Frank Miller - 300
ØØØØ
Cross Cult (D 2006)
Nach "Sin City" steht uns in Kürze dank "Dawn of the Dead"-Regisseur Zack Snyder die nächste Verfilmung eines Millerschen Meisterstücks ins Haus. Bis es soweit ist, bleibt genug Zeit, sich in die Comic-Vorlage zu vertiefen. 23.03.2007
Auf Speeren aufgespießte persische Späher; Myriaden von Pfeilen, die den Himmel verdunkeln; ineinandergeschlungene Leichen, die zwecks Feindesabwehr zu Mauern aufgeschlichtet sind; dazwischen nackte Männerhintern und androgyne gegnerische Anführer mit Gottkomplex. Viel Feind, viel Ehr´, soweit das Auge reicht: Willkommen in der alttestamentarischen Welt von Comic-Maestro Frank Miller, bei dem selbst im schlimmsten Höllenpfuhl stets ein Mann mit Ehrgefühl als Retter zur Verfügung steht und - koste es, was es wolle - tut, was ein Mann halt tun muß ...
Um Millers Visionen auf die Leinwand zu bringen, braucht man als Regisseur cojones. Schließlich mußte erst Robert Rodriguez daherkommen und den Rechenstiftschiebern der Traumfabrik zeigen, wie man sowas richtig macht: ohne Kompromisse, ohne Zielgruppenanalyse und Einbau einer handelsüblichen Liebesgeschichte - und natürlich ohne jede Hollywood-Verwässerung des Stoffes, um so eine niedrigere Altersfreigabe zu erzielen oder etwaigen Konfrontationen mit Randgruppen auszuweichen. Millers Neo-Noir-Meisterwerk wurde nicht einmal erzählerisch für das Medium Film aufbereitet, sondern stattdessen eins zu eins und in Überlebensgröße in Bewegung gesetzt. Der Erfolg gab der Einmann-Kinomaschine Rodriguez recht.
Doch während "Sin City" noch relativ gemütlich in den Troublemaker Studios via Green-Screen zum Leben erweckt wurde, waren für die epochale Schlacht bei den Thermopylen schon etwas mehr Budget und somit auch Unterstützung seitens der Anzüge vonnöten. Mit rund 60 Millionen Dollar Produktionsbudget - immer noch günstig, aber bei weitem nicht so unabhängig produziert wie "Sin City" - beweist uns Zack Snyder demnächst, daß auch er das nötige Talent, das gestalterische Gespür und das gewisse Etwas im Regie-Repertoire hat. Mit einem Wort also: cojones. Und genau die braucht man, wenn man sich eines Millerschen Stoffes annimmt, damit kein filmisches Fallobst wie "Elektra" oder "RoboCop 2" herauskommt.
Zur Handlung, frei nach Herodot: 480 vor Christus soll sich die persische Armee unter König Xerxes aufgemacht haben, Griechenland zu erobern. Millionen von Kriegern (heutige Historiker schätzen ihre Anzahl eher auf knapp 170.000 Mann) walzten quer durch die Olivenhaine, bevor sie bei den Thermopylen, einem Gebirgsengpaß, auf den spartanischen König Leonidas, 300 seiner Recken (der Rest war mit religiösen Feierlichkeiten beschäftigt) und einen Haufen Fußvolk stießen. Ganze drei Tage konnten die mutigen Kämpfer die feindliche Übermacht aufhalten und durch ihren Heldentod Griechenland in späterer Folge den nötigen Vorsprung zum Sieg bescheren. Col. Davy Crockett, Ethan Bishop sowie diverse Klingonen wären stolz auf sie gewesen ...
Wie die anderen Comics des "Batman"-Neuerfinders Miller ist "300" kein leichtverdauliches Werk für zwischendurch: Die querformatig gezeichnete und von Cross Cult in gewohnt edler Manier als Hardcover veröffentlichte Graphic Novel zieht den Leser von Anfang an in ihren Bann und läßt ihn bis zum Ende der Lektüre nicht mehr von den blankpolierten Speerspitzen loskommen.
Wenn Leonidas mit seiner 300 Mann starken Leibgarde gegen Tausende von Persern anrückt und trotz der Bedrohung auch über jeden einzelnen seiner Spartanertruppe wacht, wenn ihn der korrupte Klerus oder ein rachsüchtiger Krüppel an den Feind verraten und Dilios einen mythischen Schwank aus Leonidas´ Jugend erzählt, klebt man förmlich am Panel und läßt Zeichnung und Worte genüßlich auf sich einwirken. So hat man sich als kleiner Bub antike Helden und epische Schlachten vorgestellt. Mit diesen Recken wären auch Robert E. Howards Conan sowie diverse Charlton-Heston- oder Kirk-Douglas-Charaktere in den Krieg gezogen - und jeder der Millerschen Spartaner hätte die Warmduscherfraktion aus gängiger Massenschlachten-Massenware wie "Alexander", "Troja" oder "Königreich der Himmel" mühelos, im Lendenschurz und nur mit einem nassen Fetzen bewaffnet in die Knie gezwungen. "We march", so Millers Eingangsworte und auch die Einstellung der Spartaner, die sich bis zum bitteren Ende durchzieht. Als Leser marschiert man begeistert mit.
PS: Ob auch der für die geplante "Ronin"-Verfilmung angedachte Franzose Sylvain White ("I´ll Always Know What You Did Last Summer") das nötige Talent hat, um Millers Intensität auf die Leinwand zu bannen, ist mehr als fraglich. Snyder selbst wird als nächstes Projekt "Sucker Punch" und danach Alan Moores "Watchmen" auf die Leinwand bringen.
Frank Miller - 300
ØØØØ
Cross Cult (D 2006)
EVOLVER-Lesetip: Charles Brownstein - Eisner/Miller: A One-On-One Interview
ØØØØØ
Dark Horse (2005)
Einen großartigen Überblick über die Entwicklung der Comic-Industrie, das jeweilige künstlerische Schaffen der beiden Zeichenstift-Maestros und ihre Einstellung zu Themen wie Zensur, Hollywood oder Gewerkschaften bietet diese spannende und höchst kurzweilig zu lesende Doppelconference zwischen Will Eisner und Frank Miller.
Frank Miller im EVOLVER
Porträt: Frank Miller
Ohne ihn wäre Batman längst Schnee von gestern, und "Sin City" hätte es nie gegeben: Was Sie schon immer über Frank Miller hätten wissen sollen ...
Sin City #1: Stadt ohne Gnade
Vernarbt, zerschrammt, am Rande des Wahnsinns und zu allem entschlossen: Der unvergeßliche Marv nimmt uns mit in die Hölle von Basin City, der Stadt ohne Gnade.
Sin City #2: Eine Braut, für die man mordet
Dreckig, fies und extra hartgekocht offenbart sich auch Band zwei des Millerschen Noir-Epos. So schön kann Sünde sein.
Eine schwarzweiße Männerschrift
Robert Rodriguez setzt mit der Verfilmung von Millers Stadt der Sünde neue visuelle Maßstäbe und liefert eine Extravaganza, die das Prädikat "sehenswert" im wahrsten Wortsinn verdient.
Home, deadly home: Sin City Revisited
Spät, aber doch: die Special-Edition-DVD der extravaganten Comic-Verfilmung sowie der letzte Band der Comic-Reihe. Der EVOLVER besucht die sündige Stadt noch einmal.
Noch ein EVOLVER-Lesetip: 300 - The Art of the Film
ØØØØ
Cross Cult (D 2007)
Daß der Streifen halten wird, was wir uns von ihm versprechen, beweist schon jetzt sein sensationelles Einspielergebnis. Daß irgendein Obermufti den Film tatsächlich für schlechte PR gegenüber dem Iran hält, trägt ebenfalls zum Amüsement bei. Wer den hiesigen Kinostart gar nicht mehr erwarten kann, sollte einen Blick in den Begleitband "The Art of the Film" werfen, in dem neben zahlreichen Textbeiträgen umfangreiches Bildmaterial enthalten ist: von Panels aus der Comic-Vorlage mit dem dazugehörigen Film-Frame über Bluescreen-Aufnahmen des digitalen Sparta und Behind-the-Scenes-Material bis hin zu Storyboard-Sequenzen und Entwürfen aus dem Art-Department. Nicht nur für Fans einen Blick wert.
Es knallt, es kracht - und es wird esoterisch. Zücken Sie die Fernbedienungen und lehnen Sie sich für unsere Heimkinoempfehlungen gemütlich im Fernsehsessel zurück.
Der große, böse Wolf kommt neuerdings aus Israel, Roy Battys Low-Budget-Nachfolgerin dafür aus Großbritannien. Dazwischen tummeln sich die Anarcho-Trickfilmfiguren Ren und Stimpy, US-Sexualforscher sowie jede Menge Genrekost.
Lernen Sie, wie man am besten durch Drogen reich wird. Sehen Sie zu, wenn Orson Welles mit Charlton Heston Schlitten fährt. Oder reisen Sie mit den Mystic Knights of the Oingo Boingo per Anhalter durch die Heimkino-Galaxis.
Arm gegen reich, Profitgier gegen Rückgrat - und natürlich jede Menge Blei: unsere aktuellen Heimkinoempfehlungen sind angerichtet.
"Well, do ya, punk?" Eine amerikanische Doku widmet sich dem Verfasser dieser Zeilen. Wem das nicht gefällt, der darf mit Quentin Dupieux Hundefänger spielen oder den Fernsehabend mit Dr. Lecter verbringen. Wohl bekomm´s!
Mel Gibson ist auf der Flucht, Sly Stallone auf der Jagd - während Michael Shannon und Chloë Sevigny den Finger stets am Abzug haben und Kevin Spacey im Weißen Haus nicht nur die Puppen tanzen läßt.
Kommentare_
Die angeblichen "cojones", die Snyder bewiesen hat, indem er den Comic verfilmt hat, werden zugunsten einer niedrigeren Altersfreigabe wortwörtlich weggelassen, denn im Comic sieht man das Gemächt der Männer meist unverhüllt, im Film nicht. Dass der Comic, wie sie sagen, "eins zu eins" übernommen wurde, ist schlichtweg falsch. Fast alle Figuren wurden im Film umgebaut, einige sogar gestrichen oder neu hinzugefügt.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Sex-Szene mit und generell die Rolle der zartgesichtigen Königin, die dem Zwei-Bilder-Auftritt der grobschlächtigen Königin im Comic nicht im Geringsten enspricht. Ihre Feststellung, der Film verzichte u.a. auf "den Einbau der handelsüblichen Liebesgeschichte", ist deshalb unfreiwillig komisch.
Fazit: Leider eine völlig missratene Rezension
"Dass der Comic, wie sie sagen, "eins zu eins" übernommen wurde, ist schlichtweg falsch."
Ist es wohl nicht guter Mann, denn dieser Satz bezieht sich auf "Sin City".
"Ihre Feststellung, der Film verzichte u.a. auf "den Einbau der handelsüblichen Liebesgeschichte", ist deshalb unfreiwillig komisch."
Vor allem, weil sich auch dieser Satz auf "Sin City" bezieht ...
In Zukunft also vielleicht etwas langsamer lesen! Zumal es in diesem Text ohnehin um die Comic-Vorlage und nicht die Verfilmung geht.
Fazit: Leider ein völlig missratener Kommentar