Charles Williams im Web
Stories_Porträt: Charles Williams
Von den Backwoods zur Hochsee
Seine Plots waren oft besser als die von Thompson oder Goodis, seine Weltsicht genauso düster und seine Figuren umwerfend: Martin Compart würdigt den texanischen Noir-Autor Charles Williams. 03.06.2013
Es fängt mal wieder ganz harmlos an: Der heruntergekommene Ex-Footballer Lee Scarborough muß sein Auto verkaufen und gerät dabei an die attraktive Madelone Butler. Und die schlägt ihm ein windiges Geschäft vor. Er soll in ein Haus einbrechen und die versteckte Beute aus einem Raub holen. Und damit geht die Party natürlich erst richtig los.
A Touch of Death ("100 Meilen Angst" bei Heyne, 1968) gehört zu den düstersten Romanen von Charles Williams. Es ist vielleicht sogar der Roman mit der schlimmsten femme fatale aller Zeiten. Williams´ Frauenfiguren haben weniger mit den üblichen gefährlichen Ladies der Pulps und Paperback-Originals gemein, als daß sie die "Heldinnen" in Neo-noir-filmen wie "Last Seduction" (1994) von John Dahl oder Lawrence Kasdans "Body Heat" (1981) vorwegnehmen. Sie sind emanzipiert und absolut skrupellos. Und Williams dämonisiert sie nicht, sondern versucht sie zu verstehen. Die Frauen sind in seinen Büchern die komplexeren Wesen, die seine begrenzten Ich-Erzähler weder begreifen noch durchschauen.
Williams männliche Helden, abgesehen von denen aus den Hochsee-Romanen, sind meistens die typischen Noir-Figuren: von Gier beherrschte, zur Gewalt neigende Gescheiterte aus der Arbeiterklasse oder der unteren Mittelschicht. Ihrer einstigen Hoffnungen beraubt, sind sie dazu bereit, eine Menge Risiken einzugehen, um einmal an das große Geld und eine Sexgöttin zu kommen. Sie sind keine primitiven Machos, aber selten dazu in der Lage, die Manipulationen durch die Frauen zu durchschauen. Einer der durchgehenden Subtexte in Williams´ Romanen ist, daß der Held - oder Anti-Held - feststellen muß, daß er nicht die geringste Ahnung von Frauen hat, da er sie nur an seiner Denkungsweise mißt.
Man könnte Wiliams´ Plot-Technik als "Ironie des Schicksals" bezeichnen. Seine Ich-Erzähler beschreiben unsentimental jede überraschende Wendung, die ihnen (und den Lesern) zustößt. Sein literarisches Können zeigt sich auch darin, mit wie wenigen Sätzen er seinen Personen und dren Beziehungen zueinander Tiefe verleiht. Seine Vorlagen sind ein Traum für jeden Filmemacher, und zum Glück sind nach seinen Romanen einige großartige Filme entstanden. Truffauts Verfilmung von The Long Saturday Night gehört nach Ansicht des Autors dieser Zeilen nicht dazu; dieser 1962 erschienene Roman war übrigens Williams´ letztes Buch für Gold Medal. Von seinen 23 Romanen wurden jedenfalls 14 Filmoptionen verkauft und bisher 10 für das Kino verfilmt.
Scorpion Reef war Williams´ erstes Hardcover und sein erster Hochsee-Thriller. Ein Kritiker nannte diese Romane "nautic noir". Der Autor selbst war ein fanatischer Segler und Angler, dem der aktuelle Meister des Hochsee-Thrillers, der Brite Sam Llewellyn, mindestens soviel verdankt wie Dick Francis.
Hell Hath No Fury ("The Hot Spot") von 1953 war das erste Paperback-Original, das von der New York Times besprochen wurde. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn es sich bei dem NYT-Rezensenten nicht um Anthony Boucher gehandelt hätte - den einflußreichsten Kritiker der amerikanischen Kriminalliteratur, der von da an bekennender Williams-Fan war.
Am nächsten an einen konventionellen Privatdetektiv- oder Detektivroman kommt Williams in Go Home, Stranger (1954) heran. Der Protagonist versucht darin die Unschuld seiner zu Unrecht des Mordes an ihrem Mann angeklagten Schwester zu beweisen, indem er den wahren Killer sucht. Aber es sind genügend typisch Williamssche Backwoods-Elemente vorhanden, um den Roman ebenfalls zu einem herausragenden Werk zu machen.
Seine Backwoods-Thriller, die Erskine Caldwell einiges verdanken, umfassen ncht nur Noir-Thriller, sondern auch die aberwitzige Comedy Uncle Sagamore and His Girls, die Manchette für die komischste je erzählte Geschichte über Hinterwäldler hielt.
Am bekanntesten ist Charles Williams heute noch für seine Hochsee-Thriller (dank der erfolgreichen Verfilmungen von Aground und Death Calm). Daneben schrieb er erfolgreich in anderen Subgenres, etwa Southern-Backwoods, wie seine Girl-Trilogie, oder gemeine Kleinstadt- und "On the Run"-Thriller.
Er ist der große Vergessene (außer in Frankreich) der Paperback-Original-Autoren der 1950er und 1960er Jahre. Lediglich einmal war er ("Best Paperback Original" für And the Deep Blue Sea) für den Edgar nominiert.
Um Williams hat es nie einen Kult gegeben wie um Jim Thompson oder David Goodis. Warum, ist schwer zu begreifen: Seine Plots sind oft besser, seine Weltsicht genauso düster, und seine Figuren sind umwerfend. Vielleicht liegt es daran, daß der Autor keinen so in sich geschlossenen psychopathischen Kosmos beschreibt wie Thompson oder Goodis. Er beschildert die erkennbare Realität der amerikanischen Gesellschaft eher aus einer cooleren Perspektive, ohne deshalb ihre Verkommenheit auszusparen. Das gibt seinen Büchern eine zeitlose und moderne Dimension, die Goodis oder Thompson fehlen (mit äußerstem Verlaub gesagt). Seine Thriller sind oft Action-orientierter und haben mehr überraschende Handlungswendungen als fünf gute PO-Thriller zusammen. Im Grunde schrieb er bereits Neo-Noir, als Goodis und Thompson noch Noir-Klassiker verfaßten. Ed Gorman, der als erster einen Essay über Williams schrieb, bezeichnete ihn als den besten aller Gold-Medal-Autoren.
"Nobody can make violence seem more real."
John D. MacDonald
Charles Williams wurde am 13. August 1909 in San Angelo, Texas, geboren. Er hatte vier Brüder. San Angelo hatte damals keine 10.000 Einwohner und lebte von Rindern, Schafen und Öl. Die Kleinstadt über dem Fluß sollte später in den unterschiedlichsten Formen in vielen seiner Thriller beschworen werden - genauso wie die texanischen Backwoods. Wahrscheinlich begann hier in seiner Jugend seine andauernde Leidenschaft fürs Fischen und Leben in der Natur.
Williams ging 1929 für zehn Jahre zur Handelsmarine, wo er sich auf Radiotechnik spezialisierte und vor allem als Funker arbeitete. Indem er um die Welt fuhr, entkam er der wirtschaftlichen Depression. Seine Liebe zum Meer hielt ein Leben lang an und inspirierte ihn zu seinen exzellenten Hochsee-Thrillern. Nachdem er 1939 Lasca Foster geheiratet hatte, arbeitete er bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs für RCA und andere Firmen. Dann ging er mit seiner Frau nach San Francisco, wo er bei Mackay Radio arbeitete, bis 1951 sein erster Roman Hill Girl erschien. Damals war er bereits 41 Jahre alt. Der Roman war ein Riesenerfolg und verkaufte mehr als zwei Millionen Exemplare.
Ihm folgte sein erster "On-the-run“-Thriller: Big City Girl. Williams arbeitete von nun an als Schriftsteller und Drehbuchautor; anfangs natürlich ausschließlich für die Paperback-Originals. Ray Banks bemerkte, daß er von den PO-Klassikern derjenige war, der die wenigsten Qualitätsschwankungen in seinen Büchern aufwies. Er zog mit seiner Familie öfters um und lebte eine Zeitlang in der Schweiz, in Peru oder in Frankreich, wo seine Romane hochgeschätzt wurden; auch als Drehbuchautor war er dort gefragt. Für Nothing in her Way erhielt er 1956 den "Grand prix de littérature policière". Die Franzosen taten einmal mehr für Williams das, was sie auch für Goodis, Thompson und einige andere Noir-Klassiker getan hatten: sie hielten ihn lieferbar, als in seinem Heimatland seine Bücher nur noch in Second-Hand-Shops aufzutreiben waren. Die Franzosen verfilmten auch einige seiner Romane: Nothing in her Way mit Belmondo und Jeanne Moreau unter der Regie von Marcel Ophüls (1963) war die zweite Williams-Verfilmung nach "The Third Voice" (1960) von Hubert Cornfield (basierend auf All the Way).
Anfang der 1970er Jahre starb seine Frau an Krebs. Williams kaufte etwas Land an der Grenze zwischen Oregon und Kalifornien und wohnte dort in einem Trailer. Er konnte zwar fischen, aber nichts mehr schreiben. Also zog er 1972 nach Los Angeles, wo er an einigen Drehbüchern mitarbeitete. In den letzten zwölf Jahren seines Lebens schrieb er nur noch drei Romane; sein Erfolg war in den USA bereits in den Sechzigern verblaßt.
1975 setzte er seinem Leben ein Ende und erschoß sich. Im selben Jahr gab es noch eine Verfilmung eines seiner Werke: "The Man Who Would Not Die", nach dem Roman The Sailcloth Shroud. Charles Williams wurde am 7. April in seinem Apartment in Van Nuys tot aufgefunden.
Mord mit Geschmack
Hard Case Crime
Wirklich guter Krimi-Stoff, Marke dunkelschwarz, ist hierzulande rar geworden. Da kommt die Übersetzung der US-Reihe Hard Case Crime gerade recht: Hardboiled-Romane, die nicht nur tödlich spannend sind, sondern dank verlegerischen Rückgrats auch noch höllisch gut ausschauen.
Endlich mal was G´scheit´s, meint Martin Compart.
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