Stories_Ein dreckiges Dutzend, Pt. I

Ein Fall für Gekko?

Dieses Dreckige Dutzend hätte selbst Lee Marvin imponiert: Zwölf Regisseure, zwölf Stile und zwölf Gründe, warum die Traumfabrik relevant bleibt. Dietmar Wohlfart blickt auf einige der profiliertesten Filmemacher Hollywoods, deren aktuelle Formkurven und Zukunftsperspektiven.    15.02.2010

Ein schwächelnder Hitman, ein Soldat am Abgrund - nur der kleine Marty lächelt breit und überblickt die Szenerie hoch oben vom Regieolymp aus. Wie es dazu gekommen ist und von wem hier überhaupt die Rede ist, erklärt der folgende erste Part unserer vierteiligen Serie über zwölf Eliteregisseure, die das US-Kino - und damit die Filmgeschichte - mitunter veredeln und prägen.

Der Hitman: MICHAEL MANN

Perfektionist Michael Mann schrieb 1984 mit der Kreation und Produktion von "Miami Vice" TV-Geschichte. Bereits sein erster Feature-Film "Thief" (1981) wartete mit Manns Lieblingsmotiv auf, dem diebischen Loner. "Thief" gab gewissermaßen die Stoßrichtung vor: James Caan spielte seinerzeit den einzelgängerischen Panzerknacker Frank, dessen Ausbruchsversuch aus dem angestammten kriminellen Milieu scheitern sollte. Jahre später wurde Ganove Frank in einer mächtigeren Inkarnation für "Heat" (1995) als Neil McCauly (Robert De Niro) gegen Großstadtcop Vincent Hanna (Al Pacino) aufgestellt. Abermals ließ Michael Mann seinem Räuberroutinier keinen Ausweg: McCauly kann nicht aus seiner Haut. Kurz davor, seine kriminelle Laufbahn heil zu beenden - einer Frau und der Aussicht auf ein Leben fernab des Verbrechens zuliebe -, wird er von seinem inneren Dämon übermannt und zerstört. Ein typisches Ende für Manns einsame Kämpfernaturen, diese getriebenen Nachtwesen, die er vor majestätischen Großstadtkulissen wie kein anderer inszeniert.

Eady: "You travel a lot?"
Neil McCauley: "Yeah."
Eady: "Traveling makes you lonely?"
Neil McCauley: "I'm alone, I am not lonely."

("Heat")

Status quo

Die Kinoadaption seiner eigenen Originalidee "Miami Vice" (2006) endete für Mann in einem Debakel. Nie hatten Sonny Crockett und Ricardo Tubbs inaktiver, schwerfälliger und in ihrer Gesamtheit unbedeutender gewirkt. Und das lag weder an der Neubesetzung mit Team Farrell & Foxx, noch an Manns Umstieg auf einen rein digitalen Aufnahmeprozeß. Es waren Michael Manns ureigenste Stärken, die man hier vergeblich suchte: Der Blick hinter die Fassaden der Protagonisten, das Einfangen der beziehungstechnischen und familiären Grabenkämpfe und die elegante Verknüpfung mit den klassischen Mann-Unterwelten, in denen seine Einzelgänger aus dem intimen Spannungsfeld eines verbalen Schlagabtausches bei Kaffee und Kuchen jederzeit auf das Schlachtfeld eines technisch brillant komponierten Straßenkampfes getragen werden können. Die Bauchlandung kam völlig unerwartet, hatte Mann doch mit "Collateral" (2004) zuvor erneut seine Meisterschaft in der Disziplin des Großstadthrillers demonstriert. Der Depressions-Thriller "Public Enemies" (2009) wirkte zuletzt einigermaßen stabilisierend, auch wenn der Streifen insgesamt hinter den Erwartungen zurückblieb.

Max: "I can't drive you around while you're killing folks. It ain't my job!"
Vincent: "Tonight it is."

("Collateral")

Die Zukunft

Die Entscheidung dürfte zwischen dem Sportlerdrama "Damage Control" und der Kriegsphotographen-Biographie "Waiting For Robert Capa" fallen; in ersterem würde Jamie Foxx die Hauptrolle übernehmen, als eine Art Spin Doctor zur Entschärfung von Publicity-Fehltritten ihrer Mandanten. Von der Romanadaption "The Winter Of Frankie Machine" hat Mann sich mittlerweile zurückgezogen. Ähnlich wie schon bei dem von ihm vorbereiteten "The Aviator" (2004) wird sich stattdessen vermutlich Martin Scorsese der Geschichte um einen Ex-Auftragskiller annehmen, der selbst zur Zielscheibe wird.

"Could I have worked under a system where there were Draconian controls on my creativity, meaning budget, time, script choices, etc.? Definitely not. I would have fared poorly under the old studio system that guys like Howard Hawks did so well in."
(Michael Mann)


Der Pate von New York: MARTIN SCORSESE

Er ist klein von Gestalt, und sein Sprech-Stakkato erreicht den Takt einer Schnellfeuerwaffe. Seine Filmographie ist eine Aneinanderreihung von Klassikern aus vier Dekaden. Der New Yorker Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Martin Scorsese ist ein wahrer Gigant. Viele seiner Werke sind längst zu Ikonen des Filmschaffens geworden; vor allem solche mit Robert De Niro, dem manischen "Taxi Driver" (1976), tragischen "Raging Bull" (1980) oder einem der mafiösen "Good Fellas" (1990). Ein "echter Scorsese" bringt Joe Pesci mit dem Baseballschläger in Stellung, läßt einen narbengesichtigen, irren De Niro von der Leine ("Cape Fear", 1991) und macht uns mit dem furchteinflößenden Bill "The Butcher" Cutting (Daniel Day Lewis) aus den "Gangs Of New York" (2002) bekannt. Große Gesten von großen Schauspielern in noch größeren Rollen: das präsentiert Martin Scorsese seinem Publikum seit den glanzvollen Tagen des New Hollywood.

"Thank God for the rain to wash the trash off the sidewalk."
("Taxi Driver")
"In this day and age, what the fuck is this world coming to? I can't believe this, prejudice against - a Jew broad - prejudice against Italians."

("Good Fellas")

Status quo

In den letzten 30 Jahren gab es kaum einen Scorsese-Film, der nicht mit Auszeichnungen regelrecht erschlagen wurde. Seine Filme gelten in der Regel als Gesamtkunstwerke, die in allen Teilbereichen der Produktion Höchstnoten erzielen. So schritt der Meister auch in den letzten Jahren von einem Erfolg zum nächsten, wobei er sich nach wie vor mit dem Mafiasujet auseinandersetzte - zuletzt in einer irischen Variation ("The Departed", 2006) - und den tragischen Untergangsgeschichten besessener Einzelkämpfer ("The Aviator", 2004).

"Basically, you make another movie, and another, and hopefully you feel good about every picture you make. And you say, 'My name is on that. I did that. It's OK'. But don't get me wrong, I still get excited by it all. That, I hope, will never disappear."
(Martin Scorsese)

Die Zukunft

Ob der Verschiebung der Dennis Lehane-Adaption "Shutter Island" aus der Award-Season auf den Friedhof der ambitioniert gescheiterten Prestigeproduktionen nicht doch qualitative Ursachen zugrundeliegen, wird sich demnächst weisen. Daß gerade Scorsese an Lehanes erfahrungsgemäß dankbar zu übertragenen Thriller-Stoffen ("Mystic River", "Gone Baby Gone") scheitern sollte, ist allerdings schwer vorstellbar.
Aus der Reihe seiner derzeit in Vorproduktion befindlichen Projekte sticht vor allem "Sinatra" hervor, der im speziellen die mafiösen Verstrickungen des Entertainer-Denkmals durchleuchten soll. Zumindest personalpolitisch kühn erscheint wiederum die Überlegung, Leonardo DiCaprio als Präsident Roosevelt zu besetzen; doch genau dies könnte passieren, sollte "The Rise Of Theodore Roosevelt" tatsächlich verfilmt werden. DiCaprios Auftritt als paranoider Luftfahrtmagnat Howard Hughes fiel jedoch bemerkenswert genug aus - und läßt einen möglichen Abstecher des Frauenschwarmes in die Rolle eines hemdsärmeligen Politlöwen des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts nicht von vornherein unsympathisch erscheinen.

"If I continue to make films about New York, they will probably be set in the past. The "new" New York I don't know much about. It's not that I'm against contemporary film. I'm open to it in general, but I find the new colors of the city, the new Times Square, kind of shocking. I guess I'm stuck in a time warp."
(Martin Scorsese)
 

In der Defensive: OLIVER STONE


Angriff und Provokation liegen ihm im Blut. Jahrelang kritisierte er das politische Establishment und prangerte die Bigotterie seines Heimatlandes an. Zugleich war Oliver Stone stets selbst ein Gejagter - ein traumatisierter Kriegsheimkehrer, der in seiner Kunst auch eigene seelische Blessuren verarbeitete. Verwegen in seinen inhaltlichen Anklagen und brutal in der dafür gewählten Bildersprache, eiferte und wütete Stone zunächst interessanterweise in der "falschen" Dekade, den bunten Achtziger Jahren. Dabei beschäftigte er sich am Beginn der eigentlichen Erfolgsphase seines Sturmlaufs als Regisseur (einen Oscar gewann er bereits zuvor für sein Drehbuch zu "Midnight Express") noch mit Einzelschicksalen - vornehmlich vom System betrogenen und aufgeriebenen Außenseitern. Mit "JFK" (1991) richtete Stone seinen Blick dann auf die höchste Etage des amerikanischen Machtapparates und begründete seinen bis heute intakten Ruf als oberster Verschwörungstheoretiker Hollywoods.

"The reaction to JFK was just stunning. I've never spent so much time defending a film after its release."
(Oliver Stone)

Status quo

Oliver Stone ist angeschlagen. Sein letzter großer Wurf, das aufwendig strukturierte und herausragend gespielte Präsidentenporträt "Nixon", liegt 15 Jahre zurück. Seither lieferte er hauptsächlich Durchschnittskost ("U-Turn", "Any Given Sunday") und mittlere bis schwere Desaster ("World Trade Center", "Alexander") ab. Nach dem Abgang von "George W" scheinen dem Infanteristen Stone die Gegner für den Nahkampf auszugehen. Vietnam hat er längst abgearbeitet. Auch den unvermeidlichen kollektiven moralischen Aufschrei hat er mit seinen skandalösen "Natural Born Killers" (1994) längst ausgelöst. Das in Watte verpackte "World Trade Center" mag man Stone weder abkaufen und schon gar nicht vergeben. Vielleicht hat der Soldat seine Mission bereits erfüllt ...

"It's just murder. All God's creatures do it. You look in the forests and you see species killing other species, our species killing all species including the forests, and we just call it industry, not murder."
("Natural Born Killers")

Die Zukunft

... vielleicht aber auch nicht. Gekko könnte die Lösung sein: Die konzentrierte Personalfiktion des ungezügelten Raubtiermanagertums wird im April auf die Leinwand zurückkehren. Denn Oliver Stone schraubt an seinem "Wall Street"-Nachfolger "Money Never Sleeps". Nachwuchs-"Indy" Shia LaBeouf übernimmt die Hauptrolle und wird zusammen mit Michael Douglas, dessen Gordon Gekko sich vom Antagonisten zum Protagonisten wandelt, ein Team gegen jene finsteren Mächte bilden, die die Finanzwelt in den Abgrund zu ziehen drohen. Es könnte Stones letzte Patrone sein. Wünschen wir ihm einen Volltreffer.

"I love intelligent films that come at you fast. I don't have attention deficit disorder, my mind moves fast."
(Oliver Stone)
 
Es sind Persönlichkeiten wie Martin Scorsese, die die Narration eines Films aufsplitten und zu einem Meisterwerk zusammenbauen können; die auch brutalste Gewaltakte als vitale Knotenpunkte seiner Geschichten verankern und seine Darsteller regelmäßig zu Oscar-Ehren führen; die mithelfen, Hollywood nicht in der Bedeutungslosigkeit zielgruppenorientierter Massenproduktionen versinken zu lassen. Idealistische Stylisten und ewige Rebellen wie Michael Mann und Oliver Stone sind jene Männer mit Willen und Visionen, die nach wie vor für "ihre Kinder" in den Kampf ziehen. Jahrzehnte nach Wyler, Hawks, Hitchcock oder Huston repräsentieren sie einen Teil des aktuellen Kreises von Spitzenregisseuren, auf die wir nicht verzichten können und wollen.

 

Fortsetzung folgt ...

Dietmar Wohlfart

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