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Schmauchspuren #19

So schön Skandinavien als Urlaubsziel ist, so langweilig sind die Krimis von dort. Peter Hiess hat es noch einmal versucht, ist wieder gescheitert und bleibt jetzt - zumindest literarisch - doch lieber in Berlin.    07.05.2014

Peter Hiess

Seitenweise


Lincoln Child - Wächter der Tiefe

Wunderlich 2008

 

Douglas Preston - Credo: Das letzte Geheimnis

Droemer 2008

 

Gemeinsam waren sie unschlagbar: Mit "Relic" landete das Autorenduo Douglas Preston und Lincoln Child seinen ersten Bestseller im Mystery-Genre, dem viele weitere folgen sollten. Leider ließen es die beiden jedoch zu, daß der unsägliche Agent Pendergast (wie hierorts berichtet) ihre Reihe kidnappte und in nahezu unlesbaren Schund verwandelte. Wie gut, daß die Herren auch solo schreiben können - mit mehr oder weniger Talent.

Mr. Child bleibt mit seinem neuen Werk "Wächter der Tiefe" dem Techno-Thriller mit phantastischen Elementen treu und schickt seinen Helden, einen ehemaligen Marinearzt, auf eine Ölplattform. Dort haben Forscher etwas entdeckt, das die Welt revolutionieren könnte, in erster Linie aber natürlich dem Machtstreben der US-Regierung nützen soll. Ist es das versunkene Atlantis, das da tief unter dem Meeresboden wartet - oder eine gefährliche Hinterlassenschaft von Außerirdischen? Child beantwortet diese Frage in bewährt spannender Manier, mit einem gerüttelt Maß Gigantomanie und dem üblichen Katastrophenfilm-Personal (edle und irre Wissenschaftler, gute und böse Offiziere, zum Tode verurteilte Statisten). Damit sind ein paar Stunden gediegenes Lesevergnügen garantiert.

Mr. Preston hingegen nimmt sich in "Credo - Das letzte Geheimnis" zuviel vor: Hier treibt sich die Mannschaft (siehe oben, plus Privatdetektiv, edle "native Americans" und böse TV-Prediger) in und um den größten Teilchenbeschleuniger der Welt mitten in der Wüste von Arizona herum. Besagtes Gerät, das den Urknall simulieren soll, läßt - vielleicht, möglicherweise, wen interessiert´s? - Gott erscheinen. Diese Prämisse und viel pseudophilosophisches Geschwafel könnten amerikanische Leser faszinieren, hierzulande kratzt man sich am Haupte und fragt: Na und?

Und gar nix. Genau.

Links:

Gert Nygårdshaug - Der Fliegenfischer

Piper Nordiska 2008

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Aber man soll natürlich keine Vorurteile haben. Und weil der Autor dieser Zeilen vor kurzem ein paar Wochen im schönen Skandinavien verbrachte, wollte er auch den dortigen Krimiautoren eine dritte Chance geben, indem er sich Gert Nygårdshaugs "Der Fliegenfischer" vornahm. Nur leider: Der Protagonist ist nicht nur Hobbydetektiv, sondern auch Haubenlokalbesitzer und Weinkenner, der Fall ist haarsträubend konstruiert, aber wenig aufregend - und nur die Landschaft ist wie immer schön. Aber die hat man ja jetzt eh selbst gesehen ...

Links:

Marcel Feige alias Martin Krist - Gier

Goldmann Tb. 2008

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Als nächstes wandte sich der Vorsatz mit den Vorurteilen dem deutschen Krimi zu.

Und siehe da: "Gier", der zweite Thriller des Wahlberliners Marcel Feige, ist für den Rezensenten mehr als nur ein lohnendes Leseexperiment. Der von privaten und beruflichen Krisen geschüttelte Kommissar Paul Kalkbrenner wird allzu bald nach seinem letzten Fall (das Buch hieß "Wut" und MUSS auch gut sein) aus dem Ostsee-Urlaub zurückberufen, weil im Stadtteil Neukölln ein Hauptschullehrer ermordet wurde, scheinbar von zwei Schülern. Oje, denkt man sich da gleich, da ist sie ja wieder, die fade Migrationsproblematik, und wahrscheinlich sind im Endeffekt die Konservativen die Bösen.

Aber es kommt alles anders: Die im Buch auftretenden CDU-Politiker sind zwar wirklich machtgeil und rückgratlos (wie alle ihrer Artgenossen in allen Parteien), doch hinter dem Mord steckt viel mehr als die übliche Schul-Amoklauf-Tränendrüsenstory. Da gibt es einen Berliner Rotlichtboß, der überall seine Finger drin hat, aber trotzdem eine Figur ist, die an Glaubwürdigkeit und Sympathiebonus einem Tony Soprano nahekommt; eine ausufernde S/M- und Prostitutionsszene, die allerlei ungesunde Reize ausübt; und schließlich einen Ermittler, der wirklich alles falsch und nicht nach Vorschrift macht, sich persönlich involvieren läßt und trotzdem den Fall abschließt. "Gier" ist somit ein echter Kriminalroman in moderner, zeitloser Noir-Manier, den man nicht verpassen darf.

Links:

Time for Hardcase Crime


Cornell Woolrich - Fright

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2007

 

Robert Terrall - Kill Now, Pay Later

Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2007

 

Apropos nicht verpassen: Die Bände 34 und 35 der wunderbaren Pulp-Reihe "Hard Case Crime" gehören natürlich auch ins Regal. In Cornell Woolrichs "Fright" aus dem Jahre 1950 läßt sich ein aufstrebender junger New Yorker erpressen, begeht eine Dummheit, flieht mit seiner frisch Angetrauten aus der Stadt und wird von seiner Angst zu immer neuen fatalen Fehlern getrieben - bis zum bitteren, großartigen Ende.

Ganz anders kommt Robert Terralls "Kill Now, Pay Later" (1960) daher: Privatdetektiv Ben Gates soll bei einer Promi-Heirat die Hochzeitsgeschenke bewachen, wird aber betäubt und wacht auf, als es bereits Tote gibt. Um seinen Namen reinzuwaschen, ermittelt der flotte Bursch auf eigene Faust - natürlich klüger als die Polizei, natürlich mit witzigen Dialogen und natürlich quer durch die Betten mehrerer netter junger Damen. Eine willkommene Abwechslung von der verbrecherischen Düsternis und somit ein erfreulicher Abschluß der Saison.

Links:

"Schmauchspuren"


... erscheint in gedruckter Form seit 2005 in der höchst empfehlenswerten österreichischen Literaturzeitschrift "Buchkultur" - für Menschen, die beim Lesen noch nicht die Lippen bewegen müssen - und wird zeitversetzt Web-exklusiv im EVOLVER veröffentlicht.

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