Im zweiten Teil seiner Übersicht zur Hollywood-Aufarbeitung des aktuellen Finanzdebakels widmet sich Dietmar Wohlfart ausschweifenden Rachephantasien des Humankapitals, Scorseseschen Wölfen und einer wie immer sehenswerten Cate Blanchett.
09.09.2013
Am 15. September jährt sich der Untergang des Investmentbank-Giganten Lehman Brothers, mit dem die weltweite Wirtschaftskrise begann, zum fünften Mal. Die Traumfabrik hat sich nur zögerlich an das nicht unbedingt publikumswirksame Thema gewagt. Dietmar Wohlfart riskiert eine Zwischenbilanz. Lesen Sie hier den ersten Teil.
Im Namen des kleinen Mannes: Drei unbedarfte Kumpels (Jason Bateman, Charlie Day und Jason Sudeikis) planen den Tod ihrer jeweiligen unerträglichen Vorgesetzten. Indem sie die Morde miteinander "tauschen", soll das leidige Alibiproblem - frei nach Hitchcock - gelöst werden. Leider stellt sich das Trio aber unsagbar blöd an und stürzt in ein nicht mehr zu kontrollierendes Chaos. Regisseur Seth Gordon erfüllt der stillen, leidgeplagten Mehrheit mit Kill The Boss ("Horrible Bosses", 2011) einen Herzenswunsch. An denen ein Exempel zu statuieren, die in ihrer Unantastbarkeit keine Wirtschaftsturbulenz zu fürchten haben, ist eine Rachephantasie, die in der Post-Lehman-Brothers-Ära naturgemäß in besonders bösem Glanz erstrahlt. Daß dabei die zum Sturz vorgesehenen Tyrannen (Kevin Spacey, Jennifer Aniston, Colin Farrell) ihre gequälten Untergebenen an Faszinationskraft in den Schatten stellen, tut der befreienden Wirkung dieser Komödie im derb-schwarzem Kostüm keinen Abbruch. Gratulieren darf man vielmehr Spacey als jähzornigem, narzißtischem Kotzbrocken und Chef des Oberbiedermanns Nick (Bateman) sowie Jennifer Anniston als nymphomaner Zahnärztin, die ihren naiv-dümmlichen Assistenten Dale (Day) in arge Bedrängnis bringt.
Deutlich familienfreundlicher inszeniert Brett Ratner sein Star-Line-up (u. a. Ben Stiller, Eddie Murphy, Alan Alda) in der watteweichen Vergeltungs-Comedy Aushilfsgangster ("Tower Heist", 2011): Auf dem ersten Blick vertrauensvoll und fast väterlich, entpuppt sich Geschäftsmann Arthur Shaw (Alda) als durchtriebener Machtmensch, der kein Pardon kennt, wenn es um seinen finanziellen Vorteil geht. Da sie von Shaw um ihre Altersvorsorge gebracht wurden, gehen ein paar Angestellte eines New Yorker Apartmentkomplexes daran, sich ihr Geld von dem scheinbar unantastbaren Spekulanten zurückzuholen. Für die Figur des Arthur Shaw, der in "Tower Heist" nach dem "Ponzi-System" vorgeht und damit durch das Vortäuschen exorbitanter Renditechancen Investoren in den Ruin lockt, stand ganz augenscheinlich der eingekerkerte Finanzier Bernie Madoff Pate.
"Listen to me, you stupid little runt. I own you. You´re my bitch! So don´t walk around here thinking you have free will because you don´t. I can break you anytime I want!" ("Kill The Boss")
Arthur Shaw: "You people are working stiffs, clock-punchers. Easily replaced." ("Aushilfsgangster")
Verspekuliert
Nicht zufällig ging die Verfilmung des Don-DeLillo-Romans Cosmopolis erst Jahre nach dessen Veröffentlichung im Fahrwasser der Krise in Produktion. David Cronenberg, ein König des Absonderlichen, dessen Werke gern schon wegen ihrer Andersartigkeit mit Lorbeeren versehen werden, zeichnete für die Adaption verantwortlich: Ein Jungmilliardär (Robert Pattinson) läßt sich in seiner Stretch-Limousine durch die verstopften Straßen Manhattans chauffieren, um einen Friseurtermin wahrzunehmen, während sein Mega-Konzern im Minutentakt gewaltige Verluste einfährt. Die Wahl des Hauptdarstellers - zweifelsohne ein kalkulierter Zug im Sinne der Zielgruppenvermengung und Gewinnmaximierung - entbehrt angesichts der inhaltlichen Ausrichtung des Films nicht einer gewissen Ironie. Dies um so mehr, da Robert "Twilight" Pattinson dann auch auf verlorenem Posten steht, der Streifen weder künstlerisch noch kommerziell punkten kann und Cronenberg abseits seines angestammten Metiers des Bizarr-Übernatürlichen als hilfloser Scharlatan entlarvt wird.
Oliver Stones schleichender Zusammenbruch als rabiater Individualist und schamloser Aufrüttler der Nation setzte etwa zur Jahrtausendwende ein, nachdem ihm mit "Any Given Sunday" ("An jedem verdammten Sonntag", 1999) ein Achtungserfolg innerhalb des chronisch unterrepräsentierten Sportgenres gelungen war. Neben weitgehend unbeachteten Politdokumentationen trug Stone danach sein eigenes Denkmal konsequent ab, insbesondere zwischen den Jahren 2004 und 2008 ("Alexander", "World Trade Center", "W"). Mit dem einst als amerikanischem Traumataverarbeiter vom Dienst Großtaten vollbringenden, nunmehr jedoch mut- und visionslos agierenden Kriegsveteranen auf dem Regiestuhl mußte man das Gordon-Gekko-Comeback Wall Street: Geld schläft nicht ("Wall Street: Money Never Sleeps", 2010) schon vor Drehbeginn als Risikogeschäft einstufen. Fürwahr, "The Gekko" (Michael Douglas) als wiedererstarkte, unberechenbare Größe in die Spekulantenkriege der Jetztzeit ziehen zu lassen, eröffnete Möglichkeiten. Doch war Stone 2010 schlichtweg nicht mehr in der Lage, seinen "Wall Street"-Nachfolger mit jenem Signum zu versehen, das frühere Arbeiten noch stets geprägt hatte: Relevanz.
"The logical extension of business is murder." ("Cosmopolis")
"Individualism kills every deal." ("Wall Street: Geld schläft nicht")
Prognose
Auf der Post-Production-Zielgeraden befindet sich derzeit Martin Scorseses The Wolf Of Wall Street. Scorsese inszeniert die Geschichte des betrügerischen Spekulanten Jordan Belfont nach dem Drehbuch Terrence Winters ("Die Sopranos", "Boardwalk Empire"), das wiederum auf dem gleichnamigen Belfort-Bestseller basiert. Nach wie vor ungebrochen ist Scorseses Meisterschaft als Regisseur; seine Koalition mit Winter, dessen Serien-Prohibitionsdrama "Boardwalk Empire" er seit Anbeginn produziert, ist durchaus fruchtbar. Dementsprechend hohe Erwartungen setzen Filmfreunde in die nunmehr fünfte Zusammenarbeit zwischen Scorsese und seinem Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio.
Woody Allens Blue Jasmine feierte unlängst seine US-Premiere. Die amerikanischen Feuilletons preisen das Werk mehrheitlich als bisherigen Höhepunkt in der späten Schaffensphase Allens. Besonderes Lob erfährt Hauptdarstellerin Cate Blanchett: sie mimt eine einstige Society-Queen, deren Leben auseinderbricht, als ihr Gemahl (Alec Baldwin) - ein vormaliger Star am Wall-Street-Himmel - wegen schweren Börsenbetrugs aus dem Verkehr gezogen wird.
Wer die Wartezeit auf die genannten und weitere Themenvertreter überbrücken will, kann sich getrost Charles Fergusons Inside Job, eine oscarprämierte Krisendoku mit dezentem Hollywood-Touch (Matt Damon gibt den Erzähler), zu Gemüte führen. Ferguson arbeitet darin die Ursprünge der Krise auf und faßt - auch für den Laien verständlich - den Sündenfall einer deregulierten Börse, die nachfolgenden Verzahnungen zwischen Finanzmärkten, Rating-Agenturen und Nationalregierungen sowie deren Folgen in vier Kapiteln zusammen.
Die ächzende Weltwirtschaft wird das neu entstandene Subgenre weiter mit Energie versorgen. Und selbst eine nachhaltige Erholung des ökonomischen Klimas dürfte den steten - und im Idealfall hochwertigen - Output zum Thema nicht abreißen lassen. Dafür benötigte es schon das Eintreten der vormals geäußerten schlimmsten Schreckensszenarien, von einer global um sich greifenden Hyperinflation bis zum totalen Kollaps des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, wie wir es heute kennen. Bis dahin jedoch wollen wir uns weiterhin an den gediegensten Vertretern des US-Krisenfilms erfreuen.
Vom mächtigen FBI-Mann zum sagenumwobenen Whistleblower: Liam Neeson begibt sich als historisch bedeutsames Informationsleck "Deep Throat" in einen unlösbaren Konflikt. Regisseur Peter Landesman porträtiert einen kühlen Loyalisten, der bewußt zwischen die Fronten gerät.
"Borg/McEnroe" durchleuchtet einen der introvertiertesten Stars der modernen Sportgeschichte. Um einen Björn Borg zu entschlüsseln, muß das Feld eines chronisch unterrepräsentierten Sport-Subgenres bespielt werden - eine Herkulesaufgabe mit Sverrir Gudnason und Shia LaBeouf in den Hauptrollen.
Vor 50 Jahren schrieb ein derangierter kleiner Mann mit Glasauge und Trenchcoat TV-Geschichte: Ab 1968 zermürbte der von Peter Falk verkörperte listige Frank Columbo 35 Jahre lang ganze Mörderscharen mit provokanter Hartnäckigkeit. Dietmar Wohlfart erinnert an die beliebte Krimiserie.
Ein Flugzeugunglück gebiert zwei tragische Figuren und verbindet sie auf unheilvolle Weise. In Elliot Lesters "Aftermath" - einer schlicht formulierten, überraschungsarmen Meditation über Trauer und Wut - übt sich Arnold Schwarzenegger in vehementer Zurückhaltung.
Ein gescheiterter Comic-Zeichner behauptet sich unbeholfen, aber tapfer in den Wirren einer Zombie-Epidemie. Shinsuke Satos Adaption des gleichnamigen Manga-Erfolgs "I Am A Hero" bietet Kurzweil und satte Splatter-Action auf japanischem Boden.
Nicolas Pesces karges Horror-Kleinod "The Eyes Of My Mother" widmet sich voll und ganz den verstörenden Anwandlungen seiner traumatisierten Hauptfigur, hat dabei aber außer stilvoller Schwarzweißoptik wenig zu bieten.
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