Vom Ende der Schüchternheit

Jim O´Rourke, Allround-Multitalent und nicht einordenbares Musikphänomen mit absolutem Gehör, überrascht mit einem kräftigen Rockalbum, das gleichzeitig mit einer CD voller Laptop-Knackser erscheint.

Der Endzwanziger Jim O´Rourke, ein Amerikaner mit irischen Wurzeln, war vom ersten Moment an ein Phänomen der avantgardistischen Musikszene. Als schüchterner Gitarrist und Tape-Musiker tauchte er zum ersten Mal im Umfeld des aus Chicago stammenden Collagen-Experimental-Kollektivs Illusion of Safety rund um Mastermind Dan Burke auf. O´Rourke spielte aber auch damals schon solo, indem er seine Gitarre präparierte, auf den Tisch legte und ihr dabei endlose, im Raum schwebende Drones entlockte.

Nach nur kurzer Zeit verließ er die Band und begann, sich eigenen Kompositionen und anderen Projekten zuzuwenden. Dabei fungierte er nicht nur als Musiker, sondern immer öfter auch als Produzent - ausgestattet mit dem sogenannten absoluten Gehör gelang es ihm, anderen Musikern völlig neue Interpretationsmöglichkeiten ihrer eigenen Stücke aufzuzeigen.

In den Neunzigern arbeitete O´Rourke unter anderem mit dem britischen Drone-Papst David Jackman alias Organum, mit Eddie Prevost, dem genialen Schlagzeuger des Improvisations-Ensembles AMM, und mit Christoph Heemann, dem deutschen Avantgarde-Vorreiter und seiner Band Hirsche Nicht Aufs Sofa. Eine andere Richtung schlug er mit Projekten wie The Red Krayola, Brise-Glace oder Gastr del Sol mit David Grubbs ein - alle eher gitarrenorientiert und näher am traditionellen Song. Nach endlosen weiteren Kollaborationen stieg Jim O´Rourke dann vor kurzem als offizielles fünftes Mitglied bei Sonic Youth ein, die im Gegensatz zu ihm selbst ihre rockigen Wurzeln immer weiter verlassen und fast nur mehr experimentelle Platten herausbringen.

Mit "Eureka" erschien 1999 O´Rourkes erstes Album im Umfeld der populären Rockmusik. Die Songs waren allesamt eher ruhig und vor allem auch - zum ersten Mal - von Jims Stimme getragen. Nun erscheint der Nachfolge-Longplayer "Insignificance" ebenfalls auf Domino Recordings (die unter anderem auch Smog unter Vertrag haben, ein Home-Recording-Phänomen, dessen beste Platten ebenfalls O ´Rourke produziert hat).

Im Gegensatz zu "Eureka" wird auf der neuen Platte nicht mehr zaghaft an der Gitarre gezupft, sondern gerockt, was das Zeug hält. Der Opener "All Downhill From Here" überrascht enorm - ein kräftigeres Intro könnte es kaum geben! Deutlich blicken dabei O´Rourkes Siebziger-Jahre-Vorbilder durch, angefangen bei den bereits genannten Red Krayola bis zu den deutschen Meistern des experimentellen Krautrock, Faust.

Seine Stimme setzt O´Rourke sehr dezent ein. Er singt nicht, wie auf dem letzten Album, sondern wirkt eher wie ein ruhiger Kommentator. Dies ergibt einen Kontrast, der dem Bombast der Gitarrenriffs wunderbar entgegenwirkt. Die Songs werden auch immer wieder für ruhigere Passagen unterbrochen und dabei von Klavier und akustischen Gitarren unterstützt. Doch die Grundstimmung bleibt kraftvoll, und es gibt auf dem ganzen Album kaum eine ruhige Nummer, die als Atempause dienen könnte.

Auffällig ist auch die bewußt schmissige Produktion der ganzen CD. Das Schlagzeug klingt, als würde es irgendwo in einem Nebenzimmer gespielt und nur durch die dünnen Wände in den eigentlichen Aufnahmeraum durchdringen. Die Gitarren-Sounds sind dermaßen rauh, daß man stellenweise glauben könnte, die CD wäre ein illegales Bootleg und die Aufnahme irgendwo durch ein Mitglied des Live-Publikums per Walkman und Raummikro geschehen. Doch all das zusammen verleiht der ganzen Platte das wunderbare Flair eines richtig dreckigen Rockalbums, und genau das wird es auch sein, was O´Rourke erreichen wollte. Deutlicher könnte er sich von den schönen Popsongs auf seinem letzten Soloalbum gar nicht distanzieren.

Wie fast mit jeder neuen Platte gelingt es Jim O´Rourke auch mit "Insignificance" wieder einmal, seine Hörerschaft recht kräftig vor den Kopf zu stoßen. Er scheint immer das zu machen, was man am wenigsten von ihm erwarten würde (in diese Kategorie fällt sicher auch seine Rolle als Produzent des Cyndi-Lauper-Comebac-Albums). So verwundert es auch nicht, daß fast gleichzeitig ein weiterer Longplayer von ihm herauskommt, diesmal allerdings ein Album voller Kratzer, Knarzer und Laptop-Ergüsse. Und natürlich erscheint dieses Werk dann auch nicht auf seinem eigentlichen Label, sondern bei der kleinen Wiener Plattenfirma Mego, der Heimat aller Laptop-Knatterer. Doch dies wird wieder eine andere Geschichte.

Vorliegenden Kommentar ansehen

Fenno´Berg
(Christoph Prenner, 27.11.2001 16:21)