Kann denn Dancefloor Kunst sein?

Der Inhalt ist egal, solange nur “Ninja Tune" draufsteht. Das gilt um so mehr, wenn sich die beiden Label-Gründer, Matt Blank und Jonathan More alias Coldcut, zum vierten Mal selbst an die Computer wagen.

Es ist nicht alltäglich, daß die Erwartungshaltung an ein Album nicht nur vom Künstler selbst abhängt, sondern auch das produzierende Label als Indikator herangezogen wird. In den meisten Fällen kann man das als Zeichen für eine erfolgreiche, sich durch die Veröffentlichung künstlerisch und/oder kommerziell bemerkenswerter Tonträger auszeichnende Unternehmensgeschichte sehen. Labels wie Motown, Def Jam, Talkin´ Loud oder Ninja Tune sind sogar weniger Eingeweihten ein Begriff - ihre Namen werden immer wieder benützt, um Expertenwissen und Kennertum unter Beweis zu stellen.

Nur gelegentlich treten die Macher selbst hinter den Kulissen hervor, stellen sich neben die von ihnen verpflichteten Künstler und präsentieren ihre eigenen Werke. Matt Blank und Jonathan More, die Väter von Ninja Tune, sind somit eher die Ausnahme, da sie uns mit "Let Us Play" bereits ihr viertes Album bescheren.

Leicht haben sie es nicht, denn sie werden um einen zweifachen Vergleich nicht herumkommen: einerseits mit ihren alten, von den Kritikern meist zelebrierten Alben, und andererseits mit den Musikern ihres eigenen Labels, die am Erfolg nicht unmaßgeblich beteiligt waren.
Nun drängt sich natürlich die Frage auf, welche Art Musik Coldcut eigentlich machen. Es heißt ja, daß die Fusion der einzelnen "elektronischen" Stilrichtungen schon so weit fortgeschritten ist, daß einheitliche Etikettierungen wie "Trip-Hop" oder "Ambient" nicht mehr greifen. Nirgends trifft dies mehr zu als bei Coldcut. Hier findet sich kaum eine Schublade, in die sie nicht gegriffen hätten - Eklektizismus pur.

Neben Basslines und Scratcheinlagen, die genausogut von Erik B. & Rakim oder den Beastie Boys stammen könnten (oder sogar stammen), stößt man auf Jazz-und Funkelemente, Breakbeats und Tranceflächen, die den Chill-out-Räumen jedes Raves zur Ehre gereichen würden; ein Memory-Spiel der Stilelemente, das seine Vervollständigung in der Zusammenarbeit mit Größen wie Steinski, Jimpster oder Bernard Purdie findet. Jeder Track wirkt wie ein Konstrukt zufällig zusammengewürfelter, nicht wirklich passender Teile. Doch nach einiger Zeit, vielleicht noch nicht beim erstmaligen Hören, werden die Zusammenhänge klarer und das Stück als Gesamtheit faßbar - spielerische Komplexität als Konzept und Hörerlebnis.

Das aber ist noch nicht genug. Sowohl das - graphisch genial aufgemachte - Booklet als auch die Tracks selber lassen es erahnen: es gibt eine weitere, eine politische Ebene. So darf die Londoner Dichterin Salena Saliva ihre mit Beats unterlegte "Urban Poetry" zum Besten geben, oder Jello Biafra, der politisch noch immer umtriebige Ex-Dead Kennedy, einen politischen Monolog gegen das Establishment halten. Aber auch der Rest des Albums und des Booklets sind randvoll mit Statements, Slogans und Kontaktadressen (want to save a tree?).

Erwähnenswert ist auch noch die beigelegte CD-ROM, die voll mit Photos und witzigen Gimmicks (z. B. ein Scratch-Simulator) ist. "Let Us Play" ist eine famose CD, die in ihrer Innovationsfreudigkeit nahtlos an ältere Ninja Tune-Produktionen anschließt. Dazu Coldcut: "(This is) next generation beatnological manipulation – Fuck dance, let´s art.

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