Stories_Harry Piel
Der Jackie Chan der 30er
Heute kennt ihn keiner mehr, zu seiner Zeit galt er jedoch als Action-Superstar: der 1963 verstorbene Harry Piel. Eine DVD-Edition erinnert jetzt an den deutschen Regisseur und Schauspieler.
18.08.2009
Schon die Titel seiner Filme machen Trash-Liebhabern den Mund wässrig: "Die große Wette - ein phantastisches Erlebnis aus dem Jahre 2000", "Sein Todfeind - Detektivabenteuer in den Dschungeln", "Der rätselhafte Klub" und "Der Reiter ohne Kopf" (Teil 1: "Die Todesfalle", Teil 2: "Die geheimnisvolle Macht")". Und das sind nur die Stummfilme. In der Tonfilmära ging´s dann weiter mit Reißern wie "Schatten der Unterwelt", "Das Schiff ohne Hafen - Erlebnisse eines Seepolizisten" und - als heute noch populärer signature-Titel - "Menschen, Tiere, Sensationen".
Der 1892 geborene Harry Piel hielt nichts von vornehmer Zurückhaltung, wenn es galt, seine mehr als hundert Filme ans Publikum zu bringen. Von der "Sensation auf dem Film-Markte" war da schon die Rede, wenn der "Dynamit-Regisseur" wieder einen seiner Titel vorstellte: aktionsgeladene Abenteuer-, Zirkus-, Großstadt- und sogar Science-Fiction-Filme, in denen Piel unter eigener Regie stets die Hauptrolle spielte. Daß der drahtige Star, der noch in reifen Jahren mit schwarz gefärbter Haartolle vor die Kamera trat, dabei alle Stunts selbst ausgeführt haben soll, war eine hartnäckig gepflegte, der Wahrheit aber nicht ganz verpflichtete Legende. Was tat´s - das Publikum liebte die "deutsche Antwort auf Douglas Fairbanks", wie Piel in begeisterten Kritiken tituliert wurde. Immerhin war es der echte Harry Piel, der da mit Löwen und Tigern auf Tuchfühlung ging, auf dem Motorrad ein Treppengeländer herunterraste und sich am Seil an einen startenden Zeppelin hing. Es gab, lange vor heutigen Merchandising-Artikeln, Harry-Piel-Postkarten, Harry-Piel-Imitatoren und sogar eine etwa 150 Titel umfassende Harry-Piel-Romanheft-Serie.
Diese ganze Pracht ist heute fast vergessen und versunken. In den Wirren des Krieges gingen 70 Prozent der Piel-Filme verloren, und in den 50er Jahren war der Sensationsdarsteller von einst ein Fall für Nostalgiker. Umso dankenswerter, daß das Label Koch Media jetzt unter dem Sammeltitel "Schätze des deutschen Tonfilms" wenigstens drei Harry-Piel-Filme wieder auf DVD zugänglich macht. In Jonny stiehlt Europa geht es um ein Rennpferd; Sein bester Freund ist ein herrenloser Schäferhund, der in eine Polizeiaktion gerät; und Ein Unsichtbarer geht durch die Stadt stellt - praktisch gleichzeitig wie die amerikanische H.-G.-Wells-Verfilmung "Der Unsichtbare" - so etwas wie den Versuch eines frühen deutschen SF-Films dar.
Es sind aus heutiger Sicht stilistisch merkwürdige Zwitterfilme, die sich da in technisch passablem Zustand präsentieren. Einerseits war Piel als sein eigener Regisseur von eher handgeschnitztem Zuschnitt: Die Bildgestaltung wirkt oft zufällig, die Montage schleppt, und die Nebendarsteller bleiben sich selbst überlassen. Andererseits agiert Piel in seinen Filmen häufig verblüffend modern und selbstironisch: Sein lässiges Nuscheln läßt das Pathos ihrer Entstehungszeit weit hinter sich und verweist auf kommende Stars wie James Dean oder Steve McQueen, und manche Sequenzen - etwa die rasante Taxifahrt-Montage am Beginn des "Unsichtbaren" - wären heute auch nicht viel wirkungsvoller zu realisieren. Dazu kommt eine geballte Ladung Zeitgeist: Wer die Atmosphäre der 30er schätzt, darf an diesen Silberlingen nicht vorbeigehen.
"Seine amerikanischen Brüder im Geiste, das sind Allan Dwan und Raoul Walsh und William A. Wellman", schreibt Ivo Ritzer in der "Frankfurter Allgemeinen" über Harry Piel und fügt hinzu: "Der anarchische Gestus seiner Filme sorgte dann für Probleme mit den Nazi-Gangstern, auch sein rigoroser Individualismus." Das ist, halten zu Gnaden, denn doch nur die halbe Wahrheit.
Es stimmt zwar, daß Goebbels dem smarten Self-made-Regisseur sehr reserviert gegenüberstand, und es ist auch filmhistorisch erwiesen, daß Piels pazifistischer Anti-Giftgas-Kriegsfilm "Der Geheimagent" (österreichischer Titel: "Gas") 1933 von den Nazis verboten wurde, doch ein Text über Harry Piel wäre unvollständig, würde er die Verstrickungen seiner Hauptfigur in das NS-System übergehen.
Piel war nicht nur am 30. April 1933 in die NSDAP eingetreten, sondern einen Monat später sogar förderndes Mitglied der SS geworden. Piel "kommt bei öffentlichen Anlässen den Repräsentanten der Macht immer näher, ob er sich nun zu diesen Auftritten gezwungen fühlt oder nicht", heißt es in der sehr ausgewogenen Piel-Biographie von Matias Bleckman. Ihr sind auch ausgesprochen häßliche Piel-Zitate aus jener Zeit zu verdanken, in denen etwa von einem "jüdischen Budapester Blatt" die (öffentliche) Rede ist, das "mit dem Instinkt der Hornviehkreatur" Falschinformationen über den Star verbreite.
Geholfen haben Piel solche Ausfälle nicht: Die Nazis liquidierten seine Filmfirma, und nach dem Krieg konnte er nie wieder Fuß fassen. Doch auch das gehört zum Phänomen Harry Piel, für dessen Wiederentdeckung die jetzt veröffentlichten DVDs den ersten Schritt ermöglichen. In diesem Sinne: Hoch das Bein!
Hans Langsteiner
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