Stories_R.I.P. Ernest Borgnine

Good bye, Ernie!

Ernest Borgnine, ruppiger Star zahlreicher Ensembleklassiker und einer der letzten prominenten Vertreter einer längst untergegangenen Hollywood-Epoche, ist tot. Dietmar Wohlfart erinnert an den ebenso energiegeladenen wie unermüdlichen Schauspieler.    11.07.2012

Als klarer Sieger der Pre-Oscar-Award-Season und somit für den Hauptgewinn favorisiert, ging Ernest Borgnine ins Rennen um die Trophäe für den besten Darsteller des Jahres 1956. Dank seines wahrhaftigen und sympathischen Auftritts in Delbert Manns romantischer Tragikomödie "Marty" hatte sich der Kriegsveteran für das Feld der Nominierten - zusammen mit dem Legendenquartett James Cagney, James Dean, Frank Sinatra und Spencer Tracy - qualifiziert. Es sollte "Martys" Nacht werden: Die Low-Budget-Produktion triumphierte in den prestigeträchtigsten Kategorien Film, Drehbuch, Regie und Hauptdarsteller. Mit 39 Jahren hatte Borgnine den Gipfel erklommen; ähnlich schwindelerregende Höhen des Erfolgs sollte er danach nie wieder erreichen. Doch das bärbeißige Energiebündel mischte noch über Jahrzehnte hinweg in der Oberliga Hollywoods mit, komplettierte - und erhöhte - so manchen Ensembleklassiker und erwies sich als schauspielerischer Dauerläufer, der auch im Methusalem-Alter vielbeschäftigt blieb.

 

Von der Marine auf die Bühne

 

Geboren wurde Ernest Borgnine zur Zeit des Großen Krieges, am 24. Jänner 1917, als Sohn italienischer Einwanderer. Zunächst eher unentschlossen, was seine berufliche Zukunft anging, schrieb sich Borgnine in die Navy ein, in der er mit Unterbrechungen bis 1945 diente. Das damals geknüpfte Band zu seiner geliebten Marine sollte nie gekappt werden: Borgnines Mitwirkung in der populären 60er-Jahre-Sitcom "Mc Hale´s Navy" (und sein späterer Auftritt in der gleichnamigen Leinwandversion sowie dem 1997er-Remake) förderte und festigte die früh eingegangene Verbindung mit den amerikanischen Seestreitkräften auch nach seiner aktiven Dienstzeit. Als Offizier gänzlich anderen Schlages hatte Borgnine 1953 seinen Kinoeinstand gefeiert: Sergeant James "Fatso" Judson ("From Here To Eternity") buhlte nicht um Publikumssympathien, sondern begründete Borgnines exponierte Stellung als zuweilen hart austeilender Gewalttäter zahlreicher Hollywood-Klassiker der 50er Jahre: So stellte er sich in Nicholas Rays "Johnny Guitar" (1954) gegen das polarisierende Mannweib Vienna (Joan Crawford) und versetzte an der Seite Robert Ryans eine ganze "Stadt In Angst" ("Bad Day At Black Rock", 1955).

 

Mann der Tat

 

Ob als marodierender Söldner ("Vera Cruz", 1954), eifersüchtiger Rancher ("Jubal", 1956) oder barbarischer Wikingerhäuptling ("The Vikings", 1958) - häufig gab Borgnine impulsive, auf überschaubare Motive reduzierte Männer der Tat und der klaren Aktionen. Selten mangelte es diesen Archetypen an Schlagkraft, häufig jedoch an Planung und Weitblick. So waren es in der Regel schematische, eindimensionale Rollenmuster, denen Ernest Borgnine in seiner frühen Schaffensperiode rohe Wirkungskraft verlieh.

Erstaunlicherweise sollte gerade die Rolle des gutherzigen Fleischhausers Marty Piletti, eines von allen Seiten in Richtung Heirat gedrängten Spätzünders, Borgnine seinen größten Triumph bescheren. Als Zuschauer wünscht man dem ein wenig grobschlächtig daherkommenden, aber jedenfalls liebenswürdigen Marty, dessen Gemüt während des vermeintlich ewigen Junggesellendaseins etwas melancholisch geworden war, nur das Beste.

 

Explosives Original

 

Energisch, grimmig, trotzig - auch als nicht immer pflegeleichtes, zuweilen instabiles Element einer Interessensgemeinschaft bleibt Borgnine in Erinnerung. Er fand als durchgedrehter Blue-Collar-Arbeiter Trucker Cobb den Hitzetod in "The Flight Of The Phoenix" (1965), komplettierte Sam Peckinpahs berüchtigten "Wild Bunch" (1969) und vertrat lautstark und stur seine Position in "The Poseiden Adventure" (1972).

Borgnines letzte relevante Einsätze auf der großen Leinwand verschafften ihm zwei rebellische Einzelkämpfer und Männerfilmregisseure: Sam Peckinpah ("Convoy", 1978) und John Carpenter ("Escape From New York", 1981). Beide Parts repräsentierten und definierten gewissermaßen die Pole in Borgnines Rollenfundus: Borgnines reaktionärer Sheriff Lyle Wallace macht erbarmungslose Jagd auf Kris Kristofferson und seine Lkw-fahrenden Mannen, während sich der clownische Taxifahrer "Cabbie" in Carpenters Endzeit-Thriller seinen fast kindlichen Gefühlsüberschwang bewahren kann. Beiden gemein ist Borgnines explosive Kraft, seine ständige Pendelbewegung zwischen Ruhelosigkeit und Begeisterungstaumel.

 

Marathon-Mann

 

"Die Klapperschlange" markierte auch einen Wendepunkt in der Karriere des damals 64jährigen, dessen Zeit als prägender Hollywood-Nebendarsteller zu Ende ging. Einst hatte Borgnine Seite an Seite mit unvergessenen Giganten seines Berufsstands und unter Führung legendärer Regisseure gearbeitet. In den Achtzigern beschritt er den Weg in die weniger strahlenden Weiten des Mattscheibenuniversums. Gastauftritte in Quotenbrechern wie "Love Boat" oder "Magnum" vermengten sich dabei mit rufschädigenden Verpflichtungen in Abfallprodukten, wie etwa den haarsträubenden "Dirty Dozen"-Sequels. Für die futuristische Kampfhubschrauberphantasie "Airwolf" unterschrieb Borgnine als reguläres Cast-Mitglied.

Doch wie schwankend die Qualität seiner Arbeit auch ausfallen mochte - Ernest Borgnine behielt ein bemerkenswertes Arbeitspensum bei, absolvierte Kleinstauftritte in populären Serienschlagern wie "Home Improvement" und "ER", leistete Synchronarbeit ("Small Soldiers") und übernahm gelegentlich auch noch Hauptrollen, wie etwa 2000 als FBI-Gründer J. Edgar Hoover im gleichnamigen TV-Film. 2002 glänzte er in dem von Sean Penn inszenierten "U.S.A."-Segment der Kurzfilmsammlung "11'09"01 - September 11". Bemerkenswertes wurde dem 92jährigen Borgnine zuteil, als er für sein Mitwirken in der letzten "ER"-Episode noch einmal eine Emmy-Nominierung ergatterte. Seinen letzten nennenswerten Auftritt in einem Big-Budget-Werk absolvierte er 2010: Zusammen mit Bruce Willis, Helen Mirren, John Malkovich, Brian Cox, Richard Dreyfuss und Morgan Freeman trug er im humorvollen Actioner "R. E. D." ein letztes Mal zu einem echtem All-Star-Aufgebot bei.

Am 8. Juli verstarb Ernest Borgnine 95jährig an Nierenversagen. Er hinterläßt seine fünfte Ehefrau Tova.

Dietmar Wohlfart

Kommentare_

Video
The Secret Man

Überzeugungstäter

Vom mächtigen FBI-Mann zum sagenumwobenen Whistleblower: Liam Neeson begibt sich als historisch bedeutsames Informationsleck "Deep Throat" in einen unlösbaren Konflikt. Regisseur Peter Landesman porträtiert einen kühlen Loyalisten, der bewußt zwischen die Fronten gerät.  

Video
Borg/McEnroe - Duell zweier Gladiatoren

Schlag auf Schlag

"Borg/McEnroe" durchleuchtet einen der introvertiertesten Stars der modernen Sportgeschichte. Um einen Björn Borg zu entschlüsseln, muß das Feld eines chronisch unterrepräsentierten Sport-Subgenres bespielt werden - eine Herkulesaufgabe mit Sverrir Gudnason und Shia LaBeouf in den Hauptrollen.  

Stories
50 Jahre Columbo

Der Unverwüstliche

Vor 50 Jahren schrieb ein derangierter kleiner Mann mit Glasauge und Trenchcoat TV-Geschichte: Ab 1968 zermürbte der von Peter Falk verkörperte listige Frank Columbo 35 Jahre lang ganze Mörderscharen mit provokanter Hartnäckigkeit. Dietmar Wohlfart erinnert an die beliebte Krimiserie.  

Video
Aftermath

Schicksalsgefährten ohne Zukunft

Ein Flugzeugunglück gebiert zwei tragische Figuren und verbindet sie auf unheilvolle Weise. In Elliot Lesters "Aftermath" - einer schlicht formulierten, überraschungsarmen Meditation über Trauer und Wut - übt sich Arnold Schwarzenegger in vehementer Zurückhaltung.  

Video
I Am A Hero

Held des Tages

Ein gescheiterter Comic-Zeichner behauptet sich unbeholfen, aber tapfer in den Wirren einer Zombie-Epidemie. Shinsuke Satos Adaption des gleichnamigen Manga-Erfolgs "I Am A Hero" bietet Kurzweil und satte Splatter-Action auf japanischem Boden.  

Video
The Eyes Of My Mother

Augenauswischerei

Nicolas Pesces karges Horror-Kleinod "The Eyes Of My Mother" widmet sich voll und ganz den verstörenden Anwandlungen seiner traumatisierten Hauptfigur, hat dabei aber außer stilvoller Schwarzweißoptik wenig zu bieten.