Stories_Cultural Hacking

Gelb ist alle Theorie

Sein gelbes Wunder erlebte man kürzlich im Rahmen der Aktion "Delete!" in der Wiener Neubaugasse. Das passende Buch dazu gibt’s auch schon: "Cultural Hacking" macht Lust auf Subversion.    04.07.2005

Wer kürzlich durch die Wiener Neubaugasse schlenderte, wird sich womöglich verwundert die Augen gerieben und gefragt haben, ob ihn oder sie eine Art optischer Gelbsucht erfasst hat. Der Grund dafür war eine "Cultural Hacking"-Aktion, die für erhebliche Aufmerksamkeit sorgte, und zwar nicht nur im Weichbild der Stadt, sondern auch in den Medien (etwa Schwerpunktthema im "Album" des "Standard"). Dabei wurden sämtliche Werbeschriftzüge und Markenlogos in der Wiener Einkaufsstraße mit gelben Tuch verhängt. Die Aktion unter dem Namen "Delete!" mag bei manchem Passanten einen Nachdenkprozess in Gang gesetzt haben, wirklich zu löschen vermochte auch sie jene Markierungen nicht, die Betriebe und Produzenten im urbanen Raum hinterlassen. Beispielsweise ließ das "gelöschte" Fisch-Logo vor einem Fast Food-Filialisten immer noch erkennen, welche Kette sich dahinter verbarg. So erstaunt es auch nicht weiter, daß sich die Geschäftsleute der Neubaugasse geschlossen an der Aktion beteiligten: Marken leben von Aufmerksamkeit, und davon erhielten sie dank "Delete!" letztlich sogar deutlich mehr als sonst.

Damit ist ein Problemfeld angesprochen, das auch in einem von Thomas Düllo und Franz Liebl herausgegebenen Sammelband zum "Cultural Hacking" thematisiert wird. Wie ist eine subversive Unterwanderung der Muster von Werbung und Konsum noch möglich, wenn gerade Erstere auf reiner Aufmerksamkeitsökonomie beruhen. Jede Aktion erhöht letzten Endes die öffentliche Aufmerksamkeit und verstärkt damit die ursprünglich beabsichtigte Wirkung. Weshalb sich Benetton in in berühmt gewordenen Werbeplakaten in der Vergangenheit überhaupt gleich selbst hackte (z.B. mit einem Hinterteil mit "H.I.V. Positive"-Stempel). Etwas radikaler sind allerdings schon noch echte Hacker wie Tom Sachs, der Guillotinen und Zyklon B-Behälter mit dem Chanel-Logo versah.

Was sich hinter dem neudeutschen Ausdruck des Cultural Hacking verbirgt, ist eine Verfremdungsstrategie, die in Avantgarde-Gruppierungen wie Dada oder der Situationistischen Internationale ihre Vorläufer hat. Die Techniken umfassen Camouflage (eine harmlos erscheinende Oberfläche täuscht über den brisanten Inhalt hinweg), Fake, subversive Affirmation (aufgefundene Muster werden verstärkt und so bloßgestellt), Collage, Montage und Umdeutung. Letzteres praktiziert etwa auch der Konsument selbst, der ein Produkt in zweckentfremdender Weise einsetzt.

Klingt trocken, kann aber mitunter spaßig oder auch lehrreich sein. Interessanterweise liefern die Autoren des vorliegenden Buches nicht nur eine Systematik möglicher Techniken des Cultural Hacking, sondern eigentlich auch schon fast so etwas wie eine Gebrauchsanweisung, indem sie beispielhaft und im Detail beschreiben, wie besonders wirkungsvolle Aktionen zu inszenieren sind. Wobei gerade die Grenzen zwischen angewandtem Situationismus und den hirnlosen Spaßetteln der MTV-Generation mitunter fließend sein mögen: So ist in den Gazetten derzeit vom Trendsport des "Happy Slapping" zu lesen. Happily geslappt wird offenbar, wer unverhofft auf offener Straße eins auf die Nase bekommt. Eine Idee, die ursprünglich aus Heimito von Doderers "Die Merowinger" stammt und dort mit dem etwas sperrigeren Namen "arbiträr plautzen" umschrieben wird. Die Happy Slappers haben sich aber natürlich nicht an Doderer inspiriert, sondern - wie sie selbst versichern - an "Jackass".

Den theoretischen Grundstock zur "Kunst des Strategischen Handelns" lieferte nicht zuletzt auch Boris Groys, der im Künstler der Zukunft weniger einen Produzenten als einen vorbildlichen Konsumenten sah. Produziert werden demnach statt Kunstwerken neue Haltungen, Konsummuster und Wünsche. Aufgegriffen wurden viele der neuen Kulturtechniken in der Folge u.a. von Musikgruppierungen wie den Sex Pistols oder Laibach. Auf die Spitze trieb das freilich die Anarcho-Punk-Band C.R.A.S.S., die in Hochzeitsmagazinen Gutscheine für Gratis-Schallplatten mit einem "romantischen Song über den schönsten Tag im Leben" anbot.

Natürlich sind nicht alle in diesem Band versammelten Essays gleichermaßen leichtgängig. Auch manche Sozialwissenschaftler haben es sich offenbar längst in ihren üppig mit unverständlicher Terminologie ausstaffierten Wohnzimmern bequem gemacht. Trotzdem ist "Cultural Hacking" ein Buch zum Schmökern und zum Nachsinnen, das mit den teils obstrusen, teils originellen Ideen von Aktivisten bestens unterhält, angenehmerweise das Beschriebene auch illustriert und zudem - auch wenn dies nicht in der Absicht der aus dem akademischen Umfeld kommenden Autoren gelegen sein mag – zur Subversion einlädt.

Reinhard Ebner

Thomas Düllo, Franz Liebl (Hrsg.) - Cultural Hacking. Kunst des strategischen Handelns

ØØØØ


Springer (Wien 2005)

 

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