrea Marcon.
Rosso - Italienische Barockarien
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Patricia Petibon
Venice Baroque Orchestra
Dir.: Andrea Marcon
Deutsche Grammophon (D 2010)
Hören darf man heuer auch ganz ohne Maske. Grund genug für den EVOLVER-Klassikexperten Herbert Hiess, seine Musiktips für die Weihnachtszeit unter den virtuellen Christbaum zu legen.
Nicht nur Thomas Angyan, der zukünftige Ex-Chef des Wiener Musikvereins, hätte sich den Abschluß seiner Karriere - ebenso wie Staatsoperndirektor Dominique Meyer - anders vorgestellt. Wie so viele Kulturschaffende gingen beide der angeblichen Pandemie in die Falle.
Wer Rudolf Buchbinder ist, braucht man eigentlich niemandem mehr zu erklären. Der sich im 74. Lebensjahr befindende Star-Pianist ist in Kulturkreisen weltweit ein Begriff - und vor allem in Sachen Beethoven eine Kapazität, an der man nicht vorbeigehen kann und darf.
Pech oder Schicksal - wie auch immer man es bezeichnen mag: Daß die großartige Berliner "Carmen" schon nach der zweiten Aufführung von Amts wegen gestoppt werden musste, hätte sich niemand gedacht. Jetzt kann man sie wohl einige Zeit nur als Stream oder Aufzeichnung betrachten. Die Staatsoper unter den Linden zeigt mit ihr jedenfalls, daß sie dank ihrer hervorragenden Musiker viele der angeblichen Spitzenhäuser übertrifft.
Wie Political Correctness als brutale Verlogenheit entlarvbar ist, zeigt das Stück "Der Vorname" des Autorenduos Patellière und Delaporte. Herbert Hiess hat es in den Kammerspielen erlebt.
Alle Jahre wieder ... kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch der "Streß", der oft zu Geschenkskäufen in letzter Minute führt. Um Verlegenheitsgaben wie Socken oder Bonbonnieren zu umgehen, hat der EVOLVER-Klassikexperte einige Tips zusammengestellt, die nicht nur eingefleischten Klassikliebhabern Freude bereiten werden.
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