Stories_Porträt: Dan Simmons
Herr des Schreckens
Anläßlich des neuen Romans von US-Nervenkitzler Dan Simmons knöpft sich Martin Compart nicht nur "Terror" vor, sondern auch gleich das restliche Œuvre des literarischen Allrounders.
03.04.2008
Eines sei gleich zu Anfang eingestanden: Mit der hochgelobten Science Fiction von Dan Simmons kann der Autor dieser Zeilen nichts anfangen; sie geht ihm - wie man in Fachkreisen gerne sagt - am Arsch vorbei. (Er gehört ja auch zu den Ignoranten, die sowieso nur Steampunk, Ballard, Farmer, Dick, - schluck - van Vogt und ein paar andere SF-Autoren regelmäßig lesen ...) Doch auf so ziemlich alles andere, was Simmons regelmäßig an Literatur liefert, steht er gewaltig. Und das neue Simmons-Buch "Terror", ein historischer Roman mit übernatürlichen Einschüben, ist ein absoluter Geniestreich. Hervorheben muß man ausnahmsweise auch die vom Heyne-Verlag neu gestaltete Edition, die das gelungene Cover der US-Ausgabe nutzt. Da macht es richtig Freude, das Buch eines Lieblingsautors in die Hand zu nehmen und es von seiner Plastikhülle zu befreien.
Was dann kommt, weiß man schon im vorhinein: Der Tag ist gelaufen. Dan Simmons und sein dickleibiger Schmöker übernehmen die Kontrolle über die kommenden Stunden - da haben weder Telefon noch Internet oder DVDs eine Chance; das älteste Massenmedium der Welt siegt wieder einmal im heroischen Kampf um den guten Geschmack. Nicht einmal die Vorauswahl von "Deutschland sucht den Superstar" (die sich jeder ansehen sollte, der one man, one vote für eine Voraussetzung der Demokratie hält), kann da mithalten. Um geistig gesund zu bleiben, muß man sich eben öfters in Bücher versenken, die die Kraft der Phantasie mobilisieren und unser reiches Innenleben abrufen. Und das beherrschen die Werke von Dan Simmons ganz vortrefflich.
Mit "Terror" wagt er wieder einen großen Wurf: Es geht um die dritte Franklin-Expedition, die 1845 die Nord-West-Passage suchte. Beide Schiffe, die HMS Erebus und die HMS Terror, verschwanden seinerzeit mit 130 Mann Besatzung spurlos. Ihr Schicksal ist bis heute ein ungelöstes Rätsel - aber nicht für Simmons-Leser. Auf 990 Seiten zieht der Meister wieder alle Register und macht uns einmal mehr klar, warum wir ihn lieben. Im Vergleich zu seinen literarischen Delirien wirken die meisten zeitgenössischen Horrorautoren wie Schulhofkrakeeler. Seine Art der weird fiction steckt voller Szenen, die man nicht so schnell wieder vergißt.
Simmons´ erstes Buch, "Göttin des Todes" - das einzige Debüt, das je den World Fantasy Award gewann -, war eher ein exotischer Abenteuerroman mit Horrorelementen. Neun Wochen hatte sich Simmons in Indien aufgehalten und ein Schauerszenario der Stadt Kalkutta abgeliefert, dessen marternde Worte den Leser erbarmungslos foltern. Wer dachte, der gruseligste Ort der Welt sei der Bundestag, wird hier eines Besseren belehrt. Die Darstellung Kalkuttas als Höllenloch ist eines Dante Alighieri würdig: eine Stadt, gegen die die Welten von "Blade Runner" oder "Alien" wie friedliche Vororte wirken.
Zur weird fiction kehrte der Autor übrigens immer wieder zurück: "Kinder der Nacht" ist ein moderner Vampirroman, der zu den besten seiner Art gehört und neue Volten in einem abgenutzten Genre schlägt. Dabei sind die beschriebenen Zustände in Rumänien fast grauenhafter als der eigentliche Horror. "Kraft des Bösen" wiederum ist ein unglaublicher Genre-Mix aus Horror, Conspiracy, Polit-Thriller und Hollywood-Roman.
Es beherrschte anderthalb Jahre mein Familienleben. Es war eine schreckliche Zeit. Alles wurde dem Buch geopfert. Es war die intensivste Erfahrung des Schreibens, die ich je machte.
"Sommer der Nacht" ist sein dickleibiger Stephen-King-Roman - eine weitere Facette des Chamäleons Simmons, in der er die Kindheit in der amerikanischen Provinz der 60er Jahre mit Horror verbindet. Im Sequel "A Winter Haunting" kehrt dann einer der Protagonisten 40 Jahre später an den Ort des Schreckens zurück. Dan Simmons - und das ist eben das Originelle an ihm - zeigt darin die psychischen und emotionalen Nachwirkungen der grauenhaften Erfahrung. Als einer der vielseitigsten zeitgenössischen Autoren hat er in fast allen Genres gearbeitet, von SF über Fantasy, Horror, Polit-Thriller und Krimi bis zum Mainstream.
Unterschiedliche Genres sind wie unterschiedliche Spezies am Baum der Evolution. Ich weiß, wie sauer Leser reagieren, wenn der Autor die Genre-Regeln nicht kennt. Ich kenne sie, weil ich all diese Genres liebe und lese. Jeder, der sein ganzes Leben lang nur dasselbe Genre liest, ist ein Idiot. Für einen Verleger ist das natürlich ein Alptraum. Er kann mir nicht ein bestimmtes Etikett aufkleben und mich damit vermarkten.
Kein Schriftsteller hat in so vielen Grenres so markante Duftmarken gesetzt. Ein solches Kaliber ignoriert man nur auf eigene Gefahr. Als einzige Schwäche bei manchen seiner voluminösen Epen offenbaren sich unnötige Subplots, die die Romane dicker machen, aber die Handlung oder Charaktere nicht voranbringen. Sein vermeintlich einfacher, direkter und schnörkelloser Stil ist trotzdem äußerst effektiv.
Je komplexer die Story, um so simpler sollte der Stil sein und umgekehrt.
Dan Simmons wurde 1948 in Illinois geboren. Er studierte Englisch und wurde überzeugter Grundschullehrer. Wie es sich für derartige Biographien gehört, war er von klein auf ein begeisterter Leser populärer Literatur.
Einige SF-Storys machten mir deutlich, daß der Kapitalismus nicht so toll ist, wie ich dachte.
Heute lebt er mit seiner Frau Karen und seiner Tochter Jane in Colorado. In den 70er Jahren hatte er vergeblich versucht, SF-Kurzgeschichten zu veröffentlichen. Bevor er die Schreiberei endgültig an den Nagel hängte, machte er 1981 einen letzten Versuch und ging zu einem Workshop, in dem unter anderem der legendäre Harlan Ellison unterrichtete. Ellison erkannte sofort Simmons´ Talent und drohte ihm physische Gewalt an, wenn er das Schreiben aufgäbe.
Ich nahm diese Drohung ziemlich ernst. Was er tatsächlich meinte, war, daß Schreiben eine Unumgänglichkeit ist und mir keine andere Wahl blieb.
Kurz darauf verkaufte er seine ersten Kurzgeschichten. 1987 hatte er so viele Preise eingesackt und Bücher verkauft, daß er schließlich Berufsschriftsteller wurde. Inzwischen veröffentlicht er in 30 Ländern.
Schon direkt nach seinem Erscheinen wurde "Hyperion" zu einem SF-Klassiker und verkaufte bis heute über eine Million Exemplare in 20 Sprachen. Der Roman ist nach den "Canterbury Tales" strukturiert und beschreibt eine Reise durch die Galaxis aus der wechselnden Perspektive von sechs Personen, die ihre Geschichte erzählen. Jeder dieser Berichte ist stilistisch unterschiedlich und präsentiert eine bestimmte Form der Science Fiction, von der Hardcore-SF bis zum Cyberpunk. Simmons erhielt dafür den wichtigsten Preis der SF-Literatur.
Ich hätte in Holland sein sollen, um den Hugo-Gernsback-Preis entgegenzunehmen, aber ich konnte es mir nicht leisten. Ich mußte den Hugo gewinnen, um genug Geld zu verdienen, daß ich zur Verleihung hätte kommen können.
Das gigantische Werk, in dem er unter anderem mit dem uralten katholischen Schwindel aufräumt, läßt sich höchstens mit C. S. Lewis, Olaf Stapledon oder David Lindsey vergleichen. Trekkies oder "Star Wars"-Fans sind wohl kaum dazu in der Lage, Schritt für Schritt in dieses Buch einzudringen - und scheitern bereits auf der ersten Seite.
In der SF zieht Simmons regelmäßig breite Spuren, ob mit herausragenden Kurzgeschichten, dem "Hyperion"-Nachfolger "Endymion" oder mit "Illium", der "Illias" als space opera. Klassische Vorlagen nutzt er überhaupt gern für seine Bücher: John Keats inspirierte ihn zu "Hyperion", Dante und T. S. Eliot finden sich in "Der hohle Mann" wieder. Wie viele wißbegierige Amerikaner (siehe Nick Tosches) kann auch Simmons nicht an sich halten, wenn es mit europäischer Bildung zu protzen gilt - ein Vorwurf, den man dem derzeitigen US-Präsidenten unter Garantie nicht machen kann ...
Als Meister des historischen Polit-Thrillers erweist Simmons sich wiederum in "Fiesta in Havanna": Aus der Perspektive des FBI-Agenten Joe Lucas erzählt er, wie Hemingway und seine Gang im Zweiten Weltkrieg auf ein Nazi-Komplott stoßen, das den Kriegsausgang verändern könnte. Die Charakterisierungen realer Figuren von Gary Cooper über J. Edgar Hoover bis hin zu Ian Fleming in dem Buch sind absolut großartig - und Hemingway selbst springt einem aus den Seiten direkt ins Zimmer. Simmons´ Auge für Details macht diesen Thriller authentisch, und die erhabenen Kommentare des literarisch uninteressierten Ich-Erzählers sind immer vergnüglich: "Hemingway hatte für diese alberne Fischgeschichte den Nobelpreis bekommen."
Inzwischen hat er auch noch eine Privatdetektivserie im Rennen, die eher an Jim Thompson und Richard Stark orientiert ist als an Raymond Chandler.
Als ich den ersten Joe-Kurtz-Roman "Hardcase" schrieb, war mein Ziel, daß kein Kapitel länger als fünf Seiten sein sollte. Und ich wollte einen Protagonisten, der so gemein ist, daß ihn nicht mal seine Mutter lieben kann. Ich schrieb das Buch in zwei Monaten.
Der bodycount in den Simmons-Krimis ist genauso hoch wie das Tempo der schwarzen Thriller. Im angekündigten vierten Teil der Serie soll Kurtz dann ins Gras beißen.
Aber auch das werden wir Leser überleben. Aus diesem Schriftsteller, der Genre-Meisterwerke auf Bestellung liefert, ist nämlich noch viel mehr herauszuholen. Also lesen Sie nach, was Sie bisher versäumt haben - der Suchteffekt wird sich mit Sicherheit bald einstellen.
Martin Compart
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