Stories_100 Years of Frank Sinatra, Part II

Jaulende Krämpfe in der Nacht

Vergewaltigt Bob Dylan den großen Sinatra? Oder ehrt er ihn - auf seine ganz spezielle Art? Sinatra-Experte Max Neissendorfer hört sich für uns das neue Zimmermann-Album "Shadows In The Night" an.    05.03.2015

Im heurigen Dezember wäre Frank Sinatra 100 Jahre alt. Den erfolgreichsten Sänger des vergangenen Jahrhunderts werden in den nächsten Monaten wohl viele Kollegen ehren. Zwei tun das bereits jetzt: Max Neissendorfer und Bob Dylan nähern sich dem Ausnahmesänger - und der EVOLVER bringt die beiden Künstler zusammen.

Lesen Sie hier den ersten Teil dieser musikalischen Reise durch die Nacht.

 

 

Sechster Song: "Some Enchanted Evening"

"Wird die Platte besser? Oder hab´ ich mich nur daran gewöhnt? Nach oben hin hat Dylan stimmlich ziemlich Probleme, er sollte darauf verzichten, sich so hoch aufzuschwingen. Wenn er in einer für ihn bequemen Range singt, verleiht er dem Ganzen eine interessante Note; dann funktioniert das auch, dann kriegt er auch die Melancholie der Stücke rüber. Frank hält hier ganz bewußt die Stimme, akzentuiert so die Melodie, das geht bei Dylan ein bisserl unter. Aber wie gesagt, in seiner eigenen Tonlage ist das schon gut, ich glaube aber, er ist zu bemüht - und weniger er selbst."

 

Siebter Song: "Full Moon And Empty Arms"

"Die Lieder, die Dylan hier singt, stammen in Sinatras Version fast alle aus den fünfziger und sechziger Jahren. 'Full Moon' ist da eine Ausnahme - es ist, wenn ich mich recht erinnere, aus dem Jahre 1945. Der junge Frank konnte damit auch nicht so viel anfangen. Danach wurde es von irgendwelchen Hobbytenören interpretiert. Das Stück wartete also darauf, entdeckt zu werden. Und wäre nicht die jaulende Gitarre, dann wäre es wirklich OK. Aber diese Klampfe nervt und unterstreicht das Monotone."

 

Achter Song: "Where Are You?"

"Die Frage müßte eher 'Wo wäre ich jetzt lieber?' lauten. Dylan kommt aus der Tiefe des Raumes, also der freien Wildbahn. Irgendwie klingt er wie der Typ, der sich jeden Abend unter der Brücke vier Flaschen billigen Wermut aufs Zäpfchen gießt und dann wehmütige Lieder von Sehnsucht und besseren Zeiten singt. Er muß sie schon gescheit vermissen, da in seinem Jammertal. Aaaaaaaaaaaa!"

 

Neunter Song: "What I´ll Do"

"Waddle? Gab´s da nicht mal einen englischen Fußballspieler namens Chris Waddle? Der ist sicher nicht gemeint, auch, wenn Dylan 'what´ll' so betont, daß man es glatt für möglich halten würde. Es darf natürlich jeder Sinatra interpretieren, Frank kann sich nicht wehren. Selbst dem Schlagersänger Patrick Lindner hat es niemand verboten. Bei Dylan ist aber tatsächlich zu erkennen, daß er die Musik lebt, sie nicht einfach nur covert. Hier ist ein Fan, der Frank die Ehre erweist. Ob das 'The Voice' gefallen hätte, ist aber sehr fraglich. Übrigens hat Sinatra selber, soweit ich informiert bin, nie einen Song von Dylan aufgenommen - aber eine sehr schöne Version von Paul McCartneys 'Yesterday'."

 

Zehnter Song: "That Lucky Old Sun"

"Das Stück paßt schon zu Dylan. Es ist sowieso auch als Country-Song bekannt, etwa in Aufnahmen von Willie Nelson oder Johnny Cash. Aber das Lied haben schon so viele gesungen - Ray Charles, Aretha Franklin, Sam Cooke, Louis Armstrong -, daß es eigentlich nichts mehr hinzuzufügen gibt. Barmherzigerweise hat sich Dylan bei der Länge der CD an die LP-Vorgaben von früher gehalten. Das Werk ist also recht kurz.

Mein Fazit: 'Shadows In The Night' ist zu bemüht, Dylan strengt sich zu sehr an, richtig zu singen. Mir hätte es besser gefallen, wenn er den 'lonesome motherfucker' gegeben hätte, den er sonst drauf hat. Na, und insgesamt ist die CD einfach zu eintönig, immer derselbe Groove, dasselbe Arrangement ... Das Ergebnis klingt morbid und wirkt leicht zerbrechlich. Frank hätte gefragt‚ wo das Schlagzeug ist. Das fehlt, dadurch eiern die Stücke so durch. Vielleicht hat er ja flottere Stücke aufgenommen, und der Produzent meinte 'brauch mer ned'. Aber wahrscheinlich gab es gar keinen Produzenten."

 

Zum Vergleich hören wir im Anschluß "Duquesne Whistle" aus dem Vorgängeralbum "Tempest", und damit kann sich Max Neissendorfer schon viel eher anfreunden: "Wo sagst du, kommt Dylan her? Aus Toulouse? Das liegt in Frankreich ... Aber im Ernst: Hier klingt er authentisch, cool und messerscharf. Das Schlagzeug sorgt für Akzente, und Dylan ist präsent, hat ´ne krassere Stimme. Bei 'Shadows In The Night' ist die musikalische Umgebung zu weichgespült, das Schnarren im Gesang ist ja an sich lässig, aber er intoniert hier oft eher erbärmlich."

 

Am Ende des Musikabends gönnt sich Max Neissendorfer noch ein Glas Wein und erzählt launig von den Aufnahmen zu "A Man And His Music", der dritten CD seiner Sinatra Tribute Band. Die ist soeben erschienen und folgt den beiden erfolgreichen Werken "All The Way" und "Winter Wonderland" nach. Auch die Musiker der Sinatra Tribute Band covern die Songs aus dem Umfeld von Frank Sinatra nicht - sie zollen ihm vielmehr Tribut, indem sie die Stücke mit allen musikalischen Finessen so swingen lassen, daß sie heute noch glänzen und funkeln.

Neissendorfer ist nicht Sinatra, er kopiert ihn nicht, was auch vermessen wäre. Er ist ein famoser Sänger, der sein eigenes Leben mit den klassischen Liedern verbindet - und damit ist er Dylan dann doch wieder näher, als es beim Anhören von "Shadows In The Night" manchmal den Anschein hatte.

 

 

Manfred Prescher

Bob Dylan - Shadows In The Night

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Smi Col/Sony Music 2015

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