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Stories_3-D-Kino
Mitten im Dritten
"Die Reise zum Mittelpunkt der Erde", "Monsters vs. Aliens" und Co.: Der 3-D-Film hat dieser Tage auch in heimischen Kinos Hochkonjunktur. Hollywood will uns plastisches Filmesehen überhaupt als Mega-Trend von morgen verkaufen. Aber jetzt mal ehrlich: Wer braucht den Scheiß? Eine Polemik. 06.05.2009
Brendan Fraser putzt sich die Zähne. Dann spült er nach und spuckt aus - frontal ins Publikum, da die Kamera gleichsam unter dem Waschbecken plaziert ist. Das ist nur einer von zahlreichen optischen Gimmicks, mit denen die neue 3-D-Fassung von Jules Vernes "Reise zum Mittelpunkt der Erde" zu punkten sucht. Und solche dünnen Scherze sollen das Kino in die Zukunft führen. Wieder einmal wird der dreidimensionale Film als die Technologie von morgen verkauft, doch auch diesmal wird die Welle folgenlos verebben; selbst wenn Jeffrey Katzenberg, der Chef der Walt Disney Animation Studios, das anders sieht und in Vorträgen landauf, landab für den 3-D-Film wirbt.
Das Phänomen ist nicht neu: Immer, wenn sich Hollywood bedroht fühlte, floh es in die dritte Dimension. Das war in den 50er Jahren so, als simpel gestrickte Abenteuerfilme à la "Bwana, der Teufel" scheinbar Speere ins 3-D-bebrillte Publikum fliegen ließen, um der Konkurrenz des damals aufkommenden Fernsehens zu begegnen. Das wiederholte sich in den 80ern, als 3-D-Fassungen von Blockbustern wie dem "Weißen Hai" die Verbreitung der Videokassette einzudämmen hofften. Und das kommt jetzt wieder, wo der Filmindustrie die Angst vor Internet und Videopiraterie im Nacken sitzt.
Wobei die Industrie mit mindestens einem Auge auf sich selbst schielt. Verkauft wird 3-D mit dem Argument des sinnlicheren Filmkonsums (dazu gleich mehr), doch die Hauptprofiteure der neuen Technologie sitzen in den Chefetagen der Filmkonzerne, nicht im Kinosaal: 3-D-Filme sind nämlich nicht mehr so einfach von der Leinwand abzufilmen und ins Netz zu stellen wie ihre flachen Verwandten. Und: Sie lassen sich nur digital projizieren, was nebenbei die von der Industrie stürmisch propagierte Umstellung der Filmprojektion von Zelluloid auf digitale Projektoren beschleunigen soll. Was, wenn es klappt, die Kluft zwischen Blockbustern und industrieunabhängigem künstlerischem Kino nur vertiefen würde.
Ein Blick auf die aktuellen 3-D-Titel verrät denn auch, wohin die Reise gehen soll: "Jonas Brothers - The 3-D-Experience", "Küss den Frosch", "Toy Story in 3-D" - glatte Ware dominiert, Konzertfilme oder Trickfilmspaß gelangen serienweise ins 3-D-Kino, von Arthaus keine Spur. Wie denn auch? Was sollten Regisseure wie, sagen wir, Scorsese, Haneke und die Dardennes mit plastischen Bildern anfangen? Von den rund zwei Dutzend 3-D-Filmen, die für die nächsten Monate annonciert sind, können gerade einmal zwei mit cineastischem Interesse rechnen: James Camerons "Avatar" und der neue Pixar-Film "Up", der das Filmfestival von Cannes eröffnen darf. Mager, nicht?
Wobei wir den Kern des Problems noch gar nicht berührt haben: das subjektive Erlebnis im Kinosaal. Obwohl es allein in Österreich nicht weniger als vier verschiedene Verfahren zur Projektion von 3-D-Filmen gibt (vom billigen Cinemagnum über das schwerfällige X-Pan-3-D und das verbreitete Real-D bis zum avancierten Dolby Digital 3-D), ist der 3-D-Film seinen Kinderkrankheiten nicht entwachsen. Noch immer legt die (unabdingbare) Brille einen Grauschleier über das Bild auf der Leinwand (was etwa die Höhlenszenen im eingangs erwähnten Jules-Verne-Film fast völlig absaufen läßt); noch immer hängt die Wirkung des Verfahrens vom richtigen (nicht zu knappen) Abstand von der Leinwand ab; noch immer setzt man das Sehgerät nach anderthalb Kinostunden mit leichtem Kopfweh ab.
Jenseits dieser physischen Argumente sprechen auch künstlerische Einwände gegen den 3-D-Film: Wesentliche Kriterien bewußter Bildgestaltung, wie Bildkomposition und Genauigkeit in der Kadrage lassen sich im 3-D-Film, der darauf abzielen muß, den Bildrahmen vergessen zu machen, nicht mehr nachvollziehen. Der Schnitt muß (oder sollte, in der Praxis wird dagegen oft gesündigt) auf die Akkomodationsfähigkeit des menschlichen Auges Bedacht nehmen und darf daher nicht allzu rasch von der Großaufnahme in die Totale springen - eine (für den 3-D-Film ideale) Folge bühnenartiger Halbnah-Bilder wäre jedoch kaum der Montageweisheit letzter Schluß. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Würde die Einleitungssequenz von Sergio Leones "Spiel mir das Lied vom Tod" in 3-D eindrucksvoller ausfallen? Ich fürchte, nein.
Nicht ohne Grund hat etwa ein Hitchcock seinen Ausflug in den 3-D-Film ("Bei Anruf Mord") als unwichtige Randepisode abgetan. Auch er hat sich wahrscheinlich mehr als einmal gefragt: Wer braucht den Scheiß?
Dank an Leo Moser für die technische Beratung.
Kommentare_
Danke.
Sah in New York My Bloody Valentine. Unterhaltsamer Slasher Spaß in Real 3D. Brille schleierlos, verursachte keinerlei Migräne Anfälle. Das Ganze hat bei dem Film durchaus "Sinn gemacht".
Und was wir von "Sinn machen" zu halten haben, wissen wir ja alle.