Stories_Disco Stu - Vol. 1
Your Disco needs you!
Helden für eine Nacht: Manfred Prescher stellt einen Sampler vor, den es nicht zu kaufen gibt, wohl aber geben sollte - und wagt damit einen Blick auf eine coole, bescheuerte Epoche.
01.06.2006
"Burn baby burn! Disco Inferno" - heiße Zeiten waren das, als das Deo nicht nur vor Schweißgeruch schützen, sondern auch noch Feuersbrünste und Hitzewallungen bekämpfen mußte. Oder, wie schon Alf sagte: "Löscht nicht den Vorhang, löscht mich!"
"Disco Inferno" von den Trammps ist eines der Lieder, die den schleichenden Übergang vom knackigen Funk der frühen und mittleren siebziger Jahre - also von James Brown, Ohio Players oder Funkadelic - hin zum offensiv hedonistischen Gehabe der "Saturday Night Fever"-Ära markierten. Die genannten Künstler schafften den Sprung unter die Glitzerkugel auch, weil "Disco" in den USA schon Mode war, bevor die Bee Gees und Travolta das rhythmische Ausstrecken der Arme und das Tragen beau-hafter Gecken-Klamotten salonfähig machten. Oder, anders herum: Ein Isaac Hayes oder ein Bootsy Collins waren bereits Paradiesvögel im Studio 54, bevor die Massen aus der Vorstadt das mausgraue Büro-Outfit wechselten und sich von John Does in Könige der Nacht verwandelten.
Außerdem: Was ist schon Disco? Natürlich bildet der Sound der Funkateers das Gerüst der Songs, macht sie tanzbar, sorgt mit Beat und Groove dafür, daß sich die Glieder wie von selbst bewegen. Die Mehrzahl der Menschen mag dabei wie vollgesch... Strümpfe ausgesehen und sich ins lila Hemd gepreßt haben wie die Wurst in den Darm - aber getanzt haben sie doch. Dazu kam der Einfluß aus Europa, speziell aus Mailand und München, später noch aus Ibiza, Paris und Amsterdam.
Die Synthese aus Norditalien und Bayern bildete schließlich Giorgio Moroder. Der gebürtige Südtiroler baute sich in München ein Imperium auf und versorgte die Tänzer mit elektronischen Sounds, die coole US-Boys wie George Clinton ihrerseits adaptierten. "Fly, Robin, fly, up, up to the sky."
Überhaupt: Alles war möglich. Groove war kein Ding mehr, das den Afroamerikanern gehörte. Wenn man so will, war die Disco-Welt ein abgeschotteter Planet der Toleranz. Was sich zum Tanzen eignete, ließ sich verbinden - egal, woher und von wem es kam. Hautfarbe und Alltagsidentitäten spielten keine Rolle. Der kleinste gemeinsame Nenner war die Tanzbarkeit, und der ordnete sich alles unter. Eine E-Gitarre? OK, wenn sie den Rhythmus nicht stört. Fiepende Hammondorgeln oder 808-Synthesizer? Auch gut. Stöhnende Frauen? Ja, das erhöht die Hitze noch mal deutlich! Französische Texte? Deutsche oder italienische Worte? Geht klar, der Text spielt sowieso keine Rolle. Wird erst einmal getanzt, dann dürfen Enten quaken ("Disco Duck") oder ein schwuler Karnevalsverein namens Village People zehn, elf Minuten lang "San Francisco where everyone is so gay" feiern. Alles geht, "und wir sind dann Helden für einen Tag".
Aber das ist auch die Crux: Will man einen Sampler zusammenstellen, der die Ära, in der Peinlichkeit völlig unpeinlich war, abdeckt, also einen repräsentativen Querschnitt bietet, muß man zwangsläufig scheitern. Es sind - grob geschätzt - etwa 700 bis 800 Stücke, die den musikalischen Kern der Disco-Hochzeit bilden, und jeder Tänzer bzw. jede Community favorisierte seinen/ihren eigenen Style. Was heute normal ist und der auf Massentauglichkeit angewiesenen Musikindustrie die Käufer weglockt, hat mit Disco begonnen.
Was wir an diesem einen Tag hören sollten, befindet sich auf dem definitiven Hedonisten-Sampler. Er wartet nur darauf, veröffentlicht zu werden. Aber selbst in Zeiten von iTunes läßt sich das leider nicht bewerkstelligen. Selig sind einzig jene, die die alten Maxi-Singles und 7-Inches noch im Regal stehen haben, denn die können sich den definitiven Helden-Mix selber basteln. Und das ist er:
Teil 1 enthält 16 unterschiedliche Stücke und unterscheidet dabei nicht zwischen europäischem und amerikanischem Stoff. Charts-Erfolge wie Kool & The Gangs "Celebration" oder das noch sehr funkig-trockene "Brick House" der Motown-Band Commodores stehen neben Klassikern, die wirklich ausschließlich im Club funktionieren. Als Beispiele für letzteres seien "Sea, Sex And Sun" vom Schweinerüden Serge Gainsbourg oder Cerrones "Love In C-Minor" genannt. Oder Lipps Inc. mit "How Long". Im Gegensatz zu "Funky Town" rangierte der beliebte Studio-54-Track in den Hitlisten auf den untersten Rängen. Simple Stampfer wie "Spank" von Jimmy "Bo" Horne oder "Disco Stomp" von Hamilton Bohannon stehen neben Dancefloor-Symphonien wie "Contact", dem letzten großen Song von Soul-Shouter Edwin Starr ("War"). Der alte Kontinent ist mit den Hupfdohlen Baccara und ihrem Eurovisions-Song "Parlez-vous Francais" und dem immerhin in Europa produzierten "Cuba" der aber aus Martinique stammenden Gibson Brothers vertreten. Rick James, Dan Hartman (natürlich mit "Instant Replay") und das gesuchte "You Can Do It" von Al Hudson sind auch drauf.
Aber lesen Sie selbst ...
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie auch Manfred Preschers E-Book für die Ewigkeit: Verdammtes Miststück! Die ersten 200 Pop-Kolumnen aus dem EVOLVER
Manfred Prescher
Kommentare_
HAllo, vielen Dank für Deinen "Soundtrack". Ich lege schon lange auf, aber es waren doch einige interessante Anregungen dabei um mein 70er portfolio noch etwas abzurunden. Gruß Michael
Hallo DJ Michael.
es freut mich, dass ich Deinem Repertoire noch was beifügen konnte. Bin selbst immer auf der Suche..
liebe Grüße
Manfred Prescher
Sehr schöner Soundtrack, Baccara stört mich etwas was ich aber noch augenzwinkernd ertragen kann. So hat sich halt Disco auch angehört.
Immer weiter so!