Stories_Newton Thornburg - Cutter and Bone

Wo Träume krepieren

Newton Thornburgs viel zu lange ignorierter Thriller war für den heutigen Noir-Roman so wegweisend wie einst James M. Cains "The Postman Always Rings Twice" für die 40er und 50er Jahre. Martin Compart verrät, warum.    16.09.2013

"The best novel of its kind for ten years".

("The New York Times" über die Erstveröffentlichung, 1976)

 

Der Aussteiger Richard Bone kommt zehn Jahre zu spät, um den Hippie-Traum zu leben. Ihm steht nur noch eine fragwürdige Form der alternativen Müllkippe zur Verfügung. Trotz gelegentlicher Zweifel zieht er diese aber der systemimmanenten Karriere vor, die er hinter sich gelassen hat: "Er war sich mit dreißig plötzlich wie ein eingesperrtes Tier vorgekommen. Aus irgendeinem Grund war seine Frau Ruth zu einer Personifizierung unüberbietbarer Langeweile geworden, eine Glucke, die höllisch über ihr kostbares Küken wachte. Was zwischen ihnen an Sex vorkam, war im Grunde nur gegenseitige Masturbation, bei der sie ihm jede zweite oder dritte Nacht ihren Körper als eine Art Auffangbecken überließ ... Mit einem Mal sah er das üppige Büro und die ach so beneidenswerte Position nur als eine Treppe, die keineswegs zu schönen und besseren Dingen führte."

Richard Bone ist der Protagonist des Romans Cutter and Bone, den der Autor Newton Thornburg in der dritten Person fast ausschließlich aus Bones Blickwinkel erzählt. Er lebt als Strand-Casanova in Santa Barbara und ernährt sich von den Zuwendungen begatteter Frauen, kleinen Jobs und der Großzügigkeit von Bar-Betreibern.

Bone verbindet eine merkwürdige Freundschaft mit dem invaliden Vietnamveteranen Alex Cutter, der in seiner Desillusioniertheit, gepaart mit Zynismus und Selbstmitleid, bereits in der heraufdämmernden Zeit der nächsten Jahrzehnte angekommen ist. Cutter, dessen nur mehr von Drogen aufrechtgehaltene Frau Mo ("So fraß Mo morgens, mittags und abends nichts als diese Tabletten - nicht zu viele, aber genug, um dem Leben die scharfen Kanten zu nehmen") und sein kleiner Sohn krebsen ebenfalls am Existenzminimum herum. Cutters Kaputtheit belastet die Ehe genauso wie andere menschliche Kontakte: "Ich bin wahrscheinlich einer der wenigen Gesunden. Ich sehe das Leben, wie es ist. Und Verzweiflung gegenüber dem Leben ist die einzig gesunde Haltung, die es gibt." Vietnam hat beide zerstört - bei Bone war es noch dazu die Logistik, das Marketing für ein System, das diese Kriege braucht. Die enttäuschten Veteranen des Krieges und der Revolte verlieren sich an Drogen, Zynismus und Apathie. Cutter und Bones "Heldentum" besteht darin, über den Tag zu kommen, indem sie genug Betäubungsmittel auftreiben.

In einer Regennacht beobachtet Bone zufällig, wie ein Mörder die Leiche einer jungen Frau beseitigt. Er meint, den Täter in einem Zeitungsbild wiederzuerkennen - bemerkenswerterweise an der Arroganz, die sich in dessen Körperhaltung ausdrückt. (Und hier sind wir Lichtjahre vom klassischen Detektivroman entfernt ...) Es handelt sich um den ekeligen Wirtschafts-Tycoon J. J. Wolfe. Zusammen mit der Schwester der Ermordeten beschließen Bone und Cutter, ihn zu erpressen. Nur Bone kommen Bedenken: "In dieser Welt, dieser Grube aus Pisse und Elend! Da hältst du es für unmoralisch, von so einem mörderischen Philister wie Wolfe ein bißchen tägliches Brot zu borgen?" Wolfe gehört zu den Wirtschaftsharpyien, die nach dem ersten Ölschock begierig die Globalisierung anvisieren. Für Cutter symbolisiert er den schuldigen Kapitalisten, schuldig am Krieg, der sein Verhängnis wurde, und schuldig an den systemimmanenten Verbrechen, die Umwelt und Menschen ins Verderben stürzen. Ob er der Mörder der jungen Prostituierten ist, bleibt dabei bis zum Ende unklar.

Wie bei allen Noir-Autoren ist die Pazifikküste kein Ort, an dem die Träume wahr werden, sondern der Ort, an dem sie jämmerlich krepieren. "Gott, er haßte Kalifornien, diese überbevölkerte Theaterlandschaft, wo Amerika unermüdlich Zukünftiges ausprobierte und gleich wieder auswechselte; da blieb nie etwas lang im Verkaufsangebot." Kalifornien ist lediglich die letzte Grenze der Lügen und Hoffnungen. Oder wie es Lew Welch in The Song Mount Tamalpais Sings ausdrückte: "This is the last place. There is nowhere else to go."

Die Titel-"Helden" lösen Mechanismen aus, die ihre Welt endgültig zur Jauchegrube der Sixties machen. Anders als die Verfilmung von Ivan Passer (1981 als Cutter´s Way) endet der Roman im völligen Nihilismus. Nach den Hoffnungsträgermorden, nach Altamont und Charles Manson sind die am Tunnelende (um mal wieder eine meiner Lieblingsmetaphern zu gebrauchen) geschwenkten Feuerzeuge endgültig erloschen. Thornburg reflektiert, daß individueller Aktionismus, ob von den Weathermen oder etwa der Baader-Gruppe, zu keiner politischen Lösung führen kann, aber sehr wohl die faschistischen Elemente des Systems beflügelt.

 

Der 1976 erstveröffentlichte Roman spiegelt eine Zeitenwende der westlichen Kultur, speziell der amerikanischen Gesellschaft: nämlich die Katerstimmung nach der kurzen Phase der Euphorie, die in den 1960er Jahren eine gerechtere Ordnung suggerierte. Mitte der Siebziger sind die Ideale verglüht, statt Marihuana hat der Markt härtere Drogen durchgesetzt, und jeder sieht zu, wo er noch einen Platz findet.

Es ist die Zeit zwischen Watergate und Reagan, das Todeszucken der 60er-Rebellion, bevor die Neo-Cons im darauffolgenden Jahrzehnt damit begannen, den Planeten endgültig zugrunde zu richten. "Die Aktienkurse waren schon seit geraumer Zeit gefallen und unbeständig, die Arbeitslosenzahl stieg, und in jeder Bar hockten Pessimisten, die eine Katastrophe vorhersagten." Die Erinnerung an den ersten "postmodernen Krieg" verdeutlicht den Beginn der neuen Phase des amerikanischen Imperialismus (vorbereitet seit den 1940ern, wie die "Pentagon Papers" belegen). Der Vietnamkrieg war viel zu unpopulär, um ihn durch höhere Steuern zu finanzieren. Er war der Anfang der Schuldenspirale, die sich bis heute immer schneller dreht und nur durch extreme Aggression des Establishments nach außen und innen aufrechterhalten werden kann. "Cutter and Bone did come out strongly against the Vietnam war", wie Newton Thornburg einmal schrieb. "So to that extent I don´t mind it being (interpreted as) leftist.”

Neben Crumleys Romanen (Pelecanos zählt auch noch Kem Nunn dazu) war es wohl Newton Thornburgs Meisterwerk, das für die amerikanische Noir- Literatur der nächsten Jahrzehnte richtungweisend war, indem es diese Kulturwende thematisierte und das Kommende antizipierte. Woody Haut nennt den Autor bewußt und mit bestechender Argumentation im direkten Zusammenhang mit Robert Stones "Dog Soldier", eine der Noir-Fanfaren für die 1970er.


Thornburg: "I´ve never considered myself a pure crime writer. 'Cutter and Bone' is a straight novel, no matter how you look at it - strong characterisations, simple plot. I don´t like novels with private eyes you know, formula ones. I like crime stories, but I like them to be about ordinary people, not crime professionals."

 

Ekkehard Knörer schrieb über den Roman: "Einzig die Romane Cormac McCarthys lassen sich mit Thornburgs Meisterwerk vergleichen. Auch in seiner freilich weniger wuchtig daher kommenden Sprachgewalt muß sich Thornburg vor McCarthy nicht verstecken, ihm gelingen so präzise wie (im besten Sinne) poetische Momentaufnahmen. Der Katastrophe wie des Glücks, das bald vorüber sein wird. Der Schuld, die nichts als Sprachlosigkeit zurückläßt. Der untergründigen Bedrohung, der die Katastrophe unweigerlich folgen wird."

Ich sehe stilistisch zwar wenige Gemeinsamkeiten mit Cormac McCarthy, aber zweifellos ist der Roman ein literarisches Ausnahmewerk, das diesen Vergleich nicht zu scheuen hat. Cutter And Bone funktioniert auf mehreren Ebenen, beschreibt unter dem überspannenden Dach der Melancholie viele Stimmungen. Kein falsches Wort und nur richtige Sätze, die vom Leben selbst berührt sind. Ein großer Noir-Roman und ein großer Roman des 20. Jahrhunderts, dem die Zeit nichts von seiner Wahrhaftigkeit nehmen kann. Cutter, Bones und Mo sind Figuren der Weltliteratur, die man nie vergißt und die echter sind als so manche Büro- oder Kneipenlemuren, denen man im Paralleluniversum des "wirklichen Lebens” begegnet.

"Regardless of how they finish the novel, Cutter and Bone bear the burden of future noir protagonists, whose fate will be to investigate the culture whatever the cost." (Woody Haut in "Neon Noir").

Der Ethos des Wilden Westens ("erst schießen, dann fragen") wurde durch den Vietnamkrieg zu einer Lizenz zum Töten für Soldaten, Cops, Vigilanten und Psychos. Das spiegelt sich in der Popkultur der 1970er wider, von Filmen wie Dirty Harry bis zu Paperback-Original-Serien wie The Executioner.

Es war Nachhall und Erinnerung an den Vietnamkrieg, der die westlichen Gesellschaften spaltete und eine der Hebammen der modernen Neo-Noir-Kultur war. Die dunklen Mächte, die uns ins Verderben jagen, sind ausgemacht; nun betrachtet man fatalistisch ihre Zerstörungswut.

 

 

"I always thought the characterization and cast was good. But the plot broke down halfway through. I think the characterisations are fine, the main characters and so on. But before the end, it just got absurd." (Thornburg)

Martin Compart

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