Stories_Porträt/Interview: Andreas Gruber, Pt. 2
Das Grauen kommt aus Österreich
Das ganze Land ist in den Klauen der sogenannten Literaturpreis-Literatur, der neben politisch korrekter Fadesse striktes Unterhaltungsverbot zu eigen ist. Das ganze Land? Nein. Ein kleines unbeugsames Dorf namens Grillenberg in Niederösterreich macht da nicht mit. Besser gesagt: Ein Grillenberger Schriftsteller namens Andreas Gruber macht da nicht mit.
Dem EVOLVER sagt er, warum.
20.03.2008
Andreas Gruber ist nicht Andreas Gruber. Mit dem gleichnamigen Filmregisseur hat er nichts zu tun.
Andreas Gruber ist Österreichs produktivster Horror/Thriller/Mystery-Autor - und mit Sicherheit der erfolgreichste. Mit den Romanen "Schwarze Dame", "Das Eulentor" und der Taschenbuchausgabe von "Der Judas-Schrein" hat er derzeit gleich drei Pageturner am Start, die sich gewaschen haben. (Lesen Sie mehr darüber im ersten Teil des EVOLVER-Porträts.)
Gruber ist ein Autor, der gleichsam hinter seinen Texten verschwindet und der Story den Vortritt läßt. Wo Schriftsteller wie Jelinek oder Houellebecq in erster Linie die eigene Befindlichkeit in den Mittelpunkt ihres Schaffens stellen (mit allen inhaltlichen und stilistischen Konsequenzen), ordnet er Stil und Erzählweise der Person unter, aus deren Sicht die jeweilige Geschichte geschrieben ist. Was nicht bedeutet, daß es ihm an Stilfertigkeit mangelte. Ganz im Gegenteil - er geht nur nicht permanent damit hausieren.
Überhaupt ist er einer, der lieber seine Kurzgeschichten, Erzählungen und Romane für sich selbst sprechen läßt. Darum hält er sich auch ziemlich bedeckt, was seine Person und sein Privatleben betrifft. Umso überraschender, daß er - natürlich für den EVOLVER - diesmal gleich ordentlich vom Leder zieht.
EVOLVER: Du bist ja einer der umtriebigsten österreichischen Autoren überhaupt. Gerade erst sind "Das Eulentor" im Blitz-Verlag sowie "Schwarze Dame" bei Festa erschienen, und dieser Tage gibt´s die Taschenbuchausgabe deines Buches "Der Judas-Schrein". Nebenbei findest du Zeit, in Anthologien und Literaturzeitschriften zu veröffentlichen, kassierst einen Preis nach dem anderen, hältst Schreibseminare ab - schläfst du eigentlich auch manchmal?
Andreas Gruber: Leider viel zu wenig. Aber aus dem ursprünglichen Hobby ist mittlerweile ein zweiter Beruf geworden, und da es so viel Spaß macht, verbringe ich viel Zeit mit dem Schreiben. Mir kommt zugute, daß ich einen 25-Stunden-Teilzeit-Job in der Controlling-Abteilung eines Pharmakonzerns habe. In der Praxis sieht das dann so aus, daß ich hauptsächlich in den ersten beiden Wochen des Monats mit dem Monatsbericht und anderen Auswertungen beschäftigt bin und den Rest mit Zeitausgleich zu Hause hinter dem Schreibtisch verbringe. Meine Frau hat sich mittlerweile daran gewöhnt, daß ich abends bis 21 Uhr vor dem PC sitze und manchmal auch samstags. Ich bin ja nicht aus der Welt, nur ein Stockwerk höher in meinem Schreibbüro, wie ich es nenne.
EVOLVER: Du lebst in Grillenberg in Niederösterreich, wie man sagt: "am Land". Welche Vorteile (denn die hat´s für dich offensichtlich) hat das Landleben gegenüber dem Stadtleben?
Andreas Gruber: Ich bin in Wien aufgewachsen, dort zur Uni gegangen und fahre mit dem Zug zwei Wochen im Monat zu meinem Teilzeit-Job ins Büro. Daher habe ich den direkten Vergleich. Das Stadtleben ist mir zu hektisch, zu laut und zu dreckig. Ich genieße die Tage zu Hause. Meine Frau und ich wohnen in einer Sackgasse, an deren Ende eine alte Mühle steht. Dahinter kommt dann ein Wanderweg, der in den Wald führt. Von meinem Arbeitszimmer sehe ich durch die Balkontür direkt auf den Mandlingbach, der durch unser Grundstück fließt. Gegenüber liegt ein Berghang, über den die Rehe im Morgengrauen wandern. Hier zu leben und zu schreiben ist das Beste, was mir passieren konnte. Mein Draht zur Außenwelt sind Funkmodem und Breitband-Internet. Ohne die wäre ich wohl so einsam wie John Denver in den Rocky Mountains.
EVOLVER: Wie ist´s bei dir mit dem Schreiben eigentlich losgegangen? Initialzündung sozusagen?
Andreas Gruber: Schriftsteller wollte ich immer schon werden, bereits als Bub, als ich mir mit etwa acht Jahren Mamas Schreibmaschine ausgeliehen hatte und fasziniert davon war, wie gedruckte Buchstaben auf dem Papier aussehen. Nach einer kurzen Phase mit etwa 21 Jahren, als ich ein paar Kurzgeschichten auf meinem ersten PC - einem 256er mit 40 MB Festplatte - verfaßte, die allesamt von den Großverlagen abgelehnt wurden, begann ich erst wieder mit 29 zu schreiben, also vor zehn Jahren. Damals lag ich über zwei Wochen mit Grippe und hartnäckiger Rachenentzündung im Bett, mir war langweilig, und ich begann wieder Stories zu schreiben, diesmal am Laptop. Jene Stories und Artikel erschienen dann in Magazinen wie "Solar-X", "Fantasia", "Phantastisch!", "Alien Contact", "Space View" oder dem "Andromeda SF-Magazin". Seitdem schreibe ich regelmäßig. Es folgten Kurzgeschichten für Anthologien, dann eigene Erzählbände und schließlich die ersten Romane. Hätte mich die Grippe damals verschont, wäre ich heute vermutlich Ganztags-Controller in einem Büro, und die Kreativität würde sich wohl darauf beschränken, die Gewinne in der Bilanz verschwinden zu lassen.
EVOLVER: Das ist das bis jetzt beste Argument gegen Grippeimpfungen, das ich jemals gehört habe. Wie bist du eigentlich ausgerechnet zur Phantastik/zum Horror gekommen? Gab´s da bestimmte Inspirationsquellen? Literatur, Film, Musik?
Andreas Gruber: Während meine Eltern schliefen, habe ich als Junge abends heimlich "Raumschiff Enterprise" im ORF gesehen. "Wickie und die starken Männer", "Raumpatrouille Orion", "Mondbasis Alpha Eins" gehörten natürlich auch dazu. Es war die typische "Wickie, Slime und Piper"-Zeit. Damals lief alles im Fernsehen, was heute im Media-Markt als Kultserie in DVD-Boxen verkauft wird. Nachdem meine Mutter erfolglos versucht hatte, mich für die Romane von Karl May zu faszinieren, entdeckte ich die "Mark Brandis"-SF-Serie im Herder-Verlag. Ansonsten hielt ich mich noch regelmäßig in den Heftroman-Tauschzentralen auf, um John Sinclair, Larry Brent und Gespenster-Krimis um einen Schilling zu ergattern. Kurz vor der Matura entdeckte ich dann die Stephen-King-Bücher, und eine neue Ära des Lesens begann für mich. 500-Seiten-Romane wie "Shining", "Es" oder "Das letzte Gefecht" - so hieß die Devise, und ich verschlang alles von King, Barker, Ludlum, Saul und Koontz, was ich in die Finger kriegen konnte. Das sind so die Sachen aus meiner Jugend, die mich geprägt haben.
EVOLVER: Genrebezogenheit scheint ja für dich von Anfang an wichtig gewesen zu sein - das ist ja eher selten in der zeitgenössischen österreichischen Literatur. Du hast einmal in einem Interview für die Zeitschrift "ETCETERA" gesagt, du siehst dich selbst durchaus als "Unterhaltungsschriftsteller". Üblicherweise gilt sowas bei vielen Literaturbetrieblern als abwertende Bezeichnung. Bei dir ist das ja eher ein Adelsprädikat ... oder?
Andreas Gruber: Ich finde nichts Schlechtes an der Bezeichnung Unterhaltungsschriftsteller, denn im Prinzip sind das ja Autoren wie John Grisham, Tom Clancy, Michael Crichton, Martha Grimes oder Mary Higgins Clark. Sie leben vom Schreiben und unterhalten mit ihrem Job ihr Publikum, ebenso wie Regisseure, Schauspieler, Musiker oder Kabarettisten.
Als Musiker oder Schauspieler eigne ich mich nicht, höchstens als Autor, und da möchte ich jene Sachen schreiben, die ich am liebsten lese. Das hat jetzt nichts mit irgendeinem Genre zu tun, sondern mit der Machart, wie ein Roman geschrieben ist. Ich meine damit lebendige, mehrdimensionale Charaktere, witzige Dialoge, eine spannende, gut recherchierte, clevere, aber trotzdem plausible Handlung mit raffinierten, überraschenden Wendungen, einen Plot, bei dem man mitdenken muß, eine interessante Erzählperspektive, in die man sofort eintaucht, und einen knappen, flüssigen Stil, den man gern liest.
Das Gegenteil davon bezeichne ich als so genannte Experimentallyrik mit intertextuellen Relationen und spielerisch literarischen Ausdrucksmitteln. Mit Sicherheit ist sowas künstlerisch wertvoll und hat seine Berechtigung im intellektuellen Literaturbetrieb - nur lese ich einen Thriller von Thomas Harris lieber als ein collagenartiges Gedicht von Isabella Kretz von Hildesheim. Ich möchte meine Leser mit Spannungsliteratur unterhalten. Darum geht es. Als Autor verstehe ich mich als kurzweiliger Erfinder, der neue Handlungen und Charaktere kreiert, die es nicht gäbe, hätte ich sie nicht erfunden. Ein Tischler ist stolz auf ein neues Möbelstück, das er entworfen und gezimmert hat - mir geht es ähnlich, wenn ich vom Verlag das Belegexemplar eines neuen Buches erhalte und die Einschweißfolie abreiße.
EVOLVER: Wieso also gibt es deiner Meinung nach kaum (gute) Genreliteratur in bzw. aus Österreich? Genauso im Film: Genrefilme sind selten, Ausnahmen wie "In 3 Tagen bist Du tot" bestätigen nur die Regel. Auch Jessica Hausner, die mit ihrem Film "Hotel" einen wunderbar gefilmten Beitrag zum Unheimlichen ablieferte, besteht - sinngemäß - darauf, "keinen Horrorfilm" gedreht zu haben und eine potentielle Erwartungshaltung des Publikums bewußt zu ignorieren. Woher kommt diese "Angst" oder dieses Unbehagen vorm Publikum bzw. dessen offenkundige Geringschätzung seitens der Schaffenden?
Andreas Gruber: Genreliteratur und Genrefilme haben seit jeher den Beigeschmack des Schmuddeligen, Niveaulosen. Viele Künstler werden gern als intellektuell bezeichnet, und je weniger das Publikum ihre Werke deuten kann, desto größer ist die Chance, daß man sie als Genies hinstellt. Die Sache kann natürlich auch nach hinten losgehen.
Im angloamerikanischen Bereich hat man allerdings keine Scheu davor, genrebezogene Filme zu drehen. Ich meine jetzt keine schablonenhaften Hollywood-Blockbuster, sondern die Werke von Independent-Regisseuren wie Robert Rodriguez, Quentin Tarantino, Vincenzo Natali, Richard Kelly, Bill Paxton, Alejandro Amenabar, Christopher Nolan, Guy Ritchie oder von französischen Filmemachern wie Jean-Pierre Jeunet. In Deutschland gibt´s vergleichbar dazu die Frühwerke von Roland Emmerich.
In der Literatur ist es ähnlich. In den USA gibt es seit den 30er Jahren Universitäten, an denen Creative Writing unterrichtet wird. Kein Bestsellerautor scheut sich davor, einen Roman mit einem handfesten, plausiblen Plot zu entwickeln. In Deutschland hat man vor ungefähr zehn Jahren damit begonnen, Schreib-Workshops zu veranstalten, und mittlerweile gibt es Autoren wie Andreas Eschbach, Kai Meyer, Sebastian Fitzek, Markus Heitz, Frank Schätzing oder Thomas Thiemeyer, die die Bestseller-Listen stürmen. Das ist Deutschlands Antwort auf die Welle von Übersetzungen, die seit Jahrzehnten den deutschsprachigen Literaturbetrieb überschwemmt. Es gibt auch gute Unterhaltungsliteratur aus anderen Ecken dieses Kontinents, wie beispielsweise Jean-Christophe Grangé aus Frankreich oder Henning Mankell aus Schweden.
Nur in Österreich scheut man sich davor, etwas Unterhaltsames fürs Publikum zu machen. Warum das so ist? Erstens denke ich, daß die Österreicher - wie üblich - immer als letzte auf eine Entwicklung aufspringen, einerseits weil sie amoi abwoatn, andererseits weil sie imma so gmiadlich san und se kan Haxn aureißn woin. Außerdem schwelgen sie immer noch so gern in der alten Tradition der Wiener Kaffeehausliteratur um 1900, die stark von Autoren wie Schnitzler, Werfel, Roth, Polgar, Kraus oder Friedell geprägt war. Meine Theorie dazu lautet: Je kleiner ein Land ist, desto mehr ziehen sich seine Künstler in die introvertierte Ecke der Intellektualität zurück, wo sie in erster Linie einmal für sich schreiben und nicht fürs Publikum.
EVOLVER: Dein im Jahr 2005 als Hardcover-Ausgabe erschienener Roman "Der Judas-Schrein" kam in der sogenannten Lovecraft-Bibliothek des Festa-Verlags heraus. Lovecraft, dessen Todestag sich 2007 zum 70. Male jährte, gilt ja als - allerdings oft mißverstandener - Säulenheiliger der Horrorliteratur sowie der Popkultur. In deinen Geschichten entdecke ich auch immer wieder das eine oder andere Lovecraft-Element. Wie ist deine "persönliche" Beziehung zu Lovecraft?
Andreas Gruber: Ich habe nicht viel von Lovecraft gelesen, sein Stil ist mir teilweise zu alt und zu staubig. Auch wenn er bis Ende der 30er Jahre geschrieben hat, stecke ich Lovecraft, für mich persönlich, in dieselbe Schublade wie Poe, Verne, Stoker oder Shelley. Es macht Spaß, manche Klassiker zu lesen, doch auf Dauer ist mir moderne Literatur wichtiger. Was Lovecrafts Einfluß betrifft, der kam eher über Umwege zu mir. Die frühen Kurzgeschichten von Stephen King, die ersten Romane von Wolfgang Hohlbein oder die Filme von John Carpenter haben deutliche Lovecraft-Einflüsse, die über sieben Ecken bis zu mir durchdrangen. Als ich meine erste Lovecraftsche Story "Duke Manor" schrieb, hatte ich von Lovecraft tatsächlich noch nichts gelesen. Erst die Rezension eines Kritikers, der die Story mit Lovecrafts Werken verglich, machte mich darauf aufmerksam.
EVOLVER: Wie sieht eigentlich dein Selbstbild als Autor aus? Du bist ja kein prononciert politischer Autor, schon gar kein parteipolitischer, aber es kommt da schon eine gewisse Haltung durch.
Andreas Gruber: Oje, das ist eine lange Geschichte. Ich versuche, mich kurz zu fassen: Bis zu meinem 25. Lebensjahr war ich bei der Sozialistischen Jugend Wien aktiv, war nicht beim Österreichischen Bundesheer, habe an der Uni gegen Jörg Haider und später gegen den Anschluß an die EU demonstriert, war Mitglied bei Amnesty und Greenpeace, bin politisch gesehen immer weiter nach links gerutscht und habe schließlich KPÖ gewählt, war ein Sympathisant der dritten RAF-Generation und habe die Werke von Lenin und Marx gelesen - das volle Programm sozusagen. Schließlich kam die niederschmetternde Erkenntnis, daß die extreme Linke genauso anti-demokratisch ist wie die extreme Rechte.
Georg Orwell hat es schön auf den Punkt gebracht: Wenn man die Demokratie liebt, so läuft die Argumentation, dann ist jedes Mittel recht, um ihre Feinde zu vernichten. Korruption zieht sich quer durch die Politik, ganz egal, auf welcher Seite man steht. Das Geschäft ist ganz einfach schmutzig, lebt von Lüge, Betrug, Vertuschung und falschen Versprechungen. Sobald man sich dort einbringt, um etwas zu verändern, muß man mit den Wölfen heulen und wird bald selbst zum kleinen Zahnrad der Maschinerie, die man eigentlich bekämpfen will. Ich habe es am eigenen Leib gespürt. Bezeichne mich von mir aus als Politikverdrossenen - aber es war für mich reiner Selbstschutz, daß ich der politischen Arbeit den Rücken gekehrt habe.
Heute halte ich es mit einem Ausspruch von Henry David Thoreau: Die beste Regierung ist die, welche am wenigsten regiert. Wenn ich heute zu den Wahlen gehe, wähle ich die KPÖ, falls sie kandidiert, falls nicht, dann die Grünen. Damit kann ich mich noch halbwegs identifizieren, alles andere ist indiskutabel. Die Politiker kassieren ab und verarschen dich nach Strich und Faden. Wenn ich den Wahlkampf mitverfolge und höre, was ein paar Grünschnäbel versprechen, die seit drei Jahren in der Politik tätig sind, würde ich am liebsten Radio und Fernsehgerät abmelden, weil ich dieselbe Scheiße schon vor zehn Jahren gehört habe. Wenn man wirklich etwas verändern will, müßte man auf Andreas Baaders und Ulrike Meinhofs Spuren wandeln und eine Bombe ins Parlament werfen - aber was kann das schöne Gebäude an der Ringstraße dafür, daß ein Haufen Hohlköpfe darin wie eine Gruppe Neandertaler fuhrwerkt?
EVOLVER: Kannst du dir vorstellen, zu einem bestimmten Ereignis, zu einer bestimmten Entwicklung literarisch Stellung zu beziehen? Oder überläßt du das lieber denen, die sich sowieso permanent zu allem und jedem äußern? "Unterschriftsteller" hat Peter Turrini diese Leute einmal - nicht ohne Selbstkritik - genannt ...
Andreas Gruber: Politisches Schreiben überlasse ich anderen, die davon überzeugt sind, etwas bewegen zu können. Durch meine Romane und Kurzgeschichten ziehen sich andere Themen, die mich mehr beschäftigen, und die ich - für mich persönlich - als wichtiger erachte: Kindesmißbrauch, religiöser Wahn, Zwangsneurosen psychisch Kranker wie das Borderline-Syndrom oder die Ohnmacht und der Kampf des Einzelnen gegen Korruption und die bürokratischen Mühlen des Systems. Das Bedürfnis, darüber zu schreiben oder diese Themen in die Romanhandlung einzuflechten, ist größer, als mich über politische Mißstände zu ärgern.
EVOLVER: Du schreibst regelmäßig auch für Literaturzeitschriften außerhalb des Horror/Thriller-Universums. Hast du eine Beziehung zum real existierenden österreichischen, oder - sagen wir - deutschsprachigen Literaturbetrieb? Ich habe ja das Gefühl, als gäbe es zwischen deiner dem Publikum zugewandten Literatur und jener "Literaturpreisliteratur", die sich außerhalb bisweilen inzestuös anmutender Klüngel keiner antut, nicht viele Gemeinsamkeiten.
Andreas Gruber: Falls du die Werke von Elfriede Jelinek ansprichst, die Experimentallyrik diverser Magazine oder Theateraufführungen, wo auf der Bühne uriniert wird, während ein Hermann-Nitsch-Jünger im Hintergrund einen Eimer Saublut über die Kulisse kippt und sich die Politiker beim anschließenden "Seitenblicke"-Interview gegenseitig die Eier schaukeln, weil die Aufführung so grandios war - damit beschäftige ich mich nicht. Nicht, weil ich es schlecht finde, sondern weil es mich nicht interessiert. Andererseits finde ich die Romane von Wolf Haas sehr gelungen. Sie widersprechen sämtlichen Regeln des Schreibens, aber das so konsequent, daß es schon wieder gut ist. Auch finde ich die Filme von Xaver Schwarzenberger oder Wolfgang Murnberger köstlich. Ansonsten muß ich bei der real existierenden österreichischen Szene - wie du sie bezeichnest - leider passen.
EVOLVER: Du schreibst Thriller (wie "Schwarze Dame"), Horror (wie "Der Judas-Schrein") und klassische Abenteuergeschichten mit Phantastikelementen (wie "Das Eulentor"). Wie sieht deiner Meinung nach die Zukunft der "Dark Fantasy", der "Dark Fiction" aus?
Andreas Gruber: Ich kann´s wirklich nicht sagen. Trends werden von der Film- und der Verlagsindustrie geplant. Da laufen Millionen Euro Werbebudget rein. Wenn man sich die Entwicklung anschaut, sind wohl Öko-Thriller und Abenteuerromane stark im Kommen. Die Dan-Brown-Schiene ist am Abklingen, und in der düsteren Thriller-Ecke á la Grangés "Die purpurnen Flüsse" ist schon lange nichts Neues mehr erschienen. Was die Dark Fantasy anbelangt - die ist durch den Erfolg der Harry-Potter-Reihe sicher ein bißchen in den Hintergrund gedrängt worden, aber bestimmt nicht totzukriegen. Wie sagte einst Lovecraft? Was nicht tot, das ewig liegt, bis daß die Zeit den Tod besiegt.
EVOLVER: Pläne für die Zukunft?
Andreas Gruber: Im Moment bin ich mit meinem neuen Roman "Schwarze Dame" auf Lesetour, einem Thriller, bei dem es unter anderem um Kindesmißbrauch geht. Die Arbeiten am neuen Roman "Die Engelsmühle" sind abgeschlossen, der Thriller erscheint im Herbst 2008. Bis dahin arbeite ich an neuen Romanprojekten, Exposés mit 50 Seiten Leseprobe, mit denen ich mich bei Großverlagen und Literaturagenturen bewerben möchte. Die Themen reichen vom klassischen Psycho-Thriller bis zum phantastischen Suspense-Roman. Ein fertiger Roman liegt zwar noch in der Schublade, wartet aber darauf, überarbeitet zu werden. Und dann gibt es noch Material für drei weitere Kurzgeschichtenbände, die ich auch eines Tages realisieren möchte.
EVOLVER: Wirst du eigentlich irgendwann einmal vom Schreiben und deinen Schreibwerkstätten leben können? Oder wirst du nebenbei immer einen Job haben?
Andreas Gruber: Im Moment tummle ich mich noch in den sogenannten Mittelverlagen herum, mit Buchauflagen bis zu 2000 Exemplaren. Davon kann man noch nicht leben - um eine Profikarriere muß ich mir im Moment also noch keine Gedanken machen. Es müßte schon der richtige Autorenvertrag vom richtigen Verlag zum richtigen Zeitpunkt kommen. Das Problem ist nur, daß es meist am Thema scheitert. Ich möchte auf keinen Trend aufspringen, meine Seele für einen Bestseller verkaufen und etwas schreiben, von dem ich nicht hundertprozentig überzeugt bin. Ich bleibe lieber mir und meinen Ideen treu und habe dafür immer Spaß am Schreiben. Falls das einmal mit einem Großverlag klappen sollte, gut so - falls nicht, dann eben nicht.
EVOLVER: Herzlichen Dank für das Gespräch.
Thomas Fröhlich
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