Stories_Deadwood - Season 3

Schlacht um Gomorrha

Ein tyrannischer Großindustrieller fordert eine ganze Stadt: Der Endkampf um Deadwood beschließt die letzte reguläre Staffel der Westernserie auf höchstem Niveau. Dietmar Wohlfart hält die Grabesrede.    15.11.2007

Nach langer Zeit haben sich die üblichen Verdächtigen wieder zu einer Art Stadtratssitzung in Al Swearengens (Ian McShane) Gem Saloon eingefunden - und bis auf den lungenkranken Doc Cochran (Brad Dourif) sind alle erschienen.

Am Tischende thront Swearengen, das personifizierte dunkle Nervenzentrum der Goldgräberstadt. Zu seiner Rechten blickt der gemeingefährliche Bella-Union-Besitzer Sy Tolliver (Powers Boothe) dezent gelangweilt in die Runde. Auf Tollivers Gesicht ist der Ansatz eines verhöhnenden Grinsens zu erkennen. Die Herausforderung gilt dem Sheriff von Deadwood: Seth Bullock (Timothy Olyphant) - als aufrechter, unkorrumpierbarer Gesetzeshüter Tollivers natürlicher Widerpart - hat ein Kondolenzschreiben verfaßt, dessen Veröffentlichung in A. W. Merricks (Jeffrey Jones) "Pioneer" nicht ohne Folgen bleiben wird. Der Brief ist an die Hinterbliebenen eines kürzlich ermordeten Minenarbeiters adressiert. Der Verstorbene, das letzte Opfer einer Kette von Todesfällen, die sich im nahegelegenen Goldstollen des Industriellen George Hearst (Gerald McRaney) zugetragen haben, ist Teil des Anlasses der Versammlung.

Während Merrick das Schreiben vorträgt, verstummt die Runde, die unter anderem durch den allseits verlachten Bürgermeister und Ex-Hotelier E. B. Farnum (William Sanderson) und den pragmatischen Charlie Utter (Dayton Callie) ergänzt wird. Der versammelte Kreis weiß um die Bedeutung der Zusammenkunft: Es gilt, ein gemeinsames Maßnahmenpaket gegen den Magnaten George Hearst zu verabschieden. Seit dessen Ankunft in der Stadt haben sich die Machtverhältnisse deutlich verschoben. Hearst strebt nach uneingeschränkter Kontrolle und geht dabei über Leichen. Und davon hatte die fluchende Gemeinde ohnehin schon genug ...

 

"... Gomorrha niederreißen ..."

 

Hearsts Haß auf den sich langsam formierenden Widerstand - und die Stadt selbst - reicht tief. Angesichts dieser Gefahr bleibt den alteingessesenen Streitparteien nichts anderes übrig, als zusammenzurücken, um der Bedrohung mehr oder weniger geschlossen entgegenzutreten. Swearengens Saloon bietet dafür den optimalen Stützpunkt.

Einst kundschaftete der seelisch lädierte Francis Wolcott in Hearsts Auftrag das aufgrund seiner Goldvorkommen wirtschaftlich vielversprechende Deadwood aus. Wolcott hinterließ eine blutige Spur, verlor dann aber völlig die Kontrolle über seine dunkelsten Dämonen - und schließlich sein Leben. Nun residiert und herrscht George Hearst im Grand Central Hotel, dem ehemals E. B. Farnum vorstand. Unter dem neuen Management nimmt Farnum nur noch eine untergeordnete Stellung als besserer Portier ein. Genugtuung verschafft er sich einzig durch die fortwährende Drangsalierung der sklavischen Knechtskreatur Richardson (Ralph Richeson).

George Hearst wird durch unstillbaren Machtdurst und seine ausgeprägte Vorliebe für die güldenen Edelmetallvorkommen angetrieben. Unfähig, eine wirtschaftliche Kooperation oder Gewaltentrennung hinzunehmen, strebt er nach der Alleinherrschaft. Besonders angetan hat es ihm Alma Garrets (Molly Parker) Gold-Claim, der direkt an seinen eigenen grenzt. Alma, deren Liaison mit dem Sheriff derzeit auf Eis liegt, kämpft ohnedies an mehren Fronten: Einerseits ist sie wieder dem Rauschgift verfallen, was ihre Papierehe mit dem gutmütigen Whitney Ellsworth (Jim Beaver) und auch ihre Rolle als Ersatzmutter des Waisenmädchens Sophia (Bree Seanna Wall) ernstlich gefährdet. Andererseits schwächt die aufgezwungene Distanzbeziehung mit Seth Bullock die stolze Erbin zusätzlich - und ruft Hearst auf den Plan. Und dieser Mensch ist gefährlich, wie man sich als "Deadwood"-Seher denken kann.

 

Auf- und Absteiger

 

Im Gegensatz zur qualitativ ein wenig abfallenden zweiten Staffel schließt die dritte Ausgabe der derben Wildwestsaga wieder an das Niveau der grandiosen Start-Season an. Die neuen Episoden kommen geschlossener und fokussierter daher und offerieren kompakt verwobene Storylines. Dabei lassen sich Neustrukturierungen und Verschiebungen innerhalb des personellen Gefüges ausmachen: Stadtbaron Al Swearengen nimmt nun wieder mehr Raum ein; Ian McShanes vielschichtigem Charakter wird dabei erneut eine beträchtliche Anzahl kleiner und großer Glanzmomente zugestanden. Öfter als je zuvor ist Al auf seinem Beobachtungsstand anzutreffen, von dem er das Geschehen souverän überblickt. Swearengen, wachend auf seinem Balkon, gibt vielleicht das prägendste Bild der gesamten Serie ab.

Auch seine schleichende Metamorphose vom charismatischen, vielschichtigen Bösewicht zum Antihelden extremster Prägung schreitet weiter voran. Swearengens alter soziopathischer Gegenspieler Sy Tolliver, der im Laufe der Staffel zumindest physisch wiedererstarkt - während seine geistige Verfassung mehr denn je hinterfragt werden darf -, spielt hingegen eine eher untergeordnete Rolle. Tollivers ehemalige Nummer-eins-Hure Joanie Stubbs (Kim Dickens) schenkt der letzten Staffel hingegen einige ruhige Augenblicke: Von schweren Schuldgefühlen geplagt, will sie Buße tun und engagiert sich aktiv für die Förderung des Schulwesens der Stadt. Dickens Auftritte als sanftmütige Ex-Edelnutte bewegen sich zwar nicht durchgehend auf hohem darstellerischen Niveau; die fortgesetzte Investition in den Charakter zahlt sich aber dennoch aus, bleibt Joanie doch in mehrfacher Hinsicht eine Bereicherung für die Serie.

Die Bilanz der Neuzugänge fällt abermals sehr erfreulich aus. In erster Linie ist dies Jack Langrishe (Brian Cox), dem redegewandten, stets enthusiastischen Kopf einer illustren Theatertruppe, zu verdanken. Cox als Langrishe ist großartig; ein hochkultivierter Kunstschaffender und Philantroph, der rauhe Mengen künstlerischen Überschwangs versprüht und dessen einnehmende Erscheinung frischen Wind und einen Hauch Kultur nach Deadwood trägt. Gründlich relativiert und entzaubert wird an anderer Stelle das romantisierte Bild des Bruderpaars Wyatt (Gale Harold) und Morgan Earp (Austin Nichols): Das Gespann entpuppt sich als dubioses Duo halbstarker Tagediebe.

 

Mafiöse Blutsbande

 

Das artistische Verwandtschaftsverhältnis läßt sich nicht leugnen: Geographisch und zeitlich deutlich getrennt, stehen die von HBO produzierten Seriendiamanten rund um die goldschürfende Schicksalsgemeinschaft des staubigen Deadwood und die mafiösen "Sopranos"-Familienfehden in den Straßen New Jerseys jedenfalls in enger geistiger Verbindung. Und auch wenn die selbst Maßstäbe setzende Westernserie nicht ansatzweise den Bekanntheitsgrad von Tonys sizilianischer Rasselbande erreichen konnte, ist ihr ein fester Platz im TV-Olymp sicher.

Komplexe Figurenporträts, attraktive, stets vernünftig zu Ende gedachte Storylines, Dialoge voller Schlagkraft und Feinschliff, ein enormes Gespür für Timing und atmosphärische Nuancen sowie die fast beiläufig vorgenommene Ikonisierung der Zentralcharaktere - David Milch versah seine Western-Kreation mit denselben Ingredienzen wie David Chase sein preisgekröntes Gangster-Drama. Beide funktionieren deswegen so gut, weil ihre Macher auf Schauwerte aller Art, auf Klischees und Stereotypen verzichten. Stattdessen erfolgt eine Fokussierung auf das Wesentliche; eine Konzentration auf jene Facetten, die die überragendsten Vertreter aus der Oberliga der Kino- und Fernsehproduktionen definieren.

"Deadwood" punktet mit ähnlichen Stärken wie "Die Sopranos": Großartig angelegt sind etwa die machtvollen Strippenzieher, die als Anführer ihrer jeweiligen Fraktion Aktionen setzen und ihre Mistreiter - und sich selbst - als Schachfiguren auf einem martialischen Spielbrett kollidierender Interessen in Position bringen. Einsturzsichere Charakterbauwerke durchziehen die gesamte Show. Es sind das großartige Intrigantentum eines Al Swearengen, die Selbstlosigkeit Doc Cochrans, die Warmherzigkeit Joanies, aber auch die gutmütige Verschrobenheit der verkrüppelten Jewel oder die in herrlich antiquierte Schachtelsätze verpackten Bösartigkeiten eines E. B. Farnum, die den Zuseher in ihren Bann ziehen. Die musikalische Untermalung - selten mehr als eine eindringliche Abfolge nervöser Riffs auf einer Akustikgitarre - kommt in sparsamen, aber äußert effektiv nachwirkenden Dosierungen zum Einsatz.

Die zwei HBO-Serien sind wahrlich Blutsbrüder im Geiste; mit viel Geschick und Entschlossenheit vorangetriebene, anspruchsvolle Dramen und Tragödien einer neu geschaffenen Güteklasse der TV-Unterhaltung. Innerhalb weniger Monate verabschiedeten sich nun diese beiden Serienkolosse von den US-Fernsehschirmen. Doch während der Vorhang für Tony Soprano und seine Brut vermutlich zum letzten Mal gefallen ist, hofft die "Deadwood"-Fan-Gemeinde weiterhin auf einen angekündigten Epilog in zweifacher Ausführung.

 

Rückkehr ausgeschlossen?

 

Mit "Deadwood" setzten die Serienschöpfer einen Markstein von Monolithgröße in die Fernsehlandschaft und hoben die Meßlatte für zukünftige Neo-Western-Produktionen ein ganzes Stück. Zugleich mußte "Deadwood"-Erfinder David Milch, der sich angeschickt hatte, die Qualitätsdichte der Serie kompromißlos beizubehalten und somit am Massengeschmack (zu weit) vorbeizuproduzieren, seine Grenzen erkennen. Zu dialoglastig - in obendrein halsbrecherisch obszöner Sprache - und mit nur sehr geringer Action-Dosis versehen, wollte sich Milchs konsequenter Weg mit den natürlichen Geschäftsinteressen des Senders nicht mehr vertragen. HBO brachen die Zuschauer weg.

Damit war "Deadwoods" Schicksal besiegelt. Die Verträge der Darsteller wurden über die dritte Staffel hinaus nicht weiter verlängert. Ursprünglich war zwar geplant gewesen, dem Todesstoß eine temporäre Wiederauferstehung in Form zweier jeweils zweistündiger TV-Filme folgen zu lassen; doch die Idee wurde verschleppt, während Milch sein Nachfolgeprojekt "John From Cincinnati", ein Surfer-Drama mit übernatürlichem Einschlag, auf den Weg brachte. Das neue Projekt scheiterte aber bereits nach der ersten Staffel an der Quote. Die Chancen auf ein "Deadwood"-Comeback stehen daher derzeit alles andere als gut.

Was bleibt, sind Erinnerungen - und eine starke nostalgische Verbundenheit mit diesem rüden Goldsucherstädtchen, das für viele in South Dakota und für manch andere an der Grenze zu Gomorrha liegt.

Dietmar Wohlfart

Deadwood - Die komplette dritte Season

ØØØØ 1/2

Leserbewertung: (bewerten)

Paramount (USA 2007)

DVD Region 2, 4 DVDs
585 Min., dt. Fassung oder engl. OF mit dt. UT

Darsteller: Timothy Olyphant, Ian McShane, Molly Parker u. a.

Links:

Kommentare_

Lutz Rahe - 29.11.2007 : 16.35
Deadwood - noch immer hoffe ich so wie viele, dass HBO sich "erbarmt" um einen würdigen Abschluss dieser grandiosen Serie zu schaffen. Das sieht zwar heute im Zuge der "Kein Gewinn, dann weg damit" Mentalität schlecht aus, aber immerhin haben es Fans schon einmal geschafft. Die Serie Serenity wurde nach 1 Staffel abgesetzt und war vergessen um dann im Kino wieder aufzuerstehen. muss ja nicht Kino sein, aber ich persönlich erhoffe mir ein ähnliches Glück mit deadwood. Denn wie geht es weiter? Zarte Bande zwischen Joanie Stubbs und Calamity Jane? Und der dicke Wachmann, vom Brudermörder zum ? Bullock und die Frau seines toten Bruders, Al (genialer "Bösewicht", genauso Tante Lu, die ihren Arbeitgeber Herarst am liebsten ermorden würde. und und und....
So viele offene Fäden und kein Ende. <Schnüff>
Schön wäre es, es zuende zu bringen......

Bitte!

Viele Grüße aus HH (bzw der Nähe)
Lutz

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