Stories_Ein dreckiges Dutzend, Pt. II
Substance over style
Dominierten den ersten Teil seiner Porträtreihe US-Regisseure, widmet sich Dietmar Wohlfart diesmal auch einem britischen und australischen Filmemacher.
15.03.2010
Dieses Dreckige Dutzend hätte selbst Lee Marvin imponiert: Zwölf Regisseure, zwölf Stile und zwölf Gründe, warum die Traumfabrik relevant bleibt. Dietmar Wohlfart blickt auf einige der profiliertesten Regisseure Hollywoods, deren aktuelle Formkurven und Zukunftsperspektiven.
Lesen Sie hier den ersten Teil.
Drei Regisseure aus drei Nationen, allesamt Konstanten der hollywoodschen Qualitätssicherung: Ein englischer Genre-Springer, der es gerne groß und stylish mag; ein amerikanisches Wunderkind, das zum chronischen Provokateur wurde und nur das Schlechteste im Menschen erkennt; ein australischer Meister, der seine Helden gerne in die Fremde schickt. Auch der zweite Teil unserer Reihe huldigt jenen regieführenden Könnern, ohne die es einfach nicht geht.
Unterschätzter Klassikerlieferant: RIDLEY SCOTT
Vielleicht hat er sich ja vorgenommen, jedes Jahrzehnt einen Klassiker abzuliefern. Jedenfalls hält der Brite diese beachtliche Taktfrequenz bei, seit er 1979 mit "Alien" ein Standardwerk des Sci-Fi-Genres schuf. Die Rolle der Ripley verhalf nicht nur einer noch unbekannten Sigourney Weaver zum Durchbruch, sondern machte zugleich die bis dahin genreuntypische Figur der weiblichen Actionheldin salonfähig.
Auch seinen folgenden Triumph feierte Scott mit einer futuristischen Welt: "Blade Runner" (1982), seine Interpretation einer Geschichte von Philip K. Dick, hielt mit ungewöhnlich meditativem Erzähltempo und Noir-Tendenzen Einzug in die Hallen der Kinogeschichte. Ein erster Vorstoß in die Sphäre der Oscar-Nominierten gelang mit dem Frauenpower-Roadmovie "Thelma & Louise" (1991); wieder ein Jahrzehnt später präsentierte er Muskelmänner in der Antike ("Gladiator", 2000).
Ob mit Kostümdrama, Sci-Fi-Horror, Fantasy, Großstadtthriller, Roadmovie oder Sandalenepos - am Beginn des neuen Jahrtausends hatte der Engländer bereits überall Maßstäbe gesetzt.
"You shoot off a guy's head with his pants down, believe me, Texas ain't the place you want to get caught."
("Thelma & Louise")
Status quo
Ridley Scotts Heroen sind seelisch vernarbt und physisch gestählt. Mit ihnen und um sie herum entfesselt er Bilderstürme von zuweilen brachialer Virtuosität: Gleich einer verbitterten Einmannarmee metzelt sich etwa Russell "Maximus" Crowe durch die Arenen Roms. Grimmige Brutalität herrscht auch auf den Straßen Mogadischus in "Black Hawk Down" (2001) - der dunkelhäutige Tod lauert an allen Ecken und schlägt unbarmherzig zu. Ridley Scott bevorzugt die großen Kulissen. Selbst angeblich klaustrophobisch veranlagt, braucht den Raum - und nützt ihn auch.
Doch obwohl er im vergangenen Jahrzehnt mit "Gladiator", "Black Hawk Down", "Matchstick Men" und "American Gangster" nicht weniger als vier Volltreffer in ebensovielen verschiedenen Genres landete, blieb die ultimative Würdigung seiner Fähigkeiten als Regisseur bislang aus. Seine Vielseitigkeit wird ihm als Manko ausgelegt; sein Stil erscheint zu universell. So wird Ridley weiterhin in erster Linie als der erfolgreichere der beiden Scott-Brüder wahrgenommen, die für rasante Unterhaltungsspektakel garantieren.
"At my signal, unleash hell."
("Gladiator")
Die Zukunft
Exakt zehn Jahre nach "Gladiator" kommandiert Ridley Scott seinen Hauptdarsteller von einst erneut in ein pseudohistorisches Kampfspektakel: "Robin Hood" läuft diesen Mai an. Von einer wesentlich blutrünstigeren Interpretation als zu Kevin Costners Glanzzeiten ("Robin Hood: Prince Of Thieves", 1991) darf ausgegangen werden. Es wird sich zeigen, ob Crowe seine Rolle ähnlich charmant anlegen darf wie einst Costner oder - noch sehr viel früher - Errol Flynn. In "Gladiator" reichten immerhin bereits wenige subtile Augenblicke, um die Verletzlichkeit und Melancholie des mythischen Rächers zu betonen.
Ein Erfolg könnte der Allianz Scott-Crowe jedenfalls nicht schaden: Die romantische Komödie "A Good Year" blieb zahnloses Stückwerk, der sterile Terrorismus-Thriller "Body Of Lies" scheiterte auf hohem Niveau - und der Hauptdarsteller kritisierte den nicht gerade als umgänglich bekannten Regisseur bereits öffentlich.
Nach seinem Abstecher in den Sherwood Forest sucht Scott die USA der 30er-Jahre heim: "The Kind One", die Verfilmung des Tom Epperson-Noir-Bestsellers, spielt während der Großen Depression. Casey Affleck wird dabei in die Rolle eines Gangsters schlüpfen, der sich mit Gedächtnisverlust und Gewissensnöten herumschlagen muß.
Ob Ridley Scott trotz seiner Rösselsprünge durch die Genrelandschaft die verdiente Anerkennung einmal auch offiziell zuteil wird, bleibt abzuwarten. Zu beweisen bräuchte er allerdings schon lange nichts mehr.
"We're suffering from saturation, overkill. The marketplace is flooded by demand, and there are too many films, so everything gets watered down. Demand is the boss and everything bends to that will. Bigger and not necessarily better shows seem to be the order of the day. I can't watch most of them."
(Ridley Scott)
Schritte aus dem Dunkel: DAVID FINCHER
Gesellschaftskritik und morbide Spannung, oftmals gewürzt mit einem kräftigen Schuß Nihilismus: David Fincher malt gerne den Teufel an die Wand. Auf seinen Sets bekäme Ridley Scott wahrscheinlich Panikattacken, denn die apokalyptischen Untergangsvisionen werden bevorzugt auf engstem Raum inszeniert. In "Se7en" (1995) haust der menschliche Abfall in finsteren Apartmentlöchern; Jodie Fosters Abwehrkampf in "Panic Room" (2002) konzentriert sich letztlich gar nur auf ein einzelnes, gepanzertes Zimmer.
Fincher liebt die Dunkelheit, und er präsentiert die Abgründe seiner leidensfähigen Protagonisten in edler Untergangsoptik. Daß seine Analyse des gesellschaftlichen Allgemeinzustandes ihn irgendwann auf den Autor Chuck Palahniuk treffen lassen mußte, erscheint dabei nur logisch; 1999 kam "Fight Club" heraus, eine Adaption des gleichnamigen Romanes. Neben Brad Pitt glänzte darin Edward Norton - in seiner Spezialdisziplin, der Darstellung krimineller Soziopathen.
"What sick ridiculous puppets we are / and what gross little stage we dance on / What fun we have dancing and fucking / Not a care in the world / Not knowing that we are nothing / We are not what was intended."
("Se7en")
"This is your life and it's ending one minute at a time."
("Fight Club")
Status quo
In jüngerer Vergangenheit ließ es Schocktherapeut Fincher mit "Zodiac" (2007) und "The Curious Case Of Benjamin Button" (2008) eher ruhig angehen. Während ersterer Streifen den kühlen Paranoia- und Journalistenthrillern der 70er seine Reverenz erweist, ist "Button" die modernisierte Fassung einer F. Scott Fitzgerald-Erzählung.
Die Geschichte um einen Mann, der rückwärts altert, bringt klassisches Hollywood-Starkino im großen Stil: multiple Oscarnominierungen waren die Folge, darunter Finchers erste als bester Regisseur.
Daß darin, wie manche Kritiker monierten, die paradoxe Liebesbeziehung etwas unterkühlt dargestellt wird, darf Fincher getrost auf seiner Habenseite verbuchen; zuviel Larmoyanz hätte der Big Budget-Produktion nicht gutgetan.
"Directing ain't about drawing a neat little picture and showing it to the cameraman. I didn't want to go to film school. I didn't know what the point was. The fact is, you don't know what directing is until the sun is setting and you've got to get five shots and you're only going to get two."
(David Fincher)
Die Zukunft
Markieren "Zodiac" und "Button" David Finchers Aufbruch in eine weniger von diabolischen Niedergangsphantasien bestimmte Schaffensperiode? Schwer zu sagen. Seine nächste Produktion, "A Social Network", hat die Gründungsgeschichte von Facebook zum Thema: für exzessive Gewaltdarstellungen dürfte hier wenig Platz sein.
Eher schon bei einem anderen Zukunftsprojekt, der Graphic Novel-Adaption "Torso", in der es um eine ungeklärte Mordserie im Cleveland der 30er Jahre geht. Für die Rolle des Capone-Bezwingers Elliot Ness, der die Ermittlungen aufnimmt, war eigentlich Matt Damon vorgesehen. Paramount nahm aber zuletzt die auslaufende Option auf die Verfilmung nicht wahr, weshalb die Sache vorläufig auf Eis liegt.
Doch egal, ob nun "Torso" - Arbeitstitel: "Ness" - oder eine andere Comicverfilmung den Sprung auf die Leinwand schaffen (auch "The Killer", "Black Hole" und "The Goon" sind im Gespräch): David Fincher wird uns gewiß wieder mit einem ausgefeilten Werk voll düsterer Spannung erfreuen.
"People will say, 'There are a million ways to shoot a scene,' but I don't think so. I think there're two, maybe. And the other one is wrong."
(David Fincher)
Daheim, in der Ferne: PETER WEIR
In seiner Heimat wurde Peter Weir einst als angesehener Vertreter der "Australian New Wave" gefeiert. Mit dem Amish-Krimi "Witness" (1985; dt.: "Der einzige Zeuge") gelang ihm auch in Amerika der Durchbruch: Um einen Mordfall zu lösen, wird Ermittler John Book (Harrison Ford) in das absonderliche Paralleluniversum der Amish geschickt - für einen Großstadtcop ein kultureller Bruch erster Ordnung.
Das Motiv der erzwungenen Aufgabe gewohnter Umgebungswelten kehrt in "The Mosquito Coast" (1986) wieder: In Weirs zweitem US-Film - erneut mit Harrison Ford in der Hauptrolle - nötigt das zivilisationsmüde Familienoberhaupt Frau und Kinder, mit ihm in ein vermeintliches Naturparadies zu übersiedeln
Nonkonformismus, Generationenkonflikt und Freidenkertum sind die zentralen Themen in "Dead Poets Society" (1989). Der Klub der toten Dichter machte Weir zu einem der gefragtesten Regisseure Hollywoods, und zementierte nebenbei Robin Williams' Status als clownesker Gutmensch-vom-Dienst.
"We eat when we're not hungry, drink when we're not thirsty. We buy what we don't need and throw away everything that's useful. Why sell a man what he wants? Sell him what he doesn't need. Pretend he's got eight legs and two stomachs and money to burn. It's wrong. Wrong, wrong, wrong."
("The Mosquito Coast")
Status quo
Mit den letzten beiden Filmen, "The Truman Show" (1998) und "Master And Commander" (2003), bewies Peter Weir erneut seine Meisterschaft.
Nachdem er bereits Harrison Ford - zum Zeitpunkt des "Witness"-Drehs eher als Performer und potentes Box Office-Zugpferd beliebt - der Filmwelt als ernstzunehmenden Mimen vorgestellt hatte, gelang ihm mit Jim Carrey ein weitaus unwahrscheinlicheres Kunststück: Der hysterische Zappelphilipp, ein pervertierter Gegenentwurf zu Buster Keaton, geriet unter Weirs Ägide doch tatsächlich ins Schauspielern.
Nebenbei trieb der Regisseur seine Vorliebe für in Isolation gedrängte Charaktere auf die Spitze: Truman Burbank (Carrey) weiß nicht, daß er seit seiner Geburt Entertainer in einer 24-Stunden-Realityshow ist; er hält seine heile Welt unter einer gigantischen Kuppelkonstruktion für die Realität ... bis das Lügengebäude in sich zusammenbricht.
"Now in this class you can either call me Mr. Keating, or if you're slightly more daring, O Captain my Captain."
("Dead Poets Society")
Die Zukunft
Das Seefahrerabenteuer "Master And Commander: The Far Side Of The World" (mit einem charismatischen Russell Crowe als "Lucky" Jack Aubrey) war mit Abstand Weirs teuerster Film - und die Einkünfte standen in keinem Verhältnis zum kolportierten Monster-Budget von 150 Millionen Dollar.
Weitere Verfilmungen der Romanserie um Captain Aubrey wurden daraufhin, wenig überraschend, vertagt.
Es ist ruhig geworden um Peter Weir; lediglich mit der Adaption William Gibsons "Pattern Recognition" wurde er vorübergehend in Verbindung gebracht. So gesehen scheint der Titel seines neuesten Filmes passend: "The Way Back". Colin Farrell, Ed Harris und Jim Sturgess versuchen darin - als multikulturelles Insassentrio - der Hölle des russischen Gulag zu entkommen. Typisch für Weir, seine Protagonisten wieder einmal an einem ebenso abgeschiedenen wie grauenvollen Ort festzusetzen; man darf gespannt sein.
"Good morning, and in case I don't see ya, good afternoon, good evening, and good night!"
("The Truman Show")
Ohne sie wäre der Kinogänger um vieles ärmer: Ridley Scotts martialische Epen, David Finchers beklemmende Thriller, Peter Weirs poetische Außenseiterabenteuer. Extrahiert aus dem amerikanischen Filmkosmos, würden sie bleibende Bruchstellen hinterlassen - von den Ausfällen all ihrer Epigonen gar nicht erst zu reden.
Sechs hinter uns, sechs vor uns: Weitere repräsentative Vertreter Hollywoods Regie-A-Liga erwarten Sie im vorletzten Part unsere vierteiligen Story.
Dietmar Wohlfart
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