Diese Franzosen! Da hat Chabrol nach jahrelanger Loser-Phase wieder einmal ein gutes Drehbuch, und was tut er damit? Er ertränkt es in vollständig ausgeleuchteter Schwermütigkeit.
Als die junge Jeanne (Anna Mouglalis) per Zufall herausfindet, daß sie bei ihrer Geburt fast mit dem Sohn des international renommierten Klavierspielers André Polonski vertauscht worden wäre, kann sie ihre Neugierde nicht zügeln und sucht das Haus der Polonskis auf. Polonski (Jacques Dutronc), seit geraumer Zeit zum zweiten Mal mit der Schokoladenfabrikserbin und angesehenen Bürgerin Marie-Claire "Mika" Muller (Isabelle Huppert) verheiratet, wohnt in einem typischen Heim für gehobenes Bürgertum; seine Frau ist stets exzellent zu Familie und Besuchern, die Fassade der heilen Welt praktisch makellos, die Idylle quasi perfekt. Natürlich ist der Klimperer ein unverbesserlicher Brüter, der Stunde um Stunde in die Tasten haut, ohne von seiner Umwelt Notiz zu nehmen; weder sein Sohn Guillaume (Rodolphe Pauly) noch seine Frau erhalten echte emotionale Zuwendung von ihm.
Umso erstaunlicher ist es, daß sich der alte Polonski kurz nach dem Auftauchen von Jeanne wie ausgewechselt gibt. Vielleicht liegt es daran, daß Jeanne ebenfalls unglaubliches Talent fürs Klavierspielen hat, oder daß sie seiner (bei einem geheimnisvollen Unfall verstorbenen) früheren Gattin zum Verwechseln ähnlich sieht. Mika, die das ziemlich aus der Raison bringt, läßt sich vorerst nichts anmerken. Sie nimmt die junge Frau wie jeden Besucher mit vorzüglichster Gastfreundschaft auf, bereitet ihren legendären Kakao zu, quasselt und smalltalkt nach allen Regeln der Gesellschaft. Man hat fast das Gefühl, daß der Einschleichungsversuch Jeannes mit offenen Armen begrüßt wird. Sogar Guillaume, der anfangs mit verstörter Abneigung auf das Mädchen reagiert, betrachtet sie schnell als Verbündete. Schließlich scheint wieder alles bestens zu sein - wäre da nicht Mikas steigende Tendenz zu befremdlichen Mißgeschicken, und vor allem das Schlafmittel in der heißen Schokolade...
Sein neues Verwirrspiel, ähnlich jener, die man aus seinen früheren, besseren Filmen kennt, inszeniert Chabrol gekonnt und konsequent. Dank der vieldeutigen Dialoge und der typisch verhaltenen Konzeption der bürgerlich-biederen Charaktere fällt es auch den Schauspielern nicht schwer, gute Leistungen zu bringen. Aber wie gewohnt versagt Chabrol in allem, was mit Ästhetik zu tun hat. Jede Szene ist brav und vollständig ausgeleuchtet; nirgends gibt es dunkle Winkel, Schattenspiele oder Atmosphäre. Die Ausstattung ist geschniegelt, glatt und farblos. Und der Soundtrack bietet hauptsächlich schwerste Klavierstücke von Franz Liszt, die den Zuschauer unter höchster Konzentrationsbelastung ächzen lassen. Der Film ist ein vielsagendes Werk über die autoaktive Demontage gutbürgerlicher Fassaden. Aber optisch und akustisch kann man ihn leider nur als mißlungen bezeichnen. Vielleicht ist Chabrol mittlerweile einfach zu alt für zeitgemäßes Design. Es gibt ja nicht einmal eine offizielle Homepage zum Film.
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