H. P. Lovecraft im Netz
Stories_H. P. Lovecraft
Der Flüsterer im Dunkel
Am 15. März jährt sich der Todestag von H. P. Lovecraft zum 70. Mal. EVOLVER-Autor Thomas Fröhlich setzt sich mit Person und Mythos des geheimnisvollen Autors auseinander. 13.03.2007
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"Ich schreibe dies unter bemerkenswertem seelischem Druck, da ich heute abend nicht mehr sein werde. Mittellos und am Ende des Vorrats meiner Droge, die allein das Leben erträglich macht, kann ich die Qualen nicht länger ertragen und werde mich aus dem Fenster meiner Dachstube auf die schmutzige Straße unten stürzen. Glaube nicht, daß ich wegen meiner Abhängigkeit vom Morphium ein Schwächling oder Degenerierter bin. Wenn du diese hastig gekritzelten Zeilen gelesen hast, wirst du vielleicht ahnen, ohne dir je ganz klar darüber zu werden, warum ich Vergessenheit oder den Tod suche ..."
(Aus: H. P. Lovecraft, "Dagon")
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Vergessenheit …
Es gibt wahrscheinlich wenige Autoren, nicht nur des 20. Jahrhunderts, die einerseits beinahe vergessen sind, andererseits - zugleich - einen dermaßen festen Platz im Pantheon der (Pop-)Kultur innehaben wie "der Einsiedler aus Providence", Howard Phillips Lovecraft.
Unzählige Rollen- und Computerspiele, die lose auf Lovecrafts Cthulhu-Mythos basieren, lassen die Game-Industrie jubeln, weil sie sich nichts Neues ausdenken muß.
Unzählige Songtexte (von Metallica, Cradle Of Filth, Moonspell oder jener Sixties-Psychedelic-Band, die sich überhaupt gleich seinen Namen ausborgte) beschwören das finstere "Necronomicon", den Fischgott Dagon oder den ägyptischen Dämon Nyarlathotep.
Unzählige (und oft unselige) literarische Epigonalergüsse - speziell im angloamerikanischen Bereich - lassen sich sehr frei von Lovecraftschen Ideen inspirieren. Kaum ein Horrorschriftsteller der Gegenwart hat je die Gelegenheit ausgelassen, seinem Œuvre eine Lovecraft-Geschichte hinzuzufügen, vom Mainstream-Horror-Schreiber Stephen King über die schwulenverliebte Poppy Z. Brite bis hin zum Splatterwastl Richard Laymon - ja, sogar der umjubelte ukrainische Jungliterat Ljubko Deresch greift in seinem Roman "Kult" (2001) auf von Lovecraft (und Pink Floyds Syd Barrett) gezimmerte Settings zurück.
All dies hat Lovecrafts Namen und Werk verbreitet, verherrlicht, verfälscht, verraten. Und doch:
"Wie der dahingegangene Oscar Wilde lebe ich in der Furcht, nicht mißverstanden zu werden!"
(H. P. Lovecraft, "Aus seinen Briefen")
Aber der Reihe nach:
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Howard Philipps Lovecraft wurde am 20. August 1890 in der amerikanischen Stadt Providence, Rhode Island, geboren und starb am 15. März 1937 nach längerem Krebsleiden im Jane‑Brown‑Krankenhaus, einer Zweigstelle des Rhode Island Hospitals. Am 15. März 2007 ist also sein 70. Todestag.
H. P. Lovecraft war ein Mensch tiefer Widersprüche. Er war ein Mann, dessen Werk von der seriösen Literaturkritik mehr oder weniger ignoriert, von seinen Anhängern innigst verehrt und von seinen Gegnern ebenso herabgewürdigt wurde und wird.
Er schrieb die unheimlichsten Horrorgeschichten des frühen 20. Jahrhunderts und zugleich die bezauberndsten versponnenen Traumerzählungen, jede Menge Zeitschriftenartikel und Essays, Hunderte von Gedichten und um die hunderttausend (!) Briefe.
Er war geraume Zeit bekennender Antisemit, las mit Begeisterung "Mein Kampf" und heiratete dennoch die jüdische Geschäftsfrau Sonia Greene Davis.
Er sah sich selbst, obwohl Amerikaner, als einen wertkonservativen Gentleman der alten (britischen) Schule, der seine Heimatstadt Providence über alles liebte und einen Großteil seines Lebens mit seinen beiden alten Tanten im selben Haus ebendort verbrachte. Andererseits war er ein zutiefst materialistisch eingestellter Atheist, für den die Menschheit in ihrer Gesamtheit nur die Bedeutung einer "Fußnote in einer kosmischen Symphonie des Grauens" hatte.
Ging es in der klassischen Horrorliteratur des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts zumeist um persönliche Schuld, die erst jene folgenden verhängnisvollen Vorgänge in Bewegung setzte (hier Unrecht - dort rächender Geist; hier sexuelle Gelüste - dort nach Körperflüssigkeiten gierender Vampir), so war Lovecraft die jeweilige menschliche Befindlichkeit ziemlich gleichgültig.
"Ich könnte nicht über gewöhnliche Menschen schreiben, weil ich an ihnen nicht im Geringsten interessiert bin ... Die humanozentrische Pose ist mir verwehrt, denn ich kann mir nicht die primitive Kurzsichtigkeit zu eigen machen, die die Erde vergrößert und den Hintergrund ignoriert."
(H. P. Lovecraft, "Aus seinen Briefen")
Bei Lovecraft entgeht niemand dem ultimativen Verderben, ob Gutmensch oder Krätz´n. Und damit versetzte er der Schuld-und-Sühne-Phantastik des 19. Jahrhunderts ebenso wie jener, deren Zweck es war, auf literarische Weise die Wiederherstellung der bestehenden (Rechts-)Ordnung oder wenigstens das himmlische Heil danach zu beklatschen, wohl endgültig den Todesstoß.
Lovecraft kreierte eine eigene Welt, in seinen Geschichten immer wiederkehrende Orte wie das verrufene Arkham, das düstere Dunwich, die verfluchte Hafenstadt Innsmouth oder das von verrückten Gottheiten heimgesuchte, eisige Plateau von Leng. Er schuf ein eigenes Universum, eine Kosmologie voller Schrecken, voller Monstrositäten wie den tentakelbehafteten Cthulhu, der in der versunkenen Stadt R´lyeh träumend auf seine Stunde wartet, den wahnsinnigen Gott Azathot, der das nukleare Chaos einer immerwährenden Explosion verkörpert, oder den Dämon mit den 1000 Masken, Nyarlathotep.
Auch das geheimnisumwitterte und fluchbeladene Buch "Necronomicon", von dem viele Menschen der Meinung sind, es existiere tatsächlich, ist seine Erfindung - genauso wie der angebliche Verfasser des "Necronomicons" selbst, Abdul Alhazred.
Im deutschsprachigen Raum wurde Lovecraft, zu dessen Lebzeiten bloß ein einziges Buch mit Erzählungen aus seiner Feder veröffentlicht wurde, nicht zuletzt durch die Übersetzung einiger seiner Geschichten durch H. C. Artmann in den sechziger Jahren bekannt.
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Kleiner Exkurs: Lovecraft und Österreich:
Abgesehen von H. C. Artmann, dem ewigen Querdenker und (alt)österreichischen Eigensinn-Produzenten, war und ist Lovecrafts Einfluß auf die österreichische Literatur denkbar gering. Anzunehmen ist, daß Lovecrafts Fatalismus diametral zum Betroffenheitskanon stand, der in den sechziger und speziell siebziger/achtziger Jahren in nahezu jede Verlagsredaktion, in jedes "fortschrittliche" Dichterstüblein - tentakelgleich - hineinmäanderte und dortselbst jegliche schriftliche Äußerung außerhalb hobbypsychologisierender und halbgar vergangenheitsbewältigender Selbsterfahrungsgrüppchen obsolet machte. Menschen, die sich an der Grandeur ihrer eigenen alternativ-spießigen Befindlichkeit berauschen, besitzen wahrscheinlich tatsächlich kein Interesse an der Lektion, daß die Spezies Mensch im Grunde nur ein unwichtiger und ziemlich unangenehmer Zellhaufen ist, den der einzelne nur unter Zuhilfenahme eines höchst formellen Umgangscodes überhaupt aushalten kann.
"Das Leben ist eine häßliche Angelegenheit, und vor dem Hintergrund dessen, was wir darüber wissen, kommen dämonische Andeutungen über die Wahrheit zum Vorschein, die es manchmal noch tausendfach häßlicher machen."
(H. P. Lovecraft, "Arthur Jermyn")
Genreliteratur (Schund!!!) war sowieso pfui. Auch in der folgenden postmodernen Schöner-Wohnen-Literatur wurde Lovecraft geflissentlich ignoriert. Erst in den vergangenen paar Jahren scheint ein zaghaftes Umdenken stattgefunden zu haben - doch selbst der Autor Andreas Gruber, der 2006 mit seinem Roman "Der Judas-Schrein" eine originär österreichische (sich in Niederösterreich und Wien abspielende) Lovecraft-Hommage hingelegt hat, mußte sich dafür einen Verleger im Ausland suchen. Phantastik in Österreich, vor allem Horror, ihr düsterer Ableger, findet seit Jahrzehnten - von punktuellen Versuchen einmal abgesehen - schlichtweg nicht statt.
Der einzige österreichische Schriftsteller der Nachkriegszeit, der - wenn man so will - eine Lovecraft vergleichbare Haltung an den Tag legte, war wohl Thomas Bernhard. Er tat dies allerdings außerhalb jeglichen Phantastik-Kontextes. Was umso bemerkenswerter scheint, ist in diesem Zusammenhang die Rezeption des Bernhardschen Werkes bei zeitgenössischen angloamerikanischen Dark-Fantasy-Autoren mit leicht misanthropischem Einschlag, wie der zuvor erwähnten Poppy Z. Brite oder dem ewig grantelnden Thomas Ligotti, für die Bernhard inzwischen neben Lovecraft, Cioran oder Huysmans als unumstrittenes Vorbild gilt.
Seltsam ...? Doch ich schweife ab.
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Michel Houellebecq schreibt in seiner Lovecraft-Biographie "Gegen die Welt und gegen das Leben" (2002) - die natürlich, wie immer bei Houellebecq, mehr über den Autor als über das beschriebene Objekt verrät - vor Pathos triefend, aber durchaus richtig: "Lovecraft starb, sein Werk wurde geboren ... Dieser Mann, dem es nicht gelungen ist, zu leben, ist es schließlich gelungen, zu schreiben. Dem Leben in all seiner Form eine Alternative zu bieten, eine ständige Opposition gegenüber dem Leben, eine ständige Zuflucht vor dem Leben zu sein: Das ist die vielleicht höchste Mission des Dichters auf dieser Erde ... Howard Phillips Lovecraft hat diese Mission erfüllt."
Dennoch zählt Lovecraft nach wie vor zu den großen Unbekannten, obwohl er die düstere Phantastik in der Literatur seit Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt hat wie kein zweiter. Wahrscheinlich ist es das von ihm postulierte, im wahrsten Sinne des Wortes heil- und hoffnungslose Ausgesetztsein des Menschen in einem unheilvollen Kosmos, was viele davon abhält, sich ernsthaft mit seinen Texten auseinanderzusetzen, stattdessen einzelne Elemente (wie zum Beispiel die ziemlich coolen Monster) herauszupicken und diese in einen "freundlichen" Kontext zu stellen.
Dies ist augenscheinlich auch einer der Gründe, weshalb es bis jetzt keine gültige Lovecraft-Verfilmung gibt (im Sinne der in den Texten spürbaren Grundhaltung): Nicht nur Brian Yuzna und Stuart Gordon haben sich da schon, mitunter auf durchaus unterhaltsame Weise, die Regie-Zähne ausgebissen. Einzig John Carpenter gelang in "Die Mächte des Wahnsinns" (1995) eine solide Hommage, die die Atmosphäre der literarischen Vorlagen adäquat umsetzt, ohne den Namen Lovecraft allerdings im Film ein einziges Mal zu erwähnen ...
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Was also bleibt? Hoffentlich eine längst überfällige Wiederentdeckung, ermöglicht durch die vorbildlichen, derzeit zum Teil in Arbeit befindlichen Ausgaben des Suhrkamp- und Festa-Verlage - und vielleicht das:
"Wer weiß das Ende? Was aufstieg, kann wieder untergehen, und was versank, kann wieder erscheinen. Grauenvolles wartet und träumt in der Tiefe, und Fäulnis kommt über die wankenden Städte der Menschen. Es wird eine Zeit geben - aber ich darf und kann daran nicht denken! Ich bete darum, daß, falls ich das Manuskript nicht überleben sollte, meine Testamentsvollstrecker Vorsicht und Wagemut walten lassen und dafür sorgen, daß kein anderes Auge es je erblickt."
(H. P. Lovecraft, "Cthulhus Ruf")
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