Print_Brian K. Vaughan & Pia Guerra - Y: The Last Man
Gebt den Frauen das Kommando
Eine der packendsten Endzeitvisionen der Gegenwart versteckt sich derzeit irgendwo ganz hinten, in den immer noch gern belächelten Comic-Regalen. Doch was das Duo Vaughan und Guerra da auf die Leser hetzt, läßt nicht nur preisgekrönte Literaten alt aussehen. "It´s raining men" war gestern ...
21.04.2008
Weltuntergang ist in: Schon lange durfte man nicht mehr derart viele postapokalyptische Szenarien im Kino bewundern wie in den vergangenen paar Jahren. Ob Will Smith in der neuen Richard-Matheson-Verfilmung von "I Am Legend" auf Charlton Hestons Spuren wandert, "The Descent"-Regisseur Neil Marshall in "Doomsday" von "Mad Max" inspirierte Clans auf die virusgeplagte Menschheit losläßt, in "The Happening" von Plot-Twister M. Night Shyamalan die Natur selbst Rache an unserer Spezies übt, oder Roland Emmerich nach "10.000 B. C." mit "2012" ebenfalls seine Endzeitvision liefert: Die Zeichen stehen glasklar auf Untergang.
Was die todbringenden Viren, Vampire, Naturkatastrophen oder Zombies jedoch allesamt gemeinsam haben: Sie töten ohne Rücksicht auf Religion, Hautfarbe oder Geschlecht. Nicht so in Brian K. Vaughans großartiger graphic novel "Y: The Last Man", deren Abschlußband "Whys and Wherefores" in den nächsten Wochen in den USA erscheint.
It´s a man´s world?
Was würde wohl passieren, wenn auf einmal sämtliche Vertreter des männlichen Geschlechts tot umfielen? Wenn es ein Virus gäbe, das dies sogar speziesübergreifend bewerkstelligen könnte?
Hätten wir es auf einmal mit einem Planeten der Habenichtse zu tun oder stünde die Frau am Abgrund der Zeit? Würde sich die Welt in ein matriarchalisches Paradies verwandeln, in dem - wie sich das manche SF-Autorinnen gern ausmalen - friedlich Gemüse angebaut wird, alle harmonisch miteinander leben und man Schriftstücke gar nur mehr in genderneutraler Sprache verfaßt?
Oder wäre es in Wirklichkeit auch egal, weil das einstmals schwache Geschlecht der vermeintlichen Krone der Schöpfung auch bei den schlechten Eigenschaften um nichts nachsteht?
Es ist eindeutig letzteres der Fall - zumindest in der fiktiven Welt rund um Yorick Brown, den last man on earth, aus der Feder von Autor Brian K. Vaughan und Zeichnerin Pia Guerra.
Yorick, ein junger Slacker, dessen einzige Talente ein paar Taschenspielertricks und Entfesselungskünste sind, schlägt eines Tages die Augen auf und stellt fest, daß er und sein Kapuzineräffchen Ampersand die letzten ihrer Art sind. Männer gibt es keine mehr, nicht einmal im Tierreich. Die übriggebliebenen Frauen weinen entweder ihren Liebsten nach oder sind froh, endlich von den jahrtausendealten Fesseln des Patriarchats befreit zu sein.
Vigilantinnen ziehen durch die Straßen, um Erinnerungen an die Herren der Schöpfung dem Erdboden gleichzumachen, und Politikergattinnen streiten sich um die Machtpositionen ihrer verstorbenen Ehemänner. Schließich ist der kleine Unterschied zwischen gewählter Volksvertreterin und Senatorenwitwe nicht für jeden klar. Kurzum: Ob auf den Straßen oder im Weißen Haus - Machtspiele und Chaos regieren das Geschehen.
Verkleidet versucht Yorick die Stadt zu verlassen und trifft auf die mysteriöse Agentin 355. Sie hilft ihm bei der Flucht vor Gefahren wie den fanatischen "Daughters of the Amazons" (die sich im übrigen tatsächlich eine Brust amputieren) und greift ihm auch sonst in jeder Lebenslage unter die patscherten Arme.
Nach und nach offenbart sich den beiden nicht nur die Ursache für das plötzliche Aussterben des Y-Chromosoms, sondern auch, mit wievielen Gegenspielern und verschiedenen Interessensgruppen sie es tatsächlich zu tun haben: von militanten Weibsbildern über entflohene Sträflinge bis hin zu attraktiven Piratinnen und israelischen Geheimdienstlern. Jeder von ihnen scheint seine ganze speziellen Pläne für Yorick zu haben, doch die männliche damsel in distress will von all dem nichts wissen. Für ihn zählt anfangs lediglich die Rettung seiner Verlobten Beth und seiner Schwester Hero ....
Gale Anne Hurd sagte einmal, die drei besten Konflikte für eine gute Geschichte seien: man against nature, man against man und man against himself. In "Y: The Last Man" findet man davon reichlich.
Auf Hunderten von Seiten offenbart sich dem Leser eine packende und komplexe Storyline, voll guter Ideen und zahlreicher Cliffhanger, die nicht nur quer über den Globus führt, sondern auch in die Tiefen des zwischenmenschlichen Beziehungsgeflechts eindringt.
In ihrer am ehesten noch mit den aktuellen Vorzeigeproduktionen der US-TV-Serienlandschaft vergleichbaren Geschichte zwingen Vaughan und Guerra den Leser förmlich zur Lektüre, sodaß man den jeweiligen Band nur zur Seite legt, um gleich die Fortsetzung zu bestellen und sich wegen der vielen köstlichen Pointen und Seitenhiebe eine kurze Verschnaufpause zu gönnen.
Die urprünglich bei Vertigo/DC Comics in 60 Ausgaben veröffentlichte und seit 2003 auch in Sammelausgaben erscheinende graphic novel "Y: The Last Man" gibt es übrigens auch in gelungener deutscher Übersetzung bei Panini Comics. (Dank zahlreicher Fußnoten konnte man sogar sämtliche popkulturellen Zitate in unsere Sprache hinüberretten).
Eine Verfilmung für 2009 ist ebenfalls bereits geplant. Für das Drehbuch verpflichtete man Carl Ellsworth, die Regie übernimmt D. J. Caruso (unter anderem verantwortlich für "Disturbia" sowie einige "The Shield"-Episoden). Glaubt man der Gerüchteküche, so soll shooting star Shia LaBeouf in die Rolle Yoricks schlüpfen. Wer jedoch angesichts dieser Aussichten warten will, bis Hollywood die leicht konsumierbare - und erzähltechnisch sicherlich entschlackte - Leinwandadaption liefert, versäumt definitiv etwas. Wir raten zur sofortigen Lektüre!
PS: Vaughan hat seine Autorenfinger übrigens auch in Joss Whedons "Buffy: The Vampire Slayer - Season Eight"-Comicreihe mit im Spiel.
Jürgen Fichtinger
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