Stories_Ein dreckiges Dutzend, Pt. IV

Von alten Magiern und kühlen Stilisten

Im vierten und letzten Teil unserer Reihe über Filmregisseure erwarten Sie: Einer der größten seiner Zunft, dessen Trickrepertoire unerschöpflich scheint, und ein Nachwuchsmeister, der keine Schwachstelle erkennen läßt; doch wer springt für den zwölften Mann ein?    13.07.2010

Dieses Dreckige Dutzend hätte selbst Lee Marvin imponiert: Zwölf Regisseure, zwölf Stile und zwölf Gründe, warum die Traumfabrik relevant bleibt. Dietmar Wohlfart blickt auf einige der profiliertesten Regisseure Hollywoods, deren aktuelle Formkurven und Zukunftsperspektiven.

(Hier geht es zu: Teil 1, Teil 2 und Teil 3.)

 

 

Der alte Magier: STEVEN SPIELBERG

 

Unklarheit mag über das genaue Geburtsdatum des mit Abstand bekanntesten Filmregisseurs unseres Planeten herrschen. Die Grandiosität seines bisherigen Gesamtwerkes steht aber außer Frage. Spielbergs Einbruch in ein überaltertes, in Auflösung begriffenes Studiosystem ist Legende. 1975 ging der erste Megablockbuster auf sein Konto und beeinflußte direkt das Urlaubsgebaren Hunderttausender. Zusammen mit George Lucas beherrschte er die Branche ein gutes Jahrzehnt lang und veränderte dekadenalte Naturgesetze des Kinobetriebs; wenngleich nicht nur zum Besseren. In der Produzentenrolle vergoldete Spielberg Werke befreundeter Kollegen, deren bekannteste Arbeiten - Tobe Hoopers "Poltergeist" (1982), Joe Dantes "Gremlins" (1984), Robert Zemeckis' "Zurück in die Zukunft" (1985) - zweifellos auch seine Handschrift tragen. Er verschränkte Kunst und Kommerz in beispielloser Form, drehte seinen spektakulären "Jurassic Park" und das elegische Holocaust-Drama "Schindlers Liste" 1993 praktisch nebeneinander und mit maximalen Erfolg. Zahlreiche Figuren, Schauplätze und One-Liner aus Spielberg-Klassikern sind zu unverrückbaren Bestandteilen der Popkultur verschmolzen und werden als solche Generationen von Fans überdauern.

 

"You're gonna need a bigger boat."

("Jaws")

 

Status quo

 

Das vergangene Jahrzehnt - Spielbergs viertes als Kinoregisseur - zeigte den Großmeister auf eher risikoarmen Level operieren und lieber auf alten Pfaden wandern. So komponierte er mit "A.I." (2001), "Minority Report" (2002) und "War Of The Worlds" (2005) eine technisch perfekte, thematisch verhältnismäßig dunkle Sci Fi-Trilogie und verarbeitete das Münchner Massaker von 1972 ("Munich", 2005) in einen gutklassigen, wenn auch abschlußschwachen Rachethriller. Den in die Jahre gekommenen Super-Archäologen Dr. Jones reanimierte Spielberg in einem zweifelhaften Akt ("Indiana Jones And The Kingdom Of The Crystal Skull", 2008) gemeinsam mit Kollegen Lucas und der Brechstange. Eines hat sich über die Jahre nicht geändert: Steven Spielberg dreht seine Projekte nach wie vor in atemberaubender Geschwindigkeit ab und hält - mit leichten Abstrichen - einen bemerkenswert hohes Qualitätslevel.

 

Indy: "There's a big snake in the plane, Jock."

Jock: "Oh, that's just my pet snake Reggie."

Indy: "I hate snakes, Jock. I hate 'em."

("Raiders Of The Lost Ark")

 

"He better be worth it. He better go home and cure a disease, or invent a longer-lasting light bulb."

("Saving Private Ryan")

 

Die Zukunft

 

Seit Jahrzehnten schon pendelt Spielberg zwischen den Genres und läßt auf effektsprühenden Mainstreamzauber gerne schwerere, Academy-tauglichere Stoffe folgen. Vielleicht auch als Gegengewicht zu seinen letzten, für Spielberg-Verhältnisse eher pessimistisch ausgefallenen Streifzügen durch das vertraute Sci Fi-Terrain läßt er Ende 2010 seinen ersten "Tintin"-Animationsstreifen (im deutschsprachigen Raum besser als "Tim und Struppi" bekannt) vom Stapel. Ein geplantes "Harvey"-Remake hat er unlängst verworfen - Freund Hanks war nicht verfügbar. Über "Interstellar", ein nebulöses Sci Fi-Großprojekt aus der Feder Jonathan Nolans, ist nur wenig bekannt - die Finalisierung dürfte noch Jahre beanspruchen. In einem fortgeschritteneren Stadium dürfte sich hingegen "Lincoln" befinden. Liam Neeson wird schon seit Jahren als erste Wahl für die Rolle des 16. US-Präsidenten gehandelt. Da jedoch mit Präsidentenfilmen erfahrungsgemäß keine signifikanten Geldmassen zu erwirtschaften sind, könnten sich die seit einigen Monaten kursierenden Gerüchte um eine weitere "Indiana Jones"-Fortsetzung - dieses Mal womöglich unter erneuter Beteiligung des erleuchteten Henry Jones senior höchstselbst - schneller verdichten, als uns lieb sein kann.

 

"My movies are all different. I've tried to make every movie as if it was made by a different director, because I'm very conscious of not wanting to impose a consistent style on subject matter that is not necessarily suited to that style. So I try to re-invent my own eye every time I tackle a new subject."

(Steven Spielberg)

 

 

Kühler Stilist: CHRISTOPHER NOLAN

 

Sechs Feature-Filme und noch kein Ausfall - der Londoner Christopher Nolan versteht sein Handwerk. Als Drehbuchautor und Regisseur mit ausgeprägtem visuellen Verständnis tragen seine Werke eine inhaltlich und formal glasklare Prägung. Nolan liebt Einzelgänger mit einer ausgebildeten ambivalenten Seite. Diese oftmals in ein isoliertes Zentrum gestellten Antihelden stehen stets auch im Gefecht mit ihren sinistren Wesenszügen. Nolans Geschichten sind chirurgisch präzise und kühl konstruiert. Doch ist der Brite zudem ein eleganter Meister des ewigen Spiels zwischen Licht und Schatten. Nolans Bilder bleiben haften: Die wieder und wieder gebrochene Noir-Hölle aus seinem Geniestreich "Memento" (2000); das in bläulichen Eisfarben bedrohlich schimmernde Alaska, wo Al Pacino in "Insomnia" (2002) nach Antworten und Erlösung sucht; die geheimnisvollen Zauberbühnen und phantastisch illuminierten Schneelandschaften in "The Prestige" (2006).

 

Natalie: "What's the last thing that you do remember?"

Leonard: "My wife..."

Natalie: "That's sweet."

Leonard: "...dying."

("Memento")

 

"Never show anyone. They'll beg you and they'll flatter you for the secret, but as soon as you give it up... you'll be nothing to them."

("The Prestige")

 

Status quo

 

Nolans Weste ist blütenweiß. Mit "The Dark Knight" (2008) hat er den letzten Gipfel erstürmt, was ihm eine Vielfalt von Optionen hinsichtlich seiner weiteren Karriereplanung eröffnet. Warner drängt freilich auf einen dritten "Batman", doch Nolan, der auch mit kleineren Budgets umzugehen versteht, wird den organisatorischen, materiellen und budgetären Kraftakt einer dritten Fledermaus-Inszenierung wohl noch etwas hinauszögern.

 

"Wanna know how I got these scars?"

("The Dark Knight")

 

Die Zukunft

 

Nachdem die Adaption der 60er-Jahre-Mysteryserie "The Prisoner" im Sande verlaufen ist, richtet Christopher Nolan seinen Fokus auf "Inception", ein selbst verfaßtes Sci Fi-Puzzle. Plot-Details sind Mangelware: Ein Manager (Leonardo DiCaprio) wird in ein Komplott um eine neuartige Technologie verwickelt, die den Geist respektive das Gedächtnis eines Menschen manipulieren kann. Nolans eigene Aussagen lassen auf einen futuristischen Verschwörungsthriller im großen Stil schließen: "I grew up watching James Bond films and loving those and watching spy movies with their globetrotting sensibility.... We get to do that here, not just geographically but also in time and dimensions of reality as well. We get to make a movie that's expansive, I suppose you'd say, in four dimensions."

Die Besetzung kann sich sehen lassen: Neben DiCaprio laufen Michael Caine, Joseph Gordon-Levitt, Marion Cotillard, Cilian Murphy, Ken Watanabe und Ellen Page auf. Unter den diesjährigen Sommer-Releases birgt "Inception" sicherlich das größte Potential - und dürfte Noir-Suspense-Fans und Autorenkinoliebhaber gleichermaßen verzücken.

 

"I never considered myself a lucky person. I'm the most extraordinary pessimist. I truly am."

(Christopher Nolan)

 

 

Einer fehlt: Auf der Suche nach dem zwölften Mann

 

Ein weiterer Name würde unseren vierteiligen Abstecher in die Welt der hollywoodschen Spitzenregisseure zwar zu einem adäquaten Ende verhelfen; doch eine ganze Reihe potentieller Kandidaten gar völlig zu ignorieren, läßt ein unbehagliches Gefühl von Unvollständigkeit am Horizont aufziehen. Darum sei die letzte Position stellvertretend einer nicht minder begabten und einflußreichen Batterie illustrer Meister gewidmet.

Unsere Wahl fällt demnach - unter anderem - auf WOODY ALLEN, einen der genialsten Vertreter seiner Zunft ("Annie Hall", "Manhattan", "Zelig", "The Purple Rose Of Cairo", "Radio Days", "Sweet And Lowdown" etc.) und seit geraumer Zeit fernab seines angestammten New Yorker Reviers, in diversen Hauptstädten Europas - derzeit in London ("You Will Meet A Tall Dark Stranger") - beschäftigt.

Als unseren zwölften Mann nominieren wir auch den schrägen Klabautermann TIM BURTON, dessen ausufernde filmische Skurrilitäten (aktuell "Alice In Wonderland") schon seit Jahren das Gesicht Johnny Depps tragen. In absehbarer Zukunft wird Burton vermutlich mit "Frankenweenie" einen seiner eigenen Filme reproduzieren und den einstigen Kurzfilm auf Feature-Länge ausbauen.

 Das Regisseur-Dutzend ebenso vollmachen könnte mit DANNY BOYLE ein bemerkenswert wandlungsfähiger Zeitgenosse: Drogentrips, Inselabenteuer, Horror-Schocker, Familienkomödien und Weltraum-Mysterien waren dem Engländer nicht genug - mit "Slumdog Millionaire" (2008) trug er ein stark amerikanisiertes Stück Bollywood in die Herzen der Menschen, die seinen Film liebten. In dem gerade in Produktion befindlichen "127 Hours" begräbt er einen jungen Bergsteiger unter einem Felsbrocken. Der drastische Höhepunkt des Streifens - wohlbekannt, da auf einer wahren Begebenheit beruhend - dürfte Boyle von seiner blutigsten Seite zeigen...

 Auch der kompromißbereite RON HOWARD wird nicht vergessen, repräsentiert er doch den kleinen, aber wertvollen Teil jenes klassischen Mainstream-Hollywoods ("Cocoon", "Apollo 13", "A Beautiful Mind", "Cinderella Man", "Frost/Nixon"), das uns lieb und teuer ist.

 Für die vakante Position in Frage kommt ebenfalls das Brüdergespann JOEL und ETHAN COEN, ein vormals berüchtigtes, spätestens seit "Fargo" (1996) berühmtes, aber immer schon geniales Filmemacherduo, das vorzugsweise eigentlich undenkbare Charaktere in haarsträubende Situationen versetzt und die meist schwarzhumorigen Szenarien mit Geschick und Cleverness genußvoll auflöst. Ihr Western-Remake "True Grit" (US-Start: 24.12.10) ist mit Jeff "Dude" Bridges in der einstigen John Wayne-Rolle als bärbeißigem Marshal würdig besetzt.

 Auch draufgängerisch und rebellisch können wir uns Elite-Regisseur Nummer Zwölf vorstellen: Ober-"Basterd" QUENTIN TARANTINO verfilmt seit den frühen 90ern brutal-irrwitzige Tabubrüche ("Reservoir Dogs", "Pulp Fiction", "Jackie Brown") und überschreitet - nicht selten von ihm selbst zuvor definierte - Grenzen, um als blutig-genialer Popcorn-Kinolieferant zu provozieren, zu schockieren und dabei bestens zu unterhalten.

 Eine im höchsten Maße auf allen nur erdenklichen Ebenen der Filmkunst herausragende Charakter- und Gesellschaftsstudie schuf PAUL THOMAS ANDERSON zuletzt mit "There Will Be Blood" (2008), seinem formalen und inhaltlichen "Citizen Kane"-Gedächtniswerk; und macht - freilich nicht nur damit (siehe "Hard Eight" und "Magnolia") - das Dutzend voll.

 Möglicherweise auf Andersons Spuren wandelt DARREN ARONOFSKY ("Pi", "Requiem For A Dream"), der Mickey Rourke-Reanimator ("The Wrestler"), sollte er "Serena: A Novel" tatsächlich verfilmen. Doch zuerst beschenkt er uns mit "Black Swan", einem dunklen Psychozweikampf, angesiedelt im Ballett-Milieu.

 

Folgendes Szenario dürfte Ihnen bekannt vorkommen: Man kann kaum plausibel erklären, wie es dazu gekommen sein mag, doch ist es geschehen und längst zu spät - der Abspann eines Roland Emmerich-Films zieht vorbei und wird in einer Art Schockstadium resigniert ertragen. Hollywood als Ort der gediegenen Unterhaltung, der nostalgischen Erinnerungen, Legenden und Mythen liegt in diesem Augenblick des bereits abklingenden oder vielleicht erst recht anschwellenden Wutzustandes sehr weit entfernt. In einem solchen Moment gilt es, Ruhe zu bewahren. Denn sie existieren immer schon und auch weiterhin: Markante Typen, Talente, Ausnahmeerscheinungen, Künstler und Könner ihres Fachs. Es sind jene Köpfe, die sich leicht zu einem kompakten Eliteverband herausragender Filmschaffender - dem einen oder anderen dreckigen Dutzend von Meisterregisseuren - zusammenfassen lassen.

Welche Richtung sie auch einschlagen werden und in welchem Verhältnis ihre Großtaten mit Ausrutschern und Fehleinschätzungen künftig auch liegen mögen - der EVOLVER wird die Vertreter dieser raren Spezies auch weiterhin im Auge behalten und ihre Geschichten erzählen.

Dietmar Wohlfart

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