Stories_Porträt: David Chase
The Strong Silent Type
Es gibt Familie und "die Familie": In den USA wurde die sechste und letzte Staffel der "Sopranos" längst ausgestrahlt und ist demnächst auf DVD erhältlich. Erfinder David Chase schrieb mit seiner Serie rund um die Probleme des Mafiabosses von New Jersey Fernsehgeschichte. Tina Glaser wäscht für den EVOLVER seine schmutzige Wäsche.
17.09.2007
Man kann den Amerikanern vieles vorwerfen, doch punkto TV-Serien haben sie es - mittlerweile wieder - einfach drauf. Produktionen wie "Die Sopranos" sind das beste, was man in den letzten Jahren an einschlägigen Sendungen gesehen hat - allerdings nur, wenn man US-Kanäle empfängt oder die Abenteuer der Mafiafamilie auf DVD besitzt.
Während die Serie in den Staaten längst unzählige Preise und Nominierungen zu verzeichnen hatte, konnte man hierzulande - sowohl vom Interesse der Medien als auch jenem der Zuschauer her - höchstens von einem Geheimtip sprechen. Nicht unschuldig am Desinteresse des ORF-Publikums war sicher der unbrauchbare Sendetermin (sowohl auf ORF als auch auf Kabel 1 liefen die "Sopranos" spätnachts). Vielleicht liegt es aber auch an der Dauer der Episoden (jede Folge ist ca. 53 Minuten lang), die sich der Spielfilmlänge annähert. Für eine Serie sei das "zu langsam, zu episch", hörte man da oft.
Die "Sopranos" sind eben nichts für die Fast-food-Esser unter dem Fernsehpublikum. Die Geschichten und Figuren sind komplex, bis ins kleinste Detail stimmig und entfalten beständig ihre Wirkung wie in einem Roman, in den man von Mal zu Mal tiefer hineintaucht.
Der Mann, der hinter all dem steckt, heißt David Chase. Hat man sich ein wenig mit den "Sopranos" beschäftigt, so kommt man relativ bald zu dem Schluß, daß Chases fundiertes Wissen über die Mafiaszene von New Jersey in seinem biographischen Hintergrund verankert ist. Und das stimmt auch.
Chase wurde am 22. August 1945 als David DeCaesare in Mt. Vernon, New York, geboren und wuchs in New Jersey auf. Schon als Kind verschlang er alles, was irgendwie mit der Mafia und dem "Mob Business", zu tun hatte. Filme wie "GoodFellas" und "The Godfather", aber auch "The Untouchables", eine Fernsehserie, die von 1959 bis 1963 in den USA lief und später (1987) von Brian De Palma verfilmt wurde, spielen eine wichtige Rolle für ihn.
In einem Interview mit "Stanford Magazine" sagte Chase:
My father and I used to watch "The Untouchables" together, and I used to read accounts of these gangland killings, and it used to scare me and also thrill me. These lawless tough guys were Italian - and as a kid, I liked that idea.
Abgesehen von der Obsession für die "wise guys" hatte er immer eine Affinität zum europäischen Kino. In den 60er Jahren entstanden immerhin unvergeßliche Filme wie Federico Fellinis "Otto e Mezzo" oder "La Dolce Vita". Da war es nicht verwunderlich, daß sich Chase bald selbst fürs Filmemachen interessierte. Dennoch kam ihm das Fernsehen dazwischen - und für jemanden, der TV-Shows eigentlich nicht ausstehen kann, hatte der mittlerweile mehr als Sechzigjährige erstaunlich viel damit zu tun.
Nach seinem Abschluß an der Filmschule der Stanford University 1971 wollte Chase, abgesehen vom Filmemachen, vor allem Drehbücher schreiben, und das tat er auch. Er zog mit seiner Frau Denise (die Tochter der beiden, Michele DeCesare, übernahm in der Serie "The Sopranos" übrigens die Rolle der Hunter Scangarrelo) nach L. A. und fand nach einiger Zeit durch eine Stanford-Verbindung seinen ersten Job als Drehbuchautor - beim Fernsehen. Es folgten weitere, davon erwähnenswert: "The Rockford Files", eine in Europa nicht sonderlich bekannte TV-Serie mit James Garner, die er von 1976 bis 1980 schrieb. Für den Fernsehfilm "Off the Minnesota Strip" bekam er den "Emmy Award für Outstanding Writing".
Langsam begann Chase seine ganz persönlichen Abdrücke zu hinterlassen, und ein eigentümlicher Ruf eilte ihm voraus. Er sei undurchschaubar und hege düstere Gedanken, "too dark", hieß es. Ein alter Freund, Lawrence Konner, meinte:
David´s reputation inside the TV industry was "Good writer, good manager, but what´s going on in his brain we don´t want to be part of.
"Ich weiß auch nicht, was das heißt", sagte Chase ironisch. "Wahrscheinlich nur, daß ich zu kompliziert bin." Sicher ist es kein Zufall, daß in der vierten Staffel der "Sopranos" die Psychoanalytikerin Dr. Melfi genau auf diese Thematik anspielt, wenn sie mit Tony Soprano über den komplizierten Charakter seiner psychisch angeschlagenen Geliebten Gloria spricht: "I said complicated, dark you said!", und er antwortet schelmisch: "I said her eyes were dark!"
Chases Mitarbeit an zwei weiteren Serien, "I´ll Fly Away", einem Drama über die Civil-Rights-Bewegung im Süden, und "Northern Exposure" (dt.: "Ausgerechnet Alaska"), brachten ihn 1995 zu der Produzentenfirma Brillstein-Grey, mit der er schließlich einen Vertrag abschloß. Das war sozusagen die Geburtsstunde der "Sopranos" ...
A little bit of poetry
Die Idee zu einer Komödie über einen emotional instabilen Mafiaboß, dessen Probleme eng mit dem schwierigen Verhältnis zu seiner Mutter verbunden sind, war Chase schon ein paar Jahre zuvor gekommen. Norma, so hieß seine eigene Mutter, war der Prototyp für die Figur der Livia - Tony Sopranos ewig nörgelnde, bösartige Mutter (großartig dargestellt von der leider bereits verstorbenen Nancy Marchand). "She is a passive-aggressive drama queen, given to every sort of eccentricity. When David was about 12, she threatened to put his eye out with a fork because he said he wanted a Hammond organ", berichtet Chases Frau Denise über Norma.
Kein Wunder also, daß "Herr Soprano" schon in seiner Jugend an Depressionen litt. Eine Therapie machte Chase aber erst mit Anfang dreißig. Sicher stammt einiges von dem fundierten Wissen über Psychotherapie, das wir bei den Sopranos sehen, aus dieser Zeit - doch wäre es nicht angemessen, alles mit dem psychologischen Blick zu sehen. Chase selbst tut das auch nicht. Das anscheinend "Dunkle" in seinem Charakter ist ja nicht unbedingt nur das Auszumerzende. Es steht auch für eine tiefgreifende Beschäftigung mit der Welt und ihren Geheimnissen, mit dem Kampf der Menschen, sich darin zurechtzufinden; es steht für die Hinfälligkeit und die Fehler, die wir alle machen. Kurz gesagt: für das Menschliche. Stephen Holden, Filmkritiker der "New York Times", schrieb über die Hauptfigur Tony Soprano: "He is so totally human in an almost Shakespearian way!"
Manches bleibt einfach offen, wie das vieldiskutierte Verschwinden des Russen in der dritten Staffel ("Pine Barrens"). Chase ärgert sich meist über diesbezügliche Fragen und hält sich lieber an David Lynch, dem ja auch immer nachgesagt wird, er sei eine "weird person".
There is mystery in everything David Lynch does. I don´t mean, Who killed Laura Palmer? There´s a whole other level of stuff going on, this sense of the mystery, of the poetic, that you see in a great painting. (...) I didn´t see that on television. Network television is all talk. I think there should be visuals on a show, some sense of mystery to it, connections that don´t add up. I think there should be dreams and music and dead air and stuff like that goes nowhere. There should be, God forgive me, a little bit of poetry.
Diese "offenen" Momente sind es auch, die den Zuschauer zu einem mündigen Zuschauer werden lassen. Will man vorgekaute Geschichten, hat man bei Chase nichts verloren.
He´s the Don
Wer nun jedoch glaubt, die "Sopranos" glitten in eine Traumwelt ab, irrt gewaltig. Hier geht es um die tägliche Realität des Dons von New Jersey. Nichts wird beschönigt - ob es nun um den harten Alltag im Mob-Busineß oder um jenen innerhalb der Familie geht. Fehlleistungen, Ungeschicklichkeiten und Ängste werden ebenso gezeigt wie Souveränität, Überlegenheit und irrationales Handeln. Keine Folge verliert an Schärfe, nichts wiederholt sich (was für den Zuschauer oft zu einem schockierenden Erlebnis werden kann, denkt er doch, er könne es sich auf der Couch gerade so richtig gemütlich machen).
Genau das wiederum ließ das Network-Fernsehen zurückschrecken. Keiner der vorgesehenen Sender wollte die Pilotfolge verwirklichen. Kritisiert wurden unter anderem der rüde Umgangston und die Brutalität; einige empfanden die Serie auch als anti-italienisch. Also wandte man sich ans Privatfernsehen - und zwar an HBO. Chris Albrecht, der damalige Programmchef, stimmte sofort zu. Dort hatte Chase also die Freiheit, seine Vorstellungen zu verwirklichen. Doch die kritischen Stimmen von außerhalb (auch von seiten echter "wise guys" ) verstummten nicht.
There was a lot of envy that we had freedom, while they were crippled by Standards & Practices. But it´s not like the whole reason the show was a success is that people could say "fuck" and shoot somebody in the head. Everything has to be appropriate to some version of reality.
Chase ist ein Perfektionist. Er ist ruhig, aber bestimmt in den Dingen, die ihm wichtig sind. Da gibt es keine Widerrede. Das wissen inzwischen auch die Herren von HBO, die zunächst gar nicht einverstanden waren, daß die Hauptfigur Tony Soprano gleich in der fünften Folge der ersten Staffel auf dem College-Ausflug mit seiner Tochter (!) en passant einen Mob-Überläufer, den er zufällig sieht, um die Ecke bringt - und zwar nicht durch einen sauberen Schuß, sondern in schmutziger "Handarbeit": Tony erwürgt ihn mit einem Seil. Einige Sekunden lang dürfen wir dem Überlebenskampf immerhin zuschauen ...
If he doesn´t kill the guy, the entire show is full of shit. Because in this situation, that man would kill that guy.
Chris Albrecht von HBO hatte Angst, daß das für die Zuschauer zuviel wäre, doch er lernte, Chases Urteil zu vertrauen. Dasselbe gilt für die Schauspieler. Improvisation hat am Set nichts zu suchen - was aber nicht heißt, daß der Serien-"Creator" neben seiner keine andere Meinung gelten ließe. Michael Imperioli (in der Rolle des Christopher Moltisanti) beispielsweise schrieb mehrere Folgen für die "Sopranos"; er versteht Chases Detailversessenheit. Steve Buscemi, der in der fünften Staffel die Rolle des Tony Blundetto übernimmt, führte auch mehr als einmal Regie. Er drehte unter anderem besagte berühmte Folge "Pine Barrens".
In den Audiokommentaren auf der DVD-Version kann man hören, mit welcher Vorsicht Chase über die Figuren spricht. Über eine Sequenz mit Tony Soprano etwa sagt Chase: "I think he tried to be a good father there" oder "I think this is what he is feeling here." So behalten die Charaktere auch ein gewisses Maß an Eigenständigkeit.
Daß Chase den Respekt verdient hat, den ihm sowohl Crew als auch Sender entgegenbringen, beweisen die Qualität seiner Arbeit und der unglaubliche Erfolg der Serie. Die Zahl der Zuseher wuchs ständig. (Immerhin waren es zu Beginn von Staffel vier 13,4 Millionen!). Dennoch ist Chase alles andere als ein Typ, der sich angesichts dieses Triumphs in seinem Sessel zurücklehnt. Steve Van Zandt in der Rolle des Sil Dante - er ist übrigens eigentlich kein Schauspieler, sondern Rockmusiker bei Bruce Springsteens E Street Band und hat außerdem eine eigene Band namens Little Steven and the Disciples of Soul - sagt über ihn: "If enjoying success is fucking a bunch of starlets, developing a cocaine habit, opening a couple of restaurants, buying a golf course - in that sense, he´s not handling success very well."
Chase ist ein Getriebener, der nicht schnell zufrieden ist. Wahrscheinlich hat man deshalb bei keiner der Staffeln - wie sonst oft - das Gefühl, daß langsam die Luft draußen ist. Stattdessen gibt es immer noch eine Steigerung. Jetzt will er sich Richtung Spielfilm steigern; das war es schließlich, was er immer schon machen wollte, und dank der "Sopranos" kann er das jetzt auch.
Wir wünschen ihm viel Glück - aber das braucht er eigentlich nicht. Er hat´s sowieso drauf.
Tina Glaser
Kommentare_
Super Artikel. Endlich mal nicht nur oberflächliches Bla Bla.
danke für diesen Text !